Viertagewoche ohne Lohneinbusse – zu schön, um wahr sein? In einer neuen Schweizer Bevölkerungsumfrage stösst die Vier-Tage-Arbeitswoche auf grossen Anklang. Doch die entscheidende Frage wurde gar nicht gestellt.

In einer neuen Schweizer Bevölkerungsumfrage stösst die Vier-Tage-Arbeitswoche auf grossen Anklang. Doch die entscheidende Frage wurde gar nicht gestellt.

 

Arbeitszeitverkürzungen können für Betriebe auf Personalsuche ein gutes Marketingmittel sein. Bild: unsplash

«Würden Sie eine Verkürzung der Arbeitswoche auf 4 Tage begrüssen oder ablehnen?» Diese Frage in einer Erhebung des Instituts Sotomo bei rund 2000 Personen in der Schweiz brachte, was sie bringen musste: viele positive Antworten. Rund zwei Drittel würden die Verkürzung der Arbeitswoche «sehr» oder «eher» begrüssen.

Der Fall ist ein Lehrbuchbeispiel einer Frage, welche die Tendenz des Ergebnisses schon vorwegnimmt. Man fragt nach etwas Wohlklingendem (hier: kürzere Arbeitszeit) und verzichtet auf jegliche Erwähnung von möglichen Kosten oder Zielkonflikten (hier zum Beispiel: weniger Lohn oder mehr Stress). Die Aussagekraft strebt gegen null.

Doch das Umfrageergebnis scheint in einen internationalen Trend der letzten Jahre zu passen. Für Furore hatte ein Experiment in Island mit Arbeitszeitverkürzungen gesorgt. Der Evaluationsbericht von 2021 sprach von einem «bedeutenden Erfolg». Das von der nationalen Regierung und der Stadt Reykjavik gestartete Experiment umfasste rund 2500 Angestellte des öffentlichen Sektors. Die wöchentlichen Arbeitszeiten wurden bei vielen Beteiligten von 40 auf 35 oder 36 Stunden gesenkt – ohne Lohnreduktion.

Die Teilnehmer zeigten sich gemäss dem Bericht meist sehr zufrieden mit dem Experiment: gleicher Lohn, mehr Zeit mit der Familie, insgesamt weniger Stress. Und die Kernthese der Evaluation: Insgesamt habe die Reduktion der Arbeitszeiten bei gleichem Personalbestand nicht zu einer Einbusse bei den Dienstleistungen geführt. Und dies obwohl die Überstunden nicht oder nur in geringem Ausmass zunahmen. Es gab somit offenbar erhebliche Produktivitätssteigerungen.

Die Rede war von einer «effizienteren Arbeitsorganisation» unter dem Druck der verkürzten Arbeitszeiten. Mehrere Teilnehmer erwähnten als Beispiel die Reduktion von Sitzungen. Das ist meistens eine gute Idee. Genannt wurden auch «Änderungen» der Öffnungszeiten – was eher wie eine Verschlechterung der Dienstleistung klingt.

Gründe zum Zweifeln

Doch inwieweit lassen sich die Erfahrungen dieses Experiments verallgemeinern? Für diesen Anspruch müsste man die «Versuchskaninchen» zufällig auswählen, doch dieses Experiment beruhte auf der Selbstauswahl der Teilnehmer. Und die Betroffenen wussten, dass sie unter der Lupe waren, was deren Verhalten und auch deren Einschätzungen für die Evaluation beeinflusst haben mag. Zudem war das Experiment auf den öffentlichen Sektor beschränkt.

Laut dem Evaluationsbericht hat der gezeigte Erfolg des Experiments zu einer breiten Anwendung von Arbeitszeitverkürzungen in Island geführt: Bis Mitte 2021 hätten Vereinbarungen der Sozialpartner Arbeitszeitverkürzungen enthalten, die rund 170 000 Arbeitnehmer und damit 86 Prozent aller Erwerbstätigen abdeckten.

Die beschlossenen Arbeitszeitverkürzungen hielten sich allerdings in Grenzen. Zu den genannten Beispielen aus dem Privatsektor zählten eine Reduktion von 65 Minuten pro Woche und eine solche von 35 Minuten pro Woche. Die Verkürzung der Arbeitszeiten im öffentlichen Sektor hat überdies laut dem Bericht «im Gegensatz zum Experiment» zu höheren Kosten von umgerechnet gut 30 Millionen Franken pro Jahr geführt, weil der Personalbedarf gestiegen sei.

