Investition in die Zukunft Mit einer guten Nachwuchsförderung lässt sich zwar der Fachkräftemangel nicht beheben, aber deutlich mildern. Gut dran sind KMU, die ihre Lehrenden im Betrieb halten können.

Mit einer guten Nachwuchsförderung lässt sich zwar der Fachkräftemangel nicht beheben, aber deutlich mildern. Gut dran sind KMU, die ihre Lehrenden im Betrieb halten können.

 

Die Lehrlingsausbildung spielt für die Nachwuchsförderung in den einzelnen Branchen eine entscheidende Rolle. Bild: Adobe Stock

Gut und gerne die halbe Miete. «Mit einer stringenten Nachwuchsförderung kann dem Fachkräftemangel entscheidend entgegengewirkt werden», ist Christian Zumstein, Partner des Beratungsunternehmens BDO Solothurn, überzeugt. «Wir bei der BDO haben beispielsweise Abteilungen und Niederlassungen, in denen rund 50 Prozent der Mitarbeitenden bereits die Lehre bei uns gemacht haben. Gute Lehrlingsarbeit reduziert also den Fachkräftemangel in bedeutendem Ausmass.»

Der Schweizerische Gewerbeverband SGV empfiehlt, dem Fachkräftemangel bereits so früh wie möglich entgegenzuwirken, also bei der Berufswahl: «Der SGV und die Branchen müssen aufzeigen, dass die Berufslehre weiterhin eine gute Zukunft hat und auch daran erinnern, dass die Arbeitslosigkeit in Lehrberufen geringer ist als bei akademischen Berufen.» In Bezug auf die Weiterbildung lasse sie zudem alle Optionen offen: Zu denken sei beispielsweise an die höhere Berufsbildung mit Berufsprüfungen, höheren Berufsprüfungen und Höheren Fachschulen, aber auch an die Möglichkeit, via Berufsmaturität (BM) an die Fachhochschule oder sogar via Passarelle an die ETH/Uni überzutreten.

Die Trümpfe liegen somit bei der Berufsbildung. Allerdings: «Es braucht mehr Anstrengungen, um die eigene Firma und die Berufsbildung bei jungen Leuten bekannt zu machen», erklärt Alexander Fust vom Schweizerischen Institut für KMU und Unternehmertum der Universität St. Gallen. Bei den ausgebildeten Fachkräften könnten zum Beispiel ehemalige Lehrlinge wieder angesprochen werden oder aktuelle Mitarbeitende gegen eine Prämie neue Mitarbeitende werben. Je nach Alter und Zielgruppe sind auch digitale Kanäle wie LinkedIn, Instagram, Facebook oder in wenigen Fällen sogar Tiktok geeignete Rekrutierungsinstrumente. 

Lehrlingsausbildung als zentraler Pfeiler für die KMU

Ein weiterer Ansatz ist gemäss Fust die Gewinnung von Quereinsteigern. In diesem Zusammenhang dürfe aber auch die Bindung der bestehenden Mitarbeitenden nicht vergessen werden. Es lohne sich, eine tiefe Fluktuation anzustreben. Dazu kann es etwa helfen, die Mitarbeitenden nach den eigenen Stärken und Schwächen des Arbeitgebers zu befragen. 

Domagoj Arapovic, Ökonom bei Raiffeisen Schweiz, erwähnt die zentrale Bedeutung der Nachwuchsförderung: «Mit einer guten Lehrlingsausbildung leisten Lehrbetriebe einen wichtigen Beitrag zur Zukunftssicherung und zur Bindung guter Nachwuchskräfte an den eigenen Betrieb.» Das Thema sei für viele Unternehmen überlebenswichtig. Die Problematik könne nicht ernst genug genommen werden: «Speziell in den technischen und naturwissenschaftlichen Berufen spitzt sich der Fachkräftemangel zu, da in den nächsten zehn Jahren über eine halbe Million Babyboomer den Arbeitsmarkt verlassen.» In der gleichen Zeitspanne rücke jedoch nur die Hälfte davon als Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt nach. Da spiele die Schweizer Lehrlingsausbildung für die Nachwuchsförderung eine entscheidende Rolle.

 

Es wird versucht, den Aufwand für kleinere Betriebe in der Lehrlingsbetreuung zu verringern. 

 

Arapovic empfiehlt entsprechend zeitgemässe Formen der Nachwuchsrekrutierung via Social Media. Lernende können so als Botschafterinnen und Botschafter einen Blick hinter die Kulissen des jeweiligen Lehrbetriebes gewähren. Dabei interagieren sie mit ihrer Zielgruppe via Posts, Kommentaren und Videobotschaften und können für den Beruf begeistern.

Die Vorteile der Lehrlingsausbildung liegen auf der Hand. In der ersten Zeit der Ausbildung investiert der Betrieb in die Lernenden. Sie müssen intensiv betreut und eingeführt werden. Nach erfolgter Einführung können die Lernenden aber bereits selbständig Arbeiten erledigen und die Unternehmen entlasten. Wichtig sei, dass das individuelle Potenzial der Jugendlichen gefördert werde und so neben dem Erwerb der notwendigen Fachkenntnisse auch neue Trends und Impulse aus der Berufsschule im Betrieb umgesetzt werden könnten.

«Sowohl für unser Unternehmen als auch für viele unserer Kunden im KMU-Segment ist die Lehrlingsausbildung nach wie vor ein wichtiger Pfeiler», erwähnt BDO-Experte Christian Zum­stein. Der akute Fachkräftemangel könne dadurch aber nicht vollständig gelöst werden. Das Problem verschärfe sich zumindest nicht noch zusätzlich.

«Die Lehrlingsausbildung bezweckt, dass genügend Fachkräfte ausgebildet werden», betont KMU-Experte Alexander Fust. Wenn eine Branche die Lehrlingsausbildung vernachlässige, werde sich der Fachkräftemangel mittelfristig weiter verstärken. 

Neue Formen der Lehrlingsausbildung

Da die Spezialisierung der Betriebe in verschiedenen Branchen voranschreitet, werden nach Erkenntnissen von Fust neue Möglichkeiten in der Lehrlingsausbildung gesucht. So können die Lernenden verschiedene Tätigkeiten ausführen, auch wenn ihr Lehrbetrieb in einer Nische tätig ist. Zudem wird auch versucht, den Aufwand für kleinere Lehrbetriebe in der Lehrlingsbetreuung zu verringern. 

Ein Beispiel dafür ist etwa Jomb, das Lernende der Mediamatik in Zusammenarbeit mit verschiedenen Betrieben ausbildet. Auch im Metallbau gibt es einen Blockkurs für Metallbaukonstrukteure, damit die Lernenden nach diesem Blockkurs mit praktischen Fertigkeiten in die Unternehmen kommen und sich so der Aufwand für die Lehrbetriebe verringert. 

Das duale Bildungssystem hat fast nur Vorteile

Aus Sicht des Unternehmens liegen die Vorteile laut Christian Zumstein in der Möglichkeit der Anstellung nach der Lehre, Nachteile gebe es kaum. Aus Sicht der Lernenden wiederum liege der grosse Vorteil in der Möglichkeit, bereits früh praktische Erfahrungen zu sammeln und die Theorie und die Praxis miteinander zu verbinden. «Das duale Bildungssystