Nach sechs Jahren Streit um die Lockerung der Arbeitszeitregeln für Hochqualifizierte kommt nun eine Minireform Nach jahrelanger Kontroverse um eine Lockerung der Arbeitszeitregeln haben sich die Sozialpartner geeinigt. Vor allem für Wirtschaftsprüfer und Treuhänder wird eine flexiblere Verteilung der Arbeitszeit auf das Jahr möglich. Kleinere Erleichterungen gibt es für die Informatiker.

Nach jahrelanger Kontroverse um eine Lockerung der Arbeitszeitregeln haben sich die Sozialpartner geeinigt. Vor allem für Wirtschaftsprüfer und Treuhänder wird eine flexiblere Verteilung der Arbeitszeit auf das Jahr möglich. Kleinere Erleichterungen gibt es für die Informatiker.

 

Die Arbeitszeitregeln werden für gewisse Angestellte etwas flexibler. Bild: Karin Hofer / NZZ

Die angestellte Treuhänderin arbeitet bis 17 Uhr. Danach verbringt sie vier Stunden zu Hause mit ihrer Familie. Um 21 Uhr arbeitet sie noch zwei Stunden lang erhaltene E-Mails ab. Und am nächsten Morgen hat sie um 7 Uhr eine Sitzung. Ein solcher Lebenswandel ist bei häufiger Wiederholung vermutlich illegal; er verstösst gegen das Arbeitsgesetz – auch wenn er den Bedürfnissen der Treuhänderin entspricht.

Für viele Arbeiter in der modernen Dienstleistungsgesellschaft sind die Regeln nicht flexibel genug. Im wirklichen Leben dürfte der Bruch der Regeln an Hunderttausenden von Arbeitsplätzen in der Schweiz zur Routine gehören – und dies gemäss dem Willen der betroffenen Arbeitnehmer, obwohl das Gesetz angeblich zu ihrem Schutz da ist. Für den Gesetzgeber scheint die Vorstellung schwierig zu sein, dass jemand freiwillig am Sonntag arbeiten will, um dafür am Montag blauzumachen. Oder dass man im Frühling Überstunden bolzen will, um im Sommer sechs Wochen Ferien nehmen zu können. Oder dass man am späten Nachmittag mit der Familie sein will und dafür am späten Abend noch ins Heimbüro geht.

Politische Hürden

Eine parlamentarische Initiative, die eine solche Flexibilität legal machen will, steckt seit sechs Jahren im politischen Morast – in der Wirtschaftskommission des Ständerats. Die Reformer verlangen nicht etwa eine generelle Verlängerung der Arbeitszeiten, sondern nur die Möglichkeit einer flexibleren Verteilung über das Jahr. Und dies auch nur für hochqualifizierte Angestellte mit grosser Arbeitsautonomie und mit Bedingung der Zustimmung der Betroffenen. Reformtreiber war eine Allianz einiger Dienstleistungsbranchen: Wirtschaftsprüfung, Treuhand, Informatik, Beratung, Kommunikation.

Auch gemässigte Arbeitnehmerorganisationen wie der Kaufmännische Verband und Angestellte Schweiz setzten sich für Lockerungen ein, doch die klassischen Gewerkschaften gingen in den Schützengraben («Frontalangriff auf die Gesundheit der Arbeitnehmer»). In einer Referendumsabstimmung hätte es eine Lockerung des Arbeitsgesetzes wohl eher schwer – selbst wenn diese Lockerung nicht für «Normalbüezer» gälte, sondern nur für 10 bis 20 Prozent Hochqualifizierte mit grosser Arbeitsautonomie, und selbst wenn die Betroffenen diese Lockerung wollen.

Einigung auf kleine Öffnung

Nun ist eine Lockerung unterhalb des Referendumsradars vorgesehen – via Verordnung des Bundesrats. Die Spielräume sind hier aber doppelt beschränkt. Zum einen muss der Bundesrat mit seinen Verordnungen innerhalb des Gesetzesrahmens bleiben; das Gesetz erlaubt zwar Ausnahmen von gewissen Regeln via Verordnung, aber dies nicht generell, sondern nur «für bestimmte Gruppen von Betrieben und Arbeitnehmern» und nur soweit dies «mit Rücksicht auf ihre besonderen Verhältnisse notwendig ist». Zum anderen hatte die Regierung kaum Lust auf eine Verordnungsänderung, wenn diese nicht auf einer Einigung der Dachverbände der Sozialpartner beruht.

Eine solche Einigung ist nun da. Vorgesehen ist die Möglichkeit eines Jahresarbeitszeitmodells für Hochqualifizierte mit grosser Arbeitsautonomie in Betrieben, die hauptsächlich in den Bereichen Wirtschaftsprüfung/Treuhand/Steuerberatung tätig sind; der Arbeitsanfall in diesen Sektoren unterliegt starken saisonalen Schwankungen. Künftig soll es zum Beispiel möglich werden, dass im eingangs erwähnten Beispiel mit Arbeit bis 17 Uhr und Weiterarbeit im Heimbüro am späteren Abend die dazwischen verbrachte Freizeit als Ruhezeit angerechnet wird. Die Arbeit an maximal neun Sonntagen pro Jahr à fünf Stunden soll künftig ohne Sonderbewilligung zulässig sein. Und im möglichen Jahresarbeitszeitmodell ist netto (das heisst per Jahresende) eine Überzeit von maximal 170 Stunden erlaubt.

Infrage kommt ein solches Modell für Angestellte, die hochgerechnet aufs Jahr brutto mindestens 120 000 Franken verdienen oder einen höheren Bildungsabschluss haben (Bachelor oder Berufsbildungsstufe 6). Nötig für das Modell sind zudem die Zustimmung des Betroffenen und Massnahmen zum Gesundheitsschutz. Zudem braucht es nach derzeitigem Stand noch eine Art betriebliche Notwendigkeit für die Flexibilisierung; es soll offenbar nicht genügen, wenn die betroffenen Mitarbeiter dies einfach wollen.

Auch für Angestellte in Betrieben, die hauptsächlich im Sektor «ICT» tätig sind, gibt es gewisse Lockerungen. Gemeint ist damit vor allem die Informatik, aber anscheinend nicht die Telekommunikation. Die Lockerungen gehen weniger weit als bei den Treuhändern. So ist keine Sonntagsarbeit vorgesehen, und es gibt gewisse Zusatzbedingungen.

Nach derzeitigem Stand wären Informatiker, die in anderen Branchen arbeiten, nicht betroffen. So müssten zum Beispiel ein Grossverteiler oder eine Bank die eigene Informatik in eine separate juristische Einheit auslagern, um ebenfalls zusätzliche Flexibilität der Arbeitszeiten zu ermöglichen. Das wirft Fragen der Ungleichbehandlung auf. Klärungen sollen noch kommen.

Warten auf den Bundesrat

Die definitive Verordnung des Bundesrats dürfte erst im nächsten Jahr vorliegen und voraussichtlich etwa Mitte 2023 in Kraft treten. Die geplanten Lockerungen gehen viel weniger weit, als die Reformer angestrebt hatten. Für diese stellt sich deshalb die Frage, ob sie doch noch den politisch dornigen Weg einer Gesetzesrevision mit wahrscheinlicher Referendumsabstimmung anstreben wollen. Die Wirtschaftskommission des Ständerats hatte im Februar verkündet, eine Gesetzesänderung anzupeilen. Am Dienstag hat die Kommission die Einigung der Sozialpartner zur Kenntnis genommen; einen Beschluss zum weiteren politischen Vorgehen will die Kommission aber erst bei Vorliegen der definitiven Verordnung des Bundesrats fällen. Eine Abschreibung der parlamentarischen Initiative und damit der Verzicht auf eine Gesetzesänderung gilt derzeit als wahrscheinliches Szenario.

Im Namen der Branche Treuhand/Wirtschaftsprüfung zeigte sich der Obwaldner Mitte-Ständerat Erich Ettlin am Dienstag nur halbwegs zufrieden mit der geplanten Lockerung: Diese gehe deutlich weniger weit, als man gewünscht habe, aber man betrachte dies als Zwischenlösung und Kompromiss, und man akzeptiere, wenn auf dieser Basis die parlamentarische Initiative abgeschrieben werde.

Ein durchwachsenes Fazit zog auch der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser, der aus dem Informatiksektor kommt. Die geplante Lockerung erlaube es der IT-Branche, «etwas flexibler zu arbeiten, namentlich bei Zeitverschiebung in internationalen Projekten und bei geplanten Aufgaben, die nicht in der normalen Arbeitszeit stattfinden können». Aber die Schweiz habe sehr restriktive Arbeitszeitregeln: «Hier gibt es nach wie vor noch Handlungsbedarf.»

Die Arbeitszeitregeln werden jedenfalls auf der politischen Agenda bleiben. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats hatte diesen Mai im Grundsatz beschlossen, dass an Firmen beteiligte Mitarbeiter von Jungunternehmen (Startups) nicht mehr den meisten Regeln des Arbeitsgesetzes unterstellt sein sollen. Die konkrete Umsetzung dieser Absicht ist noch weit offen.

Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»

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