Salat ohne Sonne: In den Niederlanden tüfteln Startups am automatisierten Bauernhof, der die Agrarwirtschaft revolutionieren soll Während in den Niederlanden draussen die Landwirte gegen die Pläne der Regierung zum Abbau von Stickstoff protestieren, arbeiten drinnen verschiedene Startups an einer Revolution des Gemüseanbaus. Dabei geht es um nicht weniger als die Rettung des Planeten und die Ernährung von zehn Milliarden Menschen.

Während in den Niederlanden draussen die Landwirte gegen die Pläne der Regierung zum Abbau von Stickstoff protestieren, arbeiten drinnen verschiedene Startups an einer Revolution des Gemüseanbaus. Dabei geht es um nicht weniger als die Rettung des Planeten und die Ernährung von zehn Milliarden Menschen.

 

Es riecht leicht süsslich nach Erde und Pflanzen. Auf einem Regal in einem Industriegebäude am Rande Amsterdams stehen Sträusschen marokkanischer Minze in Reih und Glied. Die Firma PlantLab führt die laut eigenen Angaben grösste sogenannte Vertical Farm Europas. «Ich bevorzuge das amerikanische Wort für ‹indoor farming›», sagt Eelco Ockers, der Geschäftsführer der 2010 gegründeten Firma. «Sie nennen es ‹controlled environment agriculture›.» Das heisst Landwirtschaft in kontrollierter Umgebung.

Ohne Sonne kein Bio-Label

Das wichtigste Produkt für PlantLab ist der Eisbergsalat. Dieser wird angebaut, geerntet, geschnitten und in Plastikbeuteln verkauft. Zu den wichtigsten Abnehmern gehören derzeit Picnic, ein niederländischer Online-Supermarkt, der ein Verteilzentrum gleich im Nebengebäude hat, sowie ein Grosshändler, der Restaurantketten beliefert.

Preislich positioniert PlantLab seine Produkte im Bereich der normalen Convenience-Salate. Das Bio-Label könnten sie nicht führen, erzählt Ockers auf einem Rundgang, weil das Gemüse ohne Sonne wachse. Dabei verzichtet seine Firma auf Pestizide und braucht im Vergleich zu traditionellen Herstellern 95 Prozent weniger Wasser.

Auch ohne das Label hält Ockers die Qualität seiner Produkte für überlegen und möchte sie deshalb mittelfristig zu den höheren Bio-Preisen verkaufen. Die Marke, die er für seine Salate verwendet, nennt er Plant Paradise. Denn er kann im Gegensatz zu traditionellen Gemüsebauern im Freiland oder in Gewächshäusern alle Parameter optimieren. Es ist für die Pflanzen nie zu trocken, nie zu nass, nie zu windig, nie zu sonnig in den Produktionseinheiten.

Diese sind jeweils 25 Meter lang und 10 Meter breit und über zwei Stockwerke verteilt. Derzeit sind etwa 8000 von 15 000 möglichen Quadratmetern in Betrieb.

Vollständige Automatisierung als Ziel

Ockers öffnet die Türe einer dieser auch an den anderen Firmenstandorten identisch gebauten Einheiten. Sie rollt auf Knopfdruck wie ein Garagentor automatisch nach oben. In dem Raum steht Crispita-Salat in Reih und Glied, die jüngsten Pflanzen am einen, die schon fast für die Ernte bereiten am anderen, entfernten Ende.

Die von einer Maschine gepflanzten Samen werden in Tablets auf der einen Seite hineingeschoben. Dann schwimmen sie auf einem nährstoffhaltigen Substrat und wachsen, bis sie nach 16 Tagen zur Ernte bereit sind. PlantLab kann diesen Salat also bis zu 23 Mal pro Jahr ernten.

Besonders ins Auge sticht das violettfarbige Licht. Darin sehen die grünen Pflänzchen aus, als wären sie schwarz. Ockers ist auf die Lampen besonders stolz. Seine Firma hat sie, wie fast die gesamte Technologie, selbst entwickelt.

Im oberen Geschoss läuft seit Juli ein Testbetrieb, in dem Produktion und Ernte vollständig automatisiert werden sollen. Noch ist das nicht der Fall. Obwohl Ockers sagt, dass seine Salate alle identisch aussähen, sind in einem gekühlten Raum im Erdgeschoss vier Männer bei lauter Musik damit beschäftigt, grüne Salatblätter in einem grossen Gefäss auf zu lange Stengel zu durchsuchen.

Bei Tomaten und Gurken nicht konkurrenzfähig

Insgesamt beschäftigt PlantLab 120 Personen und ist noch nicht profitabel. Das habe mit den umfangreichen Investitionen zu tun, sagt Ockers. Den Salat verkaufe man zwar mit einem Gewinn, doch sei das abgesetzte Volumen noch eher gering. Die stärker automatisierte Produktionslinie soll die Kosten senken. Auch Tomaten und Gurken könne man herstellen, doch seien die Marktpreise in beiden Fällen derart niedrig, dass für sie keine profitable Produktion möglich sei.

Ebenfalls nicht hilfreich ist, dass die Energiekosten so stark gestiegen sind. Man ist zwar kaum auf Erdgas angewiesen, wie die niederländischen Bauern, die in Gewächshäusern ihre Tomaten züchten. Dafür braucht die Firma viel Strom. Die Kosten schmerzten derzeit, sagt Ockers. Er werde deshalb die Preise erhöhen müssen.

Noch ist Handarbeit nicht überflüssig geworden: Mitarbeiter sortieren zu lange Stengel aus. Bild: Bram Janssen

Vertical Farming ist wie ein Zehnkampf für Startups

Das zeigt: Vertical farming ist ein extrem komplexes Unterfangen. Wer es beherrschen will, muss in vielen Disziplinen glänzen. Es ähnelt in gewisser Weise einem Zehnkampf für Startups.

Zu den Disziplinen gehören Biologie (Pflanzenwachstum optimieren), Physik (Licht und Atmosphäre erzeugen und konstant halten), Automatisierung (maschinell säen, pflegen und ernten), Betriebswirtschaftslehre (Herstellung von Produkten mit konkurrenzfähiger Kostenstruktur) sowie Marketing (den Konsumenten von Gemüse überzeugen, das nie an der Sonne war).

Geheimprojekt eines Ehepaars

In dieser «Sportart» versucht sich seit einiger Zeit auch das niederländische Unternehmerpaar Gertjan und Lianne Meeuws. Sie heirateten 1986 und gründeten drei Jahre später ihre erste Firma. Heute betreiben sie die Gesellschaft «Seven Steps To Heaven» in Eindhoven.

«Nach siebzehn Jahren Investitionen und dem Begehen von dummen Fehlern sind wir bereit, die vertikale Landwirtschaft überall anzuwenden», sagt Gertjan Meeuws. Die grösste Herausforderung seien dabei aber nicht die Fehler selbst gewesen, sondern diese zu überleben, aus ihnen zu lernen und die daraus gezogenen Lehren anzuwenden.

Bei einem Besuch in Eindhoven gibt es allerdings wenig zu sehen. Das Versuchslabor ist leer, die Pflanzen sind weggeräumt. In den Büroräumlichkeiten in der obersten Etage eines ehemaligen Fabrikgebäudes des niederländischen Konzerns Philips ist kein Mitarbeiter weit und breit zu sehen. Nur an den Wänden hängen Pläne, die Gertjan und Lianne Meeuws allerdings nicht kommentieren wollen.

Ihr 80 Personen umfassendes Team ist derzeit nämlich an einem geheimen Ort damit beschäftigt, den Prototyp für eine grosse Vertical Farm zu entwickeln und zu installieren. Die Meeuws sind überzeugt, die richtige Rezeptur gefunden zu haben, das optimale Zusammenspiel aller Disziplinen, um marktfähige Produkte zu lancieren.

Christoph G. Schmutz, Amsterdam und Eindhoven, «Neue Zürcher Zeitung»

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