«Für viele Arbeitnehmer ist die Pensionierung ein nicht zu unterschätzender Schock»: Was bei Frühpensionierungen zu beachten ist Wer plant, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, muss aufgrund von Inflation und höheren Hypothekarzinsen möglicherweise neu rechnen. Wie man die Einkommenslücke füllt – und warum eine Teilpensionierung für viele die bessere Option ist.

Wer plant, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, muss aufgrund von Inflation und höheren Hypothekarzinsen möglicherweise neu rechnen. Wie man die Einkommenslücke füllt – und warum eine Teilpensionierung für viele die bessere Option ist.

 

Viele Arbeitnehmende müssen ihre Pläne von einer Frühpensionierung überdenken. Bild: Charlotte Eckstein / NZZ

Viele Arbeitnehmer träumen davon, vorzeitig in Rente zu gehen – manche müssen auch befürchten, dass ihr Arbeitgeber sie vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters «zwangspensionieren» könnte. In beiden Fällen droht die Gefahr, den Lebensstandard im Alter nicht halten zu können.

Aufgrund der hohen durchschnittlichen Lebenserwartung in der Schweiz muss man ohnehin einen mehrere Jahrzehnte langen Lebensabschnitt finanzieren. Wenn dann – wie bei einer Frühpensionierung – noch das Erwerbseinkommen vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters wegfällt, bildet sich eine Einkommenslücke, die überbrückt werden muss. Und neuerdings sind Frühpensionierungen noch schwieriger geworden: Dafür sorgen die höhere Inflation und die stark gestiegenen Hypothekarzinsen.

Höhere Kosten für Wohneigentümer

«Wenn die Hypothekarzinsen nachhaltig höher bleiben, kommen beim Auslaufen von Festhypotheken höhere Kosten auf Wohneigentümer zu», sagt Mario Bucher vom Vorsorgeberatungsunternehmen Pensexpert. Dieser Effekt werde sich nach und nach manifestieren, wenn Festhypotheken erneuert werden müssen. Dann wird die Finanzierung des Wohneigentums für viele Immobilienbesitzer auf einen Schlag teurer.

Viele Immobilienbesitzer haben in den vergangenen Jahren von sehr niedrigen Zinsen bei Festhypotheken profitiert. «Gerade Wohneigentümer aus dem Mittelstand müssen nun möglicherweise neu rechnen», sagt Bucher. Geplante Frühpensionierungen könnten dann in Gefahr geraten.

Auch die Inflation dürfte negative Effekte haben. Diese ist in der Schweiz jüngst etwas zurückgegangen und lag im April bei 2,6 Prozent – ein für das Land aber immer noch hoher Wert. Laut Christophe Piquerez vom Finanzdienstleister VZ Vermögenszentrum hat die höhere Teuerung dazu geführt, dass die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. «Bei vielen Versicherten hat das Einkommen in derselben Zeit aber nicht proportional zugelegt.» Viele Erwerbstätige, die von einer Frühpensionierung träumen, sparten seit Jahren, um die Einkommenslücke zu überbrücken, die dadurch entsteht, sagt er. «Durch die höheren Lebenshaltungskosten fehlt nun das Geld beziehungsweise die Sparquote, um die spätere Einkommenslücke zu überbrücken.»

Zudem droht die Inflation die Pensionskassenrenten zu schmälern. Während die AHV/IV-Renten gemäss einem Mischindex an die Teuerung angepasst werden, ist es in der beruflichen Vorsorge komplizierter. Eine Anpassung an die Inflation ist hier nur vorgesehen, wenn die Pensionskasse über die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten verfügt. Die Prüfung erfolgt durch den Stiftungsrat der Vorsorgeeinrichtung.

Eine gute Planung ist das A und O

Das ist bei einer Frühpensionierung zu beachten:

Eine genaue Planung ist wichtig: Um eine Frühpensionierung trotz den widrigen Umständen zu verwirklichen, ist in jedem Fall eine gute Planung notwendig. Nicht wenigen Arbeitnehmern dürfte es zu empfehlen sein, ihre ursprünglichen Vorhaben aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen – höhere Inflation und höhere Hypothekarzinsen – neu durchzurechnen. Bei der Planung ist zu berücksichtigen, welche Kosten eine Frühpensionierung hat. Die Lücken, die durch sie entstehen, sollten mit privaten Ersparnissen geschlossen werden.

Ein Budget machen: Eine Daumenregel lautet, dass man in der Pension rund 80 Prozent des letzten Einkommens während der Erwerbstätigkeit braucht. Es gibt aber deutliche individuelle Unterschiede, folglich lässt sich dies nicht pauschal sagen. «Für viele Menschen ist es ein Trugschluss, dass sie nach der Pensionierung sehr viel weniger Geld brauchen werden als davor», sagt Bucher. Viele wollten beispielsweise nach der Pensionierung Dinge nachholen, für die sie davor zu wenig Zeit hatten – wie etwa Reisen. Dies kann dann schnell ins Geld gehen.

Manche Ausgaben fielen indessen weg, sagt Willy Graf, Gründer des Vermögensverwaltungs- und Vorsorgeunternehmens VVK. Dazu gehörten bei vielen beispielsweise Ausgaben für das Pendeln zwischen dem Zuhause und der Arbeitsstelle oder die Einzahlungen in die Säule 3a. «Letztlich geht es beim Thema Frühpensionierung immer darum, ein Budget zu machen und zu schauen, ob man sich das leisten kann oder nicht», sagt Graf.

AHV-Pflicht nicht vergessen: Bei einer Frühpensionierung sollte man nicht vergessen, dass auch danach bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters AHV-Beiträge für Nichterwerbstätige fällig werden. Ist der Ehepartner weiterhin erwerbstätig und bezahlt AHV-Beiträge, so entfällt diese Pflicht in der Regel.

Rente oder Kapital? Wenn man das Vorsorgekapital aus der Pensionskasse bezieht, kann man das Altersvermögen selbst verwalten. Dann sollte man allerdings auch einkalkulieren, dass es bei der Anlage der Gelder in Krisenphasen zu erheblichen Verlusten kommen kann. Der Vorsorgespezialist Werner C. Hug weist derweil darauf hin, dass Finanzberater nicht selten den Kapitalbezug empfehlen, da sie sich selbst davon einen Vorteil versprechen. «Schliesslich kommen sie dann als Verwalter der Gelder infrage und können entsprechend Gebühren verdienen.»

Lieber die PK-Rente als die AHV-Rente vorbeziehen: Um ein Einkommen zu haben, kommt für Frühpensionierte der Vorbezug der AHV- oder der Pensionskassenrenten infrage. Hug rät, im Zweifelsfall lieber die Pensionskassenrente als die AHV-Rente vorzubeziehen – erstere ist nicht inflationsgesichert, letztere schon.

Bei einem Vorbezug der AHV-Rente um ein Jahr fällt diese um 6,8 Prozent, bei zwei Jahren sogar um 13,6 Prozent geringer aus – und das für die gesamte restliche Lebensdauer. Vor diesem Hintergrund rät Bucher von einem Vorbezug der AHV-Rente ab. Ein solcher lohne sich im Allgemeinen nicht, findet auch Graf. Piquerez weist darauf hin, dass viele Pensionskassen ihren Frühpensionierten Überbrückungsrenten anbieten, damit diese den Vorbezug der AHV-Rente umgehen können. Allerdings müsse man eine solche Überbrückungsrente zumeist selbst finanzieren.

Indessen werde der Bezug der AHV-Rente in Zukunft aufgrund der AHV-Reform flexibler möglich sein, sagt Piquerez. Nach dem Inkrafttreten der Reform Anfang 2024 sei angedacht, dass man auch nur einen Teil der Rente frühzeitig vorbeziehen kann.

Beim Vorbezug der PK-Rente drohen langfristig ebenfalls Einbussen: Allerdings sollte man sich auch gut überlegen, was es bedeutet, die Pensionskassenleistungen vorzeitig zu beziehen. «Weil dann Beitragsjahre und Zinsgutschriften fehlen, ist das Altersguthaben geringer als bei einer ordentlichen Pensionierung», sagt Piquerez. Ausserdem werde der Umwandlungssatz reduziert – in der Regel um 0,15 bis 0,2 Prozentpunkte pro Vorbezugsjahr. So falle die Pensionskassenrente bei einem Vorbezug von zwei Jahren schnell um nahezu 10 Prozent niedriger aus als bei einem regulären Bezug.

Teilpensionierung prüfen: Bei einer Teilpensionierung geht man Schritt für Schritt in Rente, nicht von einem Tag auf den anderen. So falle die Einkommenslücke kleiner aus als bei einer Frühpensionierung, sagt Piquerez – und diese lasse sich so auch leichter überbrücken. Die gängigsten Möglichkeiten hierfür sind etwa die Säule 3a, Ersparnisse oder eine Erbschaft. Ein weiterer Vorteil einer Teilpensionierung ist, dass Teilpensionierte weiterhin Altersguthaben aufbauen. Nicht zuletzt ist die Teilpensionierung oftmals steuerlich interessant, da sie bei einem geplanten Kapitalbezug den gestaffelten Bezug von Pensionskassenvermögen ermöglicht. Zudem können Teilpensionierte weiterhin in die Säule 3a einzahlen.

«Für viele Arbeitnehmer ist die Pensionierung ein nicht zu unterschätzender Schock», sagt Hug. Allein deshalb sei es zu empfehlen, über die Option einer Teilpensionierung nachzudenken. Eine solche sei in vielen Fällen ein guter Übergang vom Arbeitsleben in die Pensionierung.

Mit der AHV-Reform, die Anfang 2024 in Kraft tritt, wird das Referenzalter für Frauen und Männer bei 65 Jahren festgelegt. Sie können ihre Rente ab 63 Jahren vorbeziehen und bis zum Alter von 70 Jahren aufschieben. Zudem besagt die Reform, dass auch Pensionskassen in Zukunft Teilpensionierungen zu ermöglichen haben. «Die Bedingungen einer Teilpensionierung sollen in Zukunft einheitlicher geregelt sein», sagt Piquerez.

Michael Ferber, «Neue Zürcher Zeitung»

Serie: «Neue Arbeitsmodelle: Ausbrechen aus dem Büroalltag»

Das Leben lang bei einem Arbeitgeber verbringen, stets zu hundert Prozent arbeiten und täglich im Büro erscheinen – viele Arbeitnehmer können sich dies nicht mehr vorstellen. Gerade Hochqualifizierte haben heute weniger Angst vor «ungeraden Lebensläufen» und Lücken im CV. Dabei sollte man aber stets Finanzen und Altersvorsorge im Auge behalten. Die NZZ beantwortet in einer Serie die wichtigsten Fragen.

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