Auch in anderen europäischen Ländern sind Arbeitszeiten auf der politischen Agenda. In Belgien können Arbeitnehmer neu beantragen, ihre 38-Stunden-Woche in vier statt fünf Tagen zu absolvieren; die Gesamtarbeitszeit senkt dies allerdings nicht. In Spanien läuft zurzeit ein Pilotprojekt mit einer Vier-Tage-Arbeitswoche (total 32 Stunden) ohne Lohneinbusse – aber mit einer staatlichen Subvention für teilnehmende Arbeitgeber zur Deckung eines Teils der Mehrkosten.

Für Interesse sorgte auch ein international koordinierter Versuch von 2022 mit der Viertagewoche (32 statt 40 Stunden). Laut dem Evaluationsbericht einer internationalen Forschergruppe waren in den ersten beiden Etappen 33 Unternehmen mit insgesamt rund 900 Angestellten in diversen Ländern beteiligt.

Die Angestellten und die Arbeitgeber zeigten sich laut dem Bericht mehrheitlich zufrieden. Die effektiven Arbeitszeiten sanken im Mittel nicht um acht Stunden, aber immerhin um sechs Stunden. Die meisten beteiligten Angestellten und Arbeitgeber wollen an der Viertagewoche festhalten. Über die Hälfte der Arbeitnehmer meldete ein erhöhtes Arbeitstempo – was man positiv werten kann (mehr Effizienz) oder negativ (mehr Stress).

Steigt die Produktivität?

Auch in der Schweiz gibt es einzelne Betriebe, die eine Viertagewoche eingeführt haben, wie eine Masterarbeit an der Berner Fachhochschule zeigt. Für Firmen, die händeringend auf Personalsuche sind, können Arbeitszeitverkürzungen ein wichtiges Marketinginstrument sein. Den vielbeklagten Arbeitskräftemangel auf gesamtwirtschaftlicher Ebene würde dies allerdings nur lindern, wenn die Produktivität stärker steigt, als die Arbeitszeit sinkt. Dies ist insgesamt äusserst unwahrscheinlich.

Doch steigt bei Verkürzung der Arbeitszeit wenigstens die Produktivität pro Arbeitsstunde – womit die Löhne weniger stark sinken müssten als die Arbeitszeit? Aus theoretischer Sicht ist die Sache unklar. Eine Arbeitszeitverkürzung kann einerseits Motivation und Gesundheitszustand der Angestellten verbessern, Krankheitsabwesenheiten reduzieren und den Arbeitgeber zu effizienteren Abläufen zwingen.

Anderseits können mit einer Arbeitszeitverkürzung auch der Stress und der organisatorische Aufwand zunehmen. Zudem werden bei Stellen mit hohen fixen Informationskosten diese Kosten auf eine kürzere Arbeitszeit verteilt, was die Effizienz senkt.

Es gebe wenig schlüssige Forschungsliteratur dazu, sagt Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte bei der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Studien zur Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich ab dem Jahr 2000 zeigten ein uneinheitliches Bild. Gewisse Überblicksarbeiten zur internationalen Forschungsliteratur orten immerhin einen statistischen Zusammenhang zwischen Arbeitszeitverkürzungen und Verbesserung des Gesundheitszustands. Ob dahinter auch ein ursächlicher Zusammenhang steckt, ist oft unklar.

Teilzeit dank Wohlstand

Klar ist: In der Welt und in der Schweiz gibt es einen langfristigen Trend zur Arbeitszeitverkürzung – und dieser dürfte weitergehen. Produktivitätsfortschritte wurden und werden zum Teil in Form von Lohnerhöhungen und zum Teil via Arbeitszeitverkürzungen weitergegeben. Im 19. Jahrhundert waren in der Schweiz noch 60- bis 70-Stunden-Wochen die Regel, bis 1950 sanken die typischen Arbeitszeiten auf 45 bis 50 Stunden, nun sind wir bei der 40-Stunden-Woche.

Stark am Zunehmen ist überdies die Teilzeitarbeit (mit Lohneinbusse). Auch dieser Trend dürfte weitergehen. Arbeitsmarktforscher Michael Siegenthaler ortet Indizien dafür, dass es hierzulande gemessen an der Nachfrage ein Unterangebot an Teilzeitstellen gibt. In der Schweiz ist der hohe und weiter wachsende Anteil der Teilzeitbeschäftigten ein Wohlstandsphänomen: Man kann es sich leisten. 2021 hatten 37 Prozent der Erwerbstätigen ein Erwerbspensum unter 90 Prozent. Die durchschnittliche Arbeitszeit aller Erwerbstätigen fiel in den letzten dreissig Jahren von 35,3 auf 30,6 Stunden. Faktisch ist also die Viertagewoche für viele schon Realität.

Hansueli Schöchli, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: