Was kann ich gut? Was will ich wirklich im Berufsleben? Die Fragen sind oft komplexer als gedacht. Eine Standortbestimmung kann helfen. Versuch einer Beratung in Basel.

Die Fragen sind oft komplexer als gedacht. Eine Standortbestimmung kann helfen. Versuch einer Beratung in Basel.

Wo entlang im Berufsleben? Ein Sparringpartner in einer Laufbahnberatung hilft bei der Orientierung. Bild: Karin Hofer, NZZ

«Kann ich entscheiden?» – «Wie bin ich?» – «Auf was freue ich mich?» – «Was macht Sinn?»

Die farbigen Karten auf dem Gestell im Gang lassen erahnen, was einen im Haus der Berufsbildung in Basel erwartet: viele Fragen, die man mit einer Laufbahnberaterin zwar besprechen kann – die man aber vor allem sich selber stellen und auch beantworten muss.

Ich habe mich für eine Standortbestimmung von Viamia angemeldet: ein Beratungsangebot für über 40-Jährige, die herausfinden wollen, wo sie beruflich stehen. Die ihre Fähigkeiten überprüfen und wissen wollen, was sie sonst noch machen könnten aus ihren Möglichkeiten. Die Beratung ist kostenlos und wird in allen Kantonen angeboten.

Sollte man unzufrieden sein im Job, um eine Standortbestimmung vorzunehmen? Verunsichert gar, weil man sich Sorgen macht um die eigene «Arbeitsmarktfähigkeit»? Weil man sich selber nicht (mehr) für konkurrenzfähig hält für den Fall, dass man sich eines Tages gegen andere durchsetzen muss in einem harten Bewerbungsverfahren?

Siegfried Bodenmann, mein Laufbahnberater in Basel, der vor allem eine wichtige Quelle ist für diesen Text, sagt: «Eine Standortbestimmung ist erst einmal eine Standortbestimmung.»

Viamia und andere Wege

Die Standortbestimmung von Viamia ist ein Beratungsangebot zur Förderung von inländischen Erwerbstätigen. Initiiert wurde es 2019 vom Bundesrat. Ursprüngliche Zielgruppe waren schwer vermittelbare Personen über 40, in Kantonen wie Basel-Stadt gehören aber auch viele Qualifizierte zu den Klienten.

Kommerzielle Anbieter führen ebenfalls Standortbestimmungen durch. Eine der wichtigsten Anlaufstellen in Zürich ist das Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Bodenmann versteht sich als Sparringpartner: Er will seine Klienten erzählen lassen von ihrem beruflichen Werdegang und ihrer persönlichen Entwicklung, Pro- und Contra-Argumente mit ihnen austauschen, auf blinde Flecken aufmerksam machen. Vergessene Stärken hervorheben zum Beispiel – damit seine Gesprächspartner den zentralen Punkt einer solchen Beratung für sich selbst klären können: Was will ich wirklich?

Life-Life-Balance

Bodenmann sagt: «Eine scheinbar einfache Frage mit sehr komplexen Antworten, die sich ändern können mit der Zeit.» Nicht wenige seiner Kunden sagen, sie seien eigentlich zufrieden. Job, Gehalt, Karriere: Alles scheint zu passen, zumindest auf den ersten Blick.

Doch dann kommen sie ins Grübeln. Stimmt die Work-Life-Balance? (Wenngleich Arbeit ein Teil des Lebens ist und wir eher von Life-Life-Balance sprechen sollten.) Ist die Arbeit zu stressig geworden – oder gar langweilig? Will man das noch 20 Jahre lang machen, bis zur Pensionierung? Auch die vielbemühte Midlife-Crisis kann ein Grund für eine Standortbestimmung sein.

Bei mir ist das anders. Ich bin 43, aber ich bin nicht nur eigentlich, sondern wirklich zufrieden in meinem Job. Oft bin ich sogar richtig glücklich. Die Phase grundsätzlicher Zweifel jedenfalls habe ich hinter mir. In solchen Fällen kann eine Standortbestimmung auch eine Horizonterweiterung sein.

Das zeigt sich bereits an profanen Dingen wie dem Lebenslauf, den ich dem Laufbahnberater vor dem Termin in Basel habe zukommen lassen. Die wichtigsten Stationen des Werdegangs kurz aufgelistet und beschrieben, die derzeitige Position zuoberst: Da kann man nicht allzu viel falsch machen. Oder etwa doch? Man kann. Mein Lebenslauf hat kein Foto. Der Titel des Dokuments lautet «Curriculum Vitae». Das war schon immer so, bei unzähligen Bewerbungen, seit Jahren. Ich wollte damit offenbar signalisieren, dass ich eine klassische Bildung genossen hatte. Ich hatte Latein bis zur Matur.

Bodenmann sagt: «Verbesserungswürdig.» Attraktive Stellen führen zu sehr vielen Bewerbungen. Bei zweihundert Dossiers, die Personalverantwortliche oder potenzielle Vorgesetzte bisweilen zu sichten haben, ginge ein derart altmodischer Auftritt unter. Zumal manche Unternehmen bereits dazu übergegangen sind, Bewerbungen von Algorithmen prüfen zu lassen.

Daher: Name in den Titel, professionelles Foto obendrauf, und vor allem: Der Lebenslauf sollte eine Geschichte erzählen. «Versuchen Sie, ein Narrativ daraus zu machen. Verbinden Sie Ihren Werdegang mit Ihrer persönlichen Entwicklung.» Auch in den sozialen Netzwerken. Mein Linkedin-Profil ist ebenfalls verbesserungswürdig.

