Mit der Arbeit in die Ferien: Workations sind im Trend, doch es gibt einige Herausforderungen Immer mehr Unternehmen schicken ganze Teams gemeinsam auf Reise. Die Trennung von Arbeit und Privatleben wird damit aufgeweicht. Worauf Arbeitgeber achten sollten.

Immer mehr Unternehmen schicken ganze Teams gemeinsam auf Reise. Die Trennung von Arbeit und Privatleben wird damit aufgeweicht. Worauf Arbeitgeber achten sollten.

 

 

Mit dem Laptop am Strand – für viele ist das die Idealvorstellung von Remote Work. Bild: pexels

Die Beine auf dem Liegestuhl ausgestreckt, die Sonnenbrille auf der Nase, im Hintergrund das Rauschen des Meeres – und auf dem Schoss aufgeklappt der Laptop. Das ist die Idealvorstellung von vielen, wenn sie an Remote Work denken. Statt zu Hause am Küchentisch oder auf dem Sofa zu sitzen, träumt so mancher Büroangestellte sich an ferne Orte, an denen er in der Mittagspause kurz ins Wasser springen oder nach Feierabend einen Strandspaziergang unternehmen kann.

Arbeiten aus der Ferne, oder besser noch, aus den Ferien, wird immer beliebter. Mittlerweile hat sich dafür sogar ein eigener Ausdruck etabliert: Workation, zusammengesetzt aus den Wörtern Work (Arbeit) und Vacation (Ferien). Zwei Wörter, die eigentlich überhaupt nicht zusammengehören. Im Gegenteil, in den vergangenen Jahren bemühten sich die meisten Werktätigen eher, sie noch stärker voneinander zu trennen, wie das Modewort Work-Life-Balance zeigt.

Die Pandemie hat zu einem Umdenken geführt

Aber das war vor der Pandemie. Durch das erzwungene Home-Office während der Lockdowns haben Firmen und ihre Mitarbeiter gelernt, dass man in vielen Bereichen von nahezu überall aus arbeiten kann – mit bisher ungeahnten Möglichkeiten. Denn wenn das Arbeiten von der eigenen Wohnung aus funktioniert, funktioniert es auch in einer Ferienwohnung – oder eben am Strand.

«Seit wir vor zweieinhalb Jahren gestartet sind, hat sich die Nachfrage nach unseren Unterkünften stetig entwickelt», sagt Ingmar Eschli, Geschäftsführer von workation.de. «In den letzten Monaten haben wir dann noch einmal einen Schub bekommen.»

Ingmar Eschli hilft Unternehmen bei der Suche nach der richtigen Unterkunft. PD

Auf seinem Portal bietet Eschli Unterkünfte an, in denen sowohl gearbeitet als auch entspannt werden kann. Darunter sind so unterschiedliche Destinationen wie eine Finca auf Mallorca, eine Villa auf Ibiza oder ein altes Gutshaus in Schleswig-Holstein. Eschli sagt, er bekomme mittlerweile täglich Anfragen von Teams, die diese nutzen wollten.

Unternehmen buchen Unterkünfte für ihre Mitarbeiter

«Das Konzept Remote Work ist ja schon seit ein paar Jahren bekannt. Und auch digitale Nomaden, also Einzelpersonen, die mit ihrem Laptop herumreisen und arbeiten, gibt es schon länger.» Relativ neu ist aber, dass Firmen für ihre Mitarbeiter Unterkünfte buchen, damit diese dort ihr Büro installieren können.

«Den Anfang haben kleine Unternehmen aus der Tech-Branche gemacht, wo Remote Work schon länger üblich ist», erklärt Eschli. «Doch mittlerweile stellen wir fest, dass auch immer mehr grosse Unternehmen ihre Betriebsvereinbarungen überarbeiten, um den Mitarbeitern das Arbeiten im Ausland zu ermöglichen.»

Remote Work und das Arbeiten aus der Ferne können dabei die verschiedensten Formen annehmen. Vergleichsweise häufig sind mittlerweile Regelungen, die es Mitarbeitern erlauben, für eine gewisse Zeit im Jahr in anderen Ländern zu arbeiten, meist einige Wochen. In der Regel müssen diese Auslandsaufenthalte selbst organisiert werden. Manche Firmen stellen aber auch Unterkünfte zur Verfügung.

So etwa das Berliner Fintech-Startup Raisin. Anfang des Jahres machte das Unternehmen mit einem aussergewöhnlichen Angebot Schlagzeilen: Raisin mietete für rund 50 000 Euro den gesamten Winter über eine Villa in Griechenland, die die Mitarbeiter zum Arbeiten nutzen konnten. Insgesamt 260 einwöchige Aufenthalte standen zur Verfügung.

