Wer nicht ins Büro will, kann ja kündigen: Immer mehr Unternehmen zwingen ihre Angestellten, das Homeoffice aufzugeben Nach den jüngsten Massenentlassungen üben Amerikas Konzerne Druck auf ihre Angestellten aus und beordern sie zurück aus dem Home-Office. Trotzdem habe die Pandemie Amerikas Arbeitswelt langfristig verändert, sagen Experten.

Nach den jüngsten Massenentlassungen üben Amerikas Konzerne Druck auf ihre Angestellten aus und beordern sie zurück aus dem Home-Office. Trotzdem habe die Pandemie Amerikas Arbeitswelt langfristig verändert, sagen Experten.

 

Der Chef von Walt Disney Co., Bob Iger, kündigte an, 7000 Arbeitsplätze streichen und 5,5 Milliarden Dollar einsparen zu wollen. Bild: unsplash

Bei Amazons Belegschaft kochen zurzeit die Gemüter hoch. Nein, nicht weil der Konzern eine der schwersten Krisen der Firmengeschichte erlebt und fast keinen Gewinn mehr verzeichnet. Auch nicht weil der Aktienkurs um 30 Prozent eingebrochen ist. Oder weil der CEO Andy Jassy 18 000 Mitarbeiter entlassen hat.

Die Angestellten empört, dass sie nun wieder regelmässig ins Büro kommen müssen. Ab 1. Mai, so ordnete Jassy es jüngst an, müssen «Amazonians» wieder mindestens drei Tage pro Woche von einer Firmenniederlassung aus arbeiten. Schluss mit der seit eineinhalb Jahren geltenden kompletten Heimarbeit. Das werde die Zusammenarbeit vereinfachen und die Firmenkultur in Krisenzeiten stärken, argumentiert der Firmenchef. Daraufhin beschwerten sich Tausende Mitarbeiter in einem Protestbrief.

Die Firmen kontrollieren, wer sich an die neue Büropflicht hält

Auch andere CEO kehren den grosszügigen «Work from anywhere»-Regeln der Pandemie den Rücken. Im Autokonzern General Motors und bei der Kaffeekette Starbucks müssen Angestellte seit Ende Januar mindestens drei Tage pro Woche im Büro arbeiten, ebenso beim Unterhaltungskonzern Warner Bros. Beim Konkurrenten Disney sind es gar vier Tage Präsenzpflicht pro Woche.

Bei Goldman Sachs arbeiten nun zwei Drittel der Belegschaft wieder komplett vom Büro aus – fast so viele wie vor der Pandemie, sagt der CEO David Solomon, ein bekennender Gegner von Heimarbeit. Beim Konkurrenten JP Morgan muss die Hälfte der Belegschaft die Arbeitswoche im Büro verbringen, die andere Hälfte darf weiter ein paar Tage von zu Hause aus arbeiten. Um zu messen, ob die Büropflicht auch eingehalten wird, erfassen beide Banken, wie oft die Mitarbeiter ihre Ausweise in den Bürogebäuden scannen.

Die Einschränkungen der Corona-Pandemie sind schon seit Monaten aus dem öffentlichen Leben in den USA verschwunden, nun ziehen auch die Firmen nach. Besonders drastisch fiel die Kehrtwende beim Software-Konzern Salesforce aus: 2021 noch hatte der CEO und Gründer Marc Benioff versprochen, Angestellte könnten künftig «von überall aus arbeiten». Auch vergangenen Sommer hatte er Firmen kritisiert, die ihre Angestellten zurück ins Büro beorderten: Solche «Return to office»-Zwänge würden nie funktionieren, sagte er an einer Konferenz.

Doch angesichts eines schlechten Geschäftsgangs und Druck von aktivistischen Investoren muss Benioff zurückrudern. Bei Salesforce gibt es nun Pläne, dass die Belegschaft je nach Position drei bis vier Tage die Woche ins Büro kommen muss. Auch Goodies wie ein monatlicher «Wellbeing»-Tag und Ausflüge ins firmeneigene Retreat-Center wurden den Mitarbeitern gestrichen. Statt Wellness herrsche bei Salesforce nun Leistungsdruck, heisst es.

Die Machtbalance verschiebt sich zugunsten der Firmen

Ein Grund für den Wandel ist, dass sich in letzter Zeit die Machtverhältnisse zwischen Angestellten und Arbeitgebern verschoben haben. Viele Tech-Konzerne wuchsen während der Pandemie so rasant, dass sie gar nicht schnell genug neue Mitarbeiter einstellen konnten, und führten grosszügige «Work from anywhere»-Regelungen ein. Einige Unternehmen warben mit der Viertagewoche bei gleichem Lohn; andere, wie Meta und Airbnb, positionierten sich neu als «Remote first»-Firmen.

Je flexibler die Richtlinien einer Firma, desto attraktiver schien sie als Arbeitgeber zu sein.

Doch damit ist nun Schluss. In den USA zeichnet sich eine Rezession ab, und bei vielen Konzernen, allen voran Big Tech, brachen jüngst die Gewinne ein. Bei Salesforce, Amazon und Disney kamen die Ankündigungen zur neuen Präsenzpflicht, kurz nachdem sie Tausende Mitarbeiter entlassen hatten.

 

Das war kein Zufall, meint Andy Challenger von der Coachingfirma Challenger, Gray & Christmas. Vor der Drohkulisse von Kündigungen sähen sich die Arbeitgeber in einer stärkeren Position, Forderungen zu stellen, sagte er gegenüber der «Washington Post». «Wir erleben einen Moment, in dem die Arbeitgeber einen Wandel in der Machtbalance spüren.» Gleichzeitig fürchteten viele Angestellte, dass sie eher entlassen würden, wenn ihre Chefs sie nicht regelmässig im Büro sähen, sagt Kate Lister von der Marktforschungsfirma Global Workplace Analytics.

Hinter den jüngsten Anordnungen zur Büropflicht stecke bisweilen auch der Versuch, Mitarbeiter zu vertreiben, sagte Wendy Hamilton, CEO der Bürosoftwarefirma Techsmith, gegenüber der BBC – frei nach dem Motto: Wer nicht ins Büro zurückkommen wolle, der könne ja kündigen. Ein Beispiel dafür ist Twitter, wo mehrere Mitarbeiter die Firma verliessen, nachdem der neue CEO Elon Musk die «Work from anywhere»-Regelung kurzfristig aufgehoben hatte. Firmen sparen sich in solchen Fällen teure Abfindungspakete.

Weniger Stellen mit Heimarbeit werden ausgeschrieben

Auch in dem professionellen Netzwerk Linkedin zeigt sich, dass das Angebot an «remote jobs» sinkt. Machten derartige Stellenausschreibungen im März 2022 noch gut 20 Prozent aus, waren es im Januar noch 13 Prozent.

Damit einhergehend stieg jüngst auch die Belegungsrate in Büroräumen: Zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie erreichte sie im Januar in den zehn grössten Städten der USA wieder 50 Prozent. Sie fluktuiert aber stark im Verlauf der Woche: Dienstag und Mittwoch haben sich als die Tage durchgesetzt, an denen die meisten Firmen ihre Angestellten wieder im Büro haben wollen.

 

Doch wer glaubt, dass der Arbeitsmarkt nach der Pandemie nun wieder so aussehen wird wie vorher, der dürfte sich irren.

Nicholas Bloom, Ökonom der Stanford-Universität, weist darauf hin, dass sich das Umfeld in den USA enorm zugunsten der Heimarbeit verändert habe. Bloom forscht seit zwanzig Jahren zu flexiblen Arbeitsformen. Er verweist auf Langzeitstudien, gemäss denen der Anteil der Arbeitstage, die Amerikaner im Home-Office verbringen, vor der Pandemie bei gerade einmal 5 Prozent lag; über vierzig Jahre hinweg hatte dieser kaum zugenommen. Im März 2020 sei die Zahl dann auf mehr als 60 Prozent gesprungen und habe sich nun bei rund 30 Prozent eingependelt. «Bei diesem Wert dürfte es auch in Zukunft bleiben», sagte Bloom jüngst in einem Podcast der Stanford-Universität. Zwei, drei Tage im Büro arbeiten, zwei, drei Tage von zu Hause – das sei die neue Norm.

 

Für Blooms These spricht auch eine jüngst veröffentlichte Umfrage des Flex Index der Softwarefirma Scoop unter mehr als 3000 amerikanischen Firmen: So soll die Hälfte zwar wieder die Präsenzpflicht eingeführt haben, vor allem für niedrigqualifizierte Arbeiter. Doch gut 20 Prozent verfolgten ein hybrides Arbeitsplatzmodell, und 30 Prozent erlaubten den Angestellten weiterhin, komplett von zu Hause zu arbeiten. Es scheint, als habe die Mehrheit der amerikanischen Firmen erkannt, dass die Zeiten der fünf Tage im Büro von 9 bis 17 Uhr vorbei sind.

 

Nicht nur Arbeitnehmer schätzen die Heimarbeit – auch aus Sicht der Firmen spricht einiges für ein hybrides Arbeitsplatzmodell. Die Mitarbeiter sind zufriedener. In einer von Bloom mitgeleiteten Studie sank die Rate, mit der Angestellte kündigten, um 35 Prozent, wenn eine Firma regelmässig Heimarbeit erlaubte. Mitarbeiter schätzten die Flexibilität, an zwei oder drei Tagen von zu Hause aus arbeiten zu dürfen, gar so sehr wie eine Gehaltserhöhung um 5 Prozent.

Gleichzeitig zeigen mehrere Untersuchungen, dass Heimarbeit die Produktivität der Angestellten leicht steigert – um wie viel genau, unterscheidet sich jedoch von Studie zu Studie. Bloom schätzt das Plus auf 3 bis 5 Prozent.

Zudem spart man im Home-Office Zeit ein, die sonst fürs Pendeln benötigt wird. In den USA sind das gemäss einer im Januar veröffentlichten Untersuchung im Schnitt 55 Minuten täglich – wobei sich die Ersparnis je nach Landesregion enorm unterscheidet. Die gute Nachricht für die Arbeitgeber: 40 Prozent dieser eingesparten Zeit, also gute 20 Minuten, verbringen die Amerikaner länger mit Arbeiten.

Marie-Astrid Langer, San Francisco, «Neue Zürcher Zeitung»

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