Der Rat des Beraters: Man sollte etwas preisgeben von sich. Das können zwei, drei packende Sätze sein, die rekrutierende Unternehmen dazu motivieren, mehr über einen zu erfahren. Besonders wichtig ist das bei Personen, die sich neu orientieren und vielleicht etwas ganz anderes machen wollen als bisher.

Gärtner werden?

Was wäre eine Alternative für mich, rein theoretisch? Ich liebe Blumen, und ich bin gerne draussen in der Natur. Im Frühling gehe ich gerne auf den Markt, um frische Setzlinge zu kaufen für meine Töpfe und Kisten zu Hause: Margeriten, Geranien, Petunien, Goldmarie, Aztekengold, Bacopa. Die Blumen dann hinein in die Erde, etwas Langzeitdünger druntermischen, festdrücken, angiessen – ein schönes Gefühl. Ich könnte vielleicht Gärtner werden.

Wie wäre dieser Berufswunsch zu vermitteln? Bodenmann dreht den Spiess um, mit einem fiktiven Szenario: Ich bin Gärtnermeister und suche einen Lehrling. Was mache ich mit einem Kandidaten, der studiert hat, seit 20 Jahren Journalist ist und sich jetzt bei mir bewirbt um einen Ausbildungsplatz? Was möchte ich hören von jemandem mit einem solchen Hintergrund? Eine komische Vorstellung, muss ich zugeben. Mir fällt keine überzeugende Antwort ein.

Der Laufbahnberater hilft weiter: Der Blumenliebhaber könnte zum Beispiel betonen, dass er schon immer gern gegärtnert habe (was zutrifft). Oder dass er weiterhin etwas Sichtbares machen wolle (was ebenfalls stimmen würde).

Dann schauen wir uns die Website berufsberatung.ch an, eine Plattform, die bei Umorientierungen fast immer zum Zug kommt, weil sie sehr informativ ist. Bei «Gärtner/in EFZ» steht Erstaunliches. Als Voraussetzungen sind unter anderem aufgeführt: Freude an der Arbeit im Freien und im Team, gute Beobachtungsgabe, Geduld und Genauigkeit, Freude am Gestalten – Eigenschaften also, die Journalisten ebenfalls auszeichnen.

Bodenmann betont: «Jeder bringt etwas mit, was bei einer Umorientierung auch im neuen Beruf gefragt wäre.» Das gelte es kenntlich zu machen in der Bewerbung. Wir machen weiter bei der Standortbestimmung. Vor dem Termin in Basel habe ich einen mehrseitigen Fragebogen ausgefüllt, mit eher wenig aussagekräftigen Resultaten: Mein Arbeitsmarktwissen halte ich für wenig ausgeprägt. / Meine Arbeit ist mir sehr wichtig. / Über Laufbahnmöglichkeiten informiere ich mich eher nicht. / Über meine Karriereziele bin ich mir nur so halb im Klaren.

Karten legen

Was tun damit? Nicht viel. Der Laufbahnberater hält diese Standardfragen ebenfalls für wenig interessant. Spannender ist das Kartenset, mit dem wir uns gegen Ende des mehrstündigen Treffens beschäftigen: «PIF: Persönlichkeit, Interessen, Fähigkeiten». 90 Karten, 90 Aussagen, die zutreffen, so halb zutreffen oder nicht zutreffen auf einen. Mit feinen Unterschieden.

Ein Beispiel: «Ich bin gerne der Chef.» Trifft zu, was eigene Texte, Recherchen, Projekte angeht. «Ich möchte der Chef sein.» Trifft nicht zu, was eine Leitungsfunktion im engeren Sinn angeht, da man als Chef viel weniger oder im schlimmsten Fall überhaupt nicht mehr dazukommt, eigene Vorhaben umzusetzen. Oder: «Ich bin tolerant.» Die Karte kommt zuerst auf den So-halb-Stapel, weil ich tolerant (was ich hoffentlich bin) mit geduldig verwechselt hatte (was ich häufig nicht bin). Aber da ich künftig etwas toleranter mit mir selber sein will, schafft sie es doch noch auf den Ja-Stapel.

Die Auswertung nach drei Farben und sechs Kategorien zeigt: Ich bin ein Denker-Macher-Helfer-Typ, der aber auch kreativ sein will und manchmal eigensinnig ist. Was bin ich nicht? Typ Verkäufer, Typ Verwalter. Na ja. Das Kartenset schmeichelt mir. Vieles wusste ich vorher schon. Aber es tut dennoch gut, sich einmal so spiegeln.

Es ist gut so, wie es ist

Viele weitere Fragen müssen offenbleiben. Wie kann man sich abgrenzen vom Job? Warum fällt es oft derart schwer, seine Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen – gegenüber der Chefin, aber auch gegenüber sich selbst? Sind wir zu forsch zu unseren Arbeitgebern? Sollten Erwerbstätige nicht auch demütig sein? Viamia-Beratungen in Basel gehen meist über mehrere Termine. Dafür fehlt hier die Zeit.

Die intensive Selbstreflexion hat sich trotzdem gelohnt. Wahrscheinlich werde ich doch nicht Gärtner. Dafür schreibe ich viel zu gern. Und als Hobby sind Blumen genauso schön.

 

Robin Schwarzenbach, «Neue Zürcher Zeitung»

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