Gemeinsame Reisen werden für Teambuilding genutzt

Ein solches Angebot ermöglicht es den Angestellten, den Zeitpunkt ihrer Workation flexibel zu gestalten. Dass Unternehmen für ihre Mitarbeiter über einen längeren Zeitpunkt eine Unterkunft buchen, ist bis anhin aber noch die Ausnahme. Die «klassische» Version einer Workation ist, dass ein Team für wenige Tage oder eine Woche eine Unterkunft bucht, um dort gemeinsam an Projekten zu arbeiten und die Zeit ausserhalb der Arbeitszeiten für Teambuilding zu nutzen. Auf solche Team-Workations hat sich Eschlis Unternehmen spezialisiert. Die durchschnittliche Anzahl der Teilnehmer liegt bei 21 Personen, wobei die Spannbreite von 5 bis zu 50 Teammitglieder reichen kann.

Und dann gibt es laut Eschli noch den «Extremfall»: Firmen, die überhaupt kein Büro mehr haben und bei denen alle Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten. Für solche Unternehmen ist es dann besonders wichtig, zumindest einmal im Jahr einen Anlass zu organisieren, an dem alle zusammenkommen und sich kennenlernen können.

Bei zu viel Home-Office fehlt der soziale Austausch

«Wenn viele Leute Home-Office machen, kommt das Soziale oft zu kurz», erklärt Anja Feierabend, Wirtschaftswissenschafterin an der Uni Luzern und Leiterin des Schweizer HR-Barometers, einer regelmässigen Befragung, die die Stimmung der Schweizer Beschäftigten misst. «Damit das Wir-Gefühl nicht verlorengeht, werden Team-Events immer wichtiger.» Laut Eschli spielen hierbei für die Unternehmen auch Kostenüberlegungen eine Rolle. «Man spart sich die Kosten für die Büromiete, bietet dafür aber ein- oder zweimal im Jahr eine Workation an.»

Laut Anja Feierabend können Workations das Wir-Gefühl stärken. PD

Auch bei Raisin ist es den Mitarbeitern seit kurzem völlig freigestellt, ob sie ins Büro kommen oder nicht. Seit dem vergangenen Herbst hat das Unternehmen eine neue «Remote Work Policy», laut der Angestellte das ganze Jahr über innerhalb Deutschlands von überall aus arbeiten können. Zusätzlich können bis zu drei Monate im Ausland verbracht werden, auch ausserhalb der EU. Derzeit stehen zehn Länder auf einer Art «schwarzer Liste mit sanktionierten Ländern», darunter China und Nordkorea.

«Da wir nun hundert Prozent remote arbeiten, haben wir ein Angebot geschaffen, um unsere Mitarbeiter hin und wieder vor Ort zusammenzubringen», erklärt die Personal-Chefin Maria Göhler. «Die Teams organisieren sich individuell und versuchen mindestens zwei Mal im Jahr einen Workshop zu veranstalten. Zudem organisieren wir auch firmenweite Events, zu denen alle kommen können. Dort sollen die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich auszutauschen, auch privat.»

Den privaten Austausch zwischen den Teammitgliedern kann eben auch eine gemeinsame Reise fördern. Wenn ein Team sich entscheidet, zusammen wegzufahren, helfen Eschli und sein Unternehmen dabei, die geeignete Unterkunft zu finden.

Auf die richtige Unterkunft kommt es an

Dabei konzentrieren sie sich im Wesentlichen auf drei Arten von Destinationen. Eine davon ist ein Ort in den Bergen, in Österreich, Deutschland oder der Schweiz. Solche Angebote würden meist von sportbegeisterten Teams nachgefragt, führt Eschli aus. Ebenfalls beliebt sind Länder am Mittelmeer wie Spanien, Portugal, Italien oder Griechenland. Das dritte Ziel sind Orte an der deutschen Küste, also an der Nord- oder Ostsee. «Die meisten wollen raus in die Natur», sagt Eschli, «um dem hektischen Alltag zu entfliehen.»

«Die grösste Herausforderung ist es, eine Reise für ein grosses Team von dreissig oder sogar sechzig Personen zu organisieren», erklärt er. Solche Unterkünfte seien schwer zu finden: Es braucht genügend Zimmer, Arbeitsplätze, idealerweise einen grösseren Raum für Meetings und ein stabiles und schnelles Internet. Eschli sieht hier auch eine Chance für die Hotelleriebranche: Da die meisten Unternehmen ihre Reisen ohnehin ausserhalb der Ferienzeiten planen, sind grössere Gruppen attraktiv für Hotels, die die Nebensaison besser auslasten möchten.

Eine Einschränkung gibt es allerdings: «Fast alle Kunden sagen: ‹Bitte kein Seminarhotel.› Die Unterkunft soll nicht nach Arbeit aussehen.» Viele wünschen sich laut Eschli auch eine schöne Umgebung und genügend Freizeitmöglichkeiten, damit das Team nach der Arbeit etwas gemeinsam unternehmen kann.

Nicht jeder will in der Freizeit seine Kollegen sehen

Eine geteilte Unterkunft mit allen Kollegen und nach Feierabend gemeinsame Ausflüge – was für die einen ein Traum sein kann, ist für andere unter Umständen die Hölle. Schliesslich sind Arbeitskollegen nicht immer Leute, mit denen man auch privat befreundet wäre. Und manch einer wehrt sich auch explizit dagegen, mit ihnen in der Freizeit etwas zu unternehmen.

«Aus unseren Befragungen wissen wir, dass es für über 70 Prozent der Arbeitnehmer wichtig ist, Arbeit und Privatleben zu trennen. Bei einer Workation wachsen diese beiden Bereiche aber besonders eng zusammen», sagt Anja Feierabend. Das kann vor allem für introvertierte Personen eine Herausforderung sein, besonders, wenn es während der Workation keinen Rückzugsort gibt. Gleichzeitig möchte man aber auch nichts verpassen, wenn das ganze Team gemeinsam wegfährt.

Eschli und Feierabend raten, eine Workation gut mit dem ganzen Team abzusprechen und genau darauf zu achten, wer welche Bedürfnisse hat. Keinesfalls sollte jemand das Gefühl haben, mitfahren zu müssen.

Fairness ist oft schwierig zu gewährleisten

Eine weitere Herausforderung stellen Mitarbeitende dar, die zwar mitfahren wollen, aber nicht können – etwa weil sie für bestimmte Tätigkeiten vor Ort sein müssen oder weil sie Familie haben. «Es ist wichtig, die Fairness im Auge zu behalten», sagt Anja Feierabend. «Nicht für alle Job-Profile kommt eine Workation infrage. Und auch Familien, die wegen des Schulbetriebs weniger flexibel sind, könnten benachteiligt werden. Als Arbeitgeber sollte man sich im Vorfeld gut überlegen, ob ein solches Angebot wirklich zum Unternehmen passt.» Am Ende müsse mit dem ganzen Team eine Lösung gefunden werden, mit der alle zufrieden seien.

Kommt man als Unternehmen aber zu der Erkenntnis, dass ein Workation-Angebot infrage kommt, sind damit auch viele Vorteile verbunden. Laut Ingmar Eschli berichten seine Kunden, dass die Workation nicht nur den Zusammenhalt gestärkt, sondern auch für neue Ideen und Impulse gesorgt habe. Auch Anja Feierabend glaubt, dass das gemeinsame Wegfahren und der kulturelle Austausch die Kreativität der Mitarbeitenden anregen.

Junge Arbeitnehmer treiben die Entwicklung voran

Offenheit gegenüber Workations kann zudem auf dem Arbeitsmarkt ein grosser Vorteil für Unternehmen sein, glaubt Anja Feierabend. «Bei unseren Mitarbeiterbefragungen haben wir gesehen, dass sich gut 50 Prozent wünschen, immer mal wieder an einem anderen Ort zu arbeiten.» Die Erwartungen an die Arbeitgeber hätten sich in dieser Hinsicht seit der Pandemie sehr geändert.

«Der Arbeitsmarkt hat sich zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Mit einem Workation-Angebot kann man herausstechen und unter Umständen Talente anziehen, vor allem bei der jüngeren Generation.» Auch Ingmar Eschli glaubt, dass jüngere Arbeitnehmer und die Generation Z den Workation-Trend weiter voranbringen werden. «Die jungen Leute haben gesehen, wie ihre Eltern sich überarbeitet haben, und bringen eine andere Einstellung zum Arbeiten mit.»

Arbeit und Ferien voneinander zu trennen – ist es damit nun also bald vorbei? Die Frage ist schwer zu beantworten. Denn egal, wie viele Ausflüge man unternimmt und wie schön die Umgebung ist, gearbeitet wird auf einer Workation schliesslich immer noch. Und manch einer braucht nach einer ganzen Woche mit den Kollegen vielleicht erst recht etwas Erholung.

Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung»

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