Neuer Beruf gefällig? In diesen Branchen ist gutes Personal besonders gefragt Den Fachkräftemangel kann man auch positiv sehen: Die Zeiten für eine berufliche Umorientierung waren nie besser als jetzt.

Den Fachkräftemangel kann man auch positiv sehen: Die Zeiten für eine berufliche Umorientierung waren nie besser als jetzt.

 

Lernen für den neuen Beruf: Angehende Pflegefachpersonen bei ersten Übungen mit der der Spritze. Bild: unsplash

Sie wollen die Branche wechseln? Umsteigen? Etwas ganz anderes machen? Ihre Karriere von Grund auf neu lancieren, einen neuen Beruf ergreifen gar? Die Zeiten dazu sind so günstig wie noch nie.

Dies zumindest legen die Daten nahe, die der Personalvermittler Adecco im vergangenen Jahr publiziert hat. Demnach hat der Fachkräftemangel einen neuen Höhepunkt erreicht. Ende 2022 lag der Fachkräftemangel-Index bei 155 Punkten, das bedeutet einen Anstieg von 68 Prozent gegenüber dem Jahr davor. Mit anderen Worten: Die Schweiz sucht händeringend nach gutem Personal.

 

Gute Karten haben Sie, wenn Sie sich für eine der folgenden Branchen oder Tätigkeiten interessieren.

  • Gesundheit (Ärzte, Pflegefachpersonen, Apothekerinnen)
  • Software und IT
  • Ingenieurwesen
  • Bau
  • Polymechanikerinnen und Polymechaniker

In diesen fünf Bereichen ist der Fachkräftemangel laut den Berechnungen von Adecco am grössten: Die Menge der offenen Stellen und die Zahlen der registrierten Stellensuchenden klaffen am weitesten auseinander. Am gravierendsten überhaupt ist der Personalmangel in der Gesundheitssparte.

Medizin tut weh

Arzt werden? Eine schöne Idee. Ein Studium der Humanmedizin dauert allerdings sechs Jahre. Die Universität Zürich macht darauf aufmerksam, dass das Fach «grundsätzlich als Vollzeitstudium» ausgestaltet sei. Für Umsteiger keine idealen Bedingungen. Und: Nach dem Studium folgen mindestens drei entbehrungsreiche Jahre als Assistenzärztin oder Assistenzarzt: mit langen Arbeitstagen, die zu Fehlern wegen Übermüdung und zu Sinnkrisen führen, wie eine NZZ-Umfrage unlängst ergeben hat. 71 Prozent der befragten Assistenzärzte gaben an, dass sie sich mindestens einmal ernsthaft überlegt hätten, den Beruf aufzugeben.

 

Pflegeberufe bieten sich für Quereinsteiger eher an. Beim Careum Bildungszentrum in Zürich etwa kann man sich berufsbegleitend zur diplomierten Pflegefachperson HF ausbilden lassen. «Noch einmal neu starten – und das in einem sinnhaften Beruf im Gesundheitswesen?»: Auf ihrer Homepage wirbt die Einrichtung gezielt um Personen, die mitten im Leben stehen und sich einer neuen, erfüllenden Aufgabe verschreiben wollen. Im ersten Jahr kann man drei Tage die Woche im angestammten Beruf weiterarbeiten, danach ist dies immerhin noch zu 50 Prozent möglich.

Ein früherer Grafiker und Neo-Pfleger sagte einmal gegenüber der NZZ: «Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.» Eine – ehemalige – Berufskollegin von ihm betonte hingegen: «Bis zur Pensionierung hätte ich das nicht ausgehalten.» Nachtdienste, Schichtarbeit, immer weniger Zeit, Beziehungen zu Patienten aufzubauen: Das zehrt und ist einer der Gründe für die Personalnot der Branche.

In vier Semestern zum Applikationsentwickler

Sie haben ein Faible für Technologie? Sie wollen Computerprogramme, Netzwerke, Apps oder Chat-GPT nicht nur nutzen, sondern auch verstehen und eines Tages ein Profi sein in der Welt der digitalen Anwendungen? Der Mangel an Softwareentwicklern und Informatikern in der Schweiz ist so gross, dass die ersten Bildungseinrichtungen sich bereits um Umsteiger bemühen.

Die Schulen für Wirtschaft Informatik Immobilien (Wiss) führen entsprechende Lehrgänge für angehende Applikationsentwickler oder Plattformentwickler im Angebot: vier Semester in Zürich, sechs Semester in Bern oder St. Gallen, mit einem 12- beziehungsweise 18-monatigen Praktikum.

Voraussetzungen: Matur/Handelsschule oder eine abgeschlossene Lehre, gute Englischkenntnisse, Erfahrungen mit Excel, logisch-abstraktes Denken, rasche Auffassungsgabe, gutes Vorstellungsvermögen. Kostenpunkt: 30 660 Franken. Dafür können Studentinnen und Studenten laut Wiss davon ausgehen, dass sie im Praktikum durchschnittlich 19 200 Franken verdienen werden.

Als Informatiker oder Softwareentwicklerin hätten Sie die Möglichkeit, den digitalen Wandel der kommenden Jahre mitzugestalten. Sie gehörten zu den Trägern eines neuen Bildungsbegriffs, der Mint (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ins Zentrum stellt statt Bücher, Sprachen und weitere Ideale vergangener Zeiten.

Aber Vorsicht: Informatik und die anderen technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen sind komplex. Eine vergleichende Studie des Erziehungswissenschafters Franz Eberle lässt gar den Schluss zu: Sie sind schwieriger als alle anderen Fachbereiche, die man studieren kann. Bei kognitiven Fähigkeiten wie analytischem Denken, Lerntechnik und Selbstdisziplin schneiden Mint- und Medizinstudierende viel besser ab als angehende Ökonomen, Geisteswissenschafter, Juristen und Sozialwissenschafter. Von werdenden Lehrern ganz zu schweigen.

 

Roboter ersetzen den Menschen nicht – im Gegenteil

Sie möchten lieber etwas Handfestes machen und dennoch an ihre geistigen Grenzen gehen? Dann wäre vielleicht eine Polymechanikerlehre das Richtige für Sie. Wenn Sie die Matur gemacht haben, können Sie diese Lehre verkürzt absolvieren (zwei Jahre statt vier).

Die Maschinen und Anlagen, die von (angehenden) Polymechanikern bedient werden, sind in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Digitalisierung und Automation haben den Menschen jedoch nicht ersetzt, im Gegenteil. Polymechanikerinnen müssen Prozesse der digitalisierten Fertigung verstehen und jeden Schritt vorausdenken können. Computer und Roboter in der industriellen Herstellung sind immer nur so gut wie die Mitarbeiter, die sie programmieren.

Als «Polymech» wären Sie bereits in der Ausbildung begehrt. Sofern Sie dafür geeignet sind: Der Beruf will die besten Sekundarschüler und Maturanden für sich gewinnen, genauso wie Elektroniker oder Automatiker. Mathematik und Naturwissenschaften sollten zu ihren Stärken zählen.

Allerdings sollte man beim Gedanken an eine Umorientierung nicht bloss die nackten Zahlen des Arbeitsmarkts vor Augen haben. Ausprobieren geht über studieren. Zumal Personen, die Geistes- und Sozialwissenschaften studiert haben, in der Statistik von Adecco schlecht wegkommen: Die Mangelbranchen verlangen nach Fachkräften mit anderen Profilen. Im Kulturbereich hingegen, einem Sehnsuchtsort für viele Geisteswissenschafter, ist es umgekehrt: Es gibt ein Überangebot an qualifizierten Kandidaten. Lehrerinnen und Lehrer – ein Beruf, der den Mangel an Fachkräften internalisiert hat – sind bei Adecco ebenfalls erst auf den hinteren Plätzen zu finden (Rang 21).

Und falls Sie nun komplett verwirrt sind: nicht verzagen. Vielleicht hilft eine Standortbestimmung weiter. Unter diesem Link erfahren Sie mehr.

Robin Schwarzenbach, «Neue Zürcher Zeitung»

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