Immer mehr Wärmepumpen, Solaranlagen und Elektroautos: Das Stromnetz ist am Anschlag Um die Energiewende zu schaffen, sollen rasch möglichst viele Solarpanels und Wärmepumpen installiert werden. Doch der Stromkonzern BKW weist darauf hin, dafür sei das heutige Verteilnetz nicht ausgelegt. Im Extremfall kann dies zu Stromausfällen führen.

Um die Energiewende zu schaffen, sollen rasch möglichst viele Solarpanels und Wärmepumpen installiert werden. Doch der Stromkonzern BKW weist darauf hin, dafür sei das heutige Verteilnetz nicht ausgelegt. Im Extremfall kann dies zu Stromausfällen führen.

 

Solarmonteure können sich vor Aufträgen kaum retten. Doch der Boom kann die Verteilnetze überfordern. Bild: unsplash

Schweizer kaufen massenhaft Elektroautos und installieren so viele Wärmepumpen wie noch nie. Dadurch verringert man zwar die Abhängigkeit von Erdöl sowie Erdgas und kommt der Klimaneutralität näher. Aber es droht ein gravierendes Problem: Hält der Boom an, bringt dies die Netze an ihre Leistungsgrenzen. Dies ist etwa der Fall, wenn alle ihre Autos an einem kalten Winterabend laden, an dem die Stromnachfrage ohnehin gross ist. Im schlimmsten Fall könnte es zu lokalen Stromausfällen kommen.

Jüngst wurde publik, dass Deutschland seinen Stromversorgern ab 2024 erlaubt, dass sie den Stromverbrauch der Nutzer beschränken können, wenn gleichzeitig viele Wärmepumpen laufen und E-Autos geladen werden. Der Stromnetzbetreiber greift dabei aus der Ferne ein, um die Last zu verringern. Eine Totalabschaltung soll es aber nicht geben. Der Tesla-Besitzer könnte sein Auto zumindest noch so lange laden, bis die Batterie für 50 Kilometer reicht.

Boom der Wärmepumpen

Könnten auch in der Schweiz solche Eingriffe nötig werden? Andreas Ebner ist Leiter Netzplanung und Projekte bei der BKW, die rund 10 Prozent des lokalen Schweizer Verteilnetzes kontrolliert. Er warnt vor «deutschen Verhältnissen», wenn die Schweiz den Netzausbau und die dafür nötigen Genehmigungsverfahren nicht deutlich beschleunigt. Deutschland habe die Erneuerbaren enorm ausgebaut, gleichzeitig aber hinke der Netzausbau hinterher, sagt Ebner.

In der Schweiz hat sich die Zahl der Wärmepumpen innert zehn Jahren auf 378 000 verdoppelt. Auf den Strassen fahren mittlerweile fast 180 000 Autos, die rein oder teilweise mit Strom (Plug-in-Hybride) geladen werden – Tendenz stark steigend. Zudem wurden 2022 auf Schweizer Dächern und an Fassaden rund 1000 Megawatt Solarpanels installiert, was einem Zuwachs von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Diese drei Entwicklungen führen dazu, dass das Stromnetz in gewissen Zeiten immer stärker belastet wird. Die Spitzenlast der Schweiz liegt derzeit bei 9600 Megawatt (dies entspricht etwa zehn Mal der Leistung eines AKW) und könnte sich bis 2035 um die Hälfte erhöhen, wie Ebner berechnet hat.

Die BKW fordert nun, dass sie wie die Versorger in Deutschland die Möglichkeit erhält, im Notfall vorübergehend und entschädigungslos die Last zu verringern und den Verbrauch einzuschränken. Entschädigungslos laut BKW deshalb, weil der lokale Kollaps verhindert wird, was allen Kunden nützt.

Doch nicht nur der Verbrauch, auch das massenweise Einspeisen von Solarstrom bei strahlendstem Sommerwetter kann das Netz aus dem Gleichgewicht bringen. Ebner schlägt deshalb vor, dass die Stromversorger die Einspeisung von Solarstrom ins Netz permanent auf 70 Prozent kappen können. Es ergebe volkswirtschaftlich keinen Sinn, auch noch die letzte Kilowattstunde Strom abzutransportieren und für diese wenigen Stunden im Jahr eine teure Netzinfrastruktur bereitzustellen. Damit liesse sich der Ausbaubedarf beim Netz um 30 Prozent verringern, führt er aus.

Dies tönt drakonisch, doch ginge es hier um Produktionsspitzen und insgesamt eine geringe Menge an Energie. Nach heutigem Recht gibt es eine Abnahmepflicht für Solarstrom, womit den Stromversorgern die Hände gebunden sind. Wie beurteilt die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom), die den Strommarkt überwacht, den Vorschlag? Sie sieht zwar die Politik am Zug, gibt der BKW aber im Prinzip recht: Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei dies eine sinnvolle Option, erklärt sie auf Anfrage.

Andreas Ebner fehlt die Diskussion darüber, was für ein Netz die Schweiz will. Ein auf die Maximalbelastung ausgerichtetes Netz wäre bis 2050 mit enormen zusätzlichen Ausbaukosten von 60 Milliarden oder mehr verbunden statt mit 30 Milliarden Franken wie im Basismodell. Dies zeigt eine vom Bundesamt für Energie (BfE) in Auftrag gegebene Studie.

«Flat Rate» für die Nutzung des Netzes

Ein wichtiger Hebel, um Noteingriffe ins Netz zu minimieren, wären Netzentgelte, die das Verursacherprinzip umsetzen, was heute nicht der Fall ist. Entscheidend dafür, wie stark man das Netz ausbauen muss, ist nämlich, wie viel Strom im Maximum durchgeleitet werden muss – auch wenn dies nur während kurzer Zeit im Jahr der Fall ist. Das ist vergleichbar mit einer Autobahn, die den Stossverkehr am Morgen und Abend bewältigen muss, auch wenn es tagsüber ruhig ist.

Eine Flat Rate für die Netznutzung, die davon abhängt, wie viel Strom man maximal durchs Kabel leiten kann, würde laut BKW die richtigen Anreize setzen. Jeder Hausbesitzer müsste sich dann genau überlegen, wie viel Anschlusskapazität er maximal benötigt. Er spart also Geld, wenn er die Kapazität niedrig hält, indem er den Verbrauch glättet. Eine Flat Rate würde auch dazu motivieren, dass man selber produzierten Solarstrom selbst verbraucht und etwa via Batterie speichert.

Der Schweiz kann es derzeit mit dem Bau von Solaranlagen und Wärmepumpen nicht schnell genug gehen. Doch Deutschland ist ein mahnendes Beispiel. Wenn man die Netze ausblendet, kann die Energiewende nicht gelingen. Die Elcom schreibt zwar, dass bis anhin Engpässe im Verteilnetz «vielenorts noch kein gravierendes Problem» seien. Dem lässt sich entgegnen, dass dies mittelfristig der Fall sein wird, wenn man jetzt nicht handelt. Der Netztechniker ist somit für die Energiewende mindestens so wichtig wie der Solarmonteur.

Christoph Eisenring, «Neue Zürcher Zeitung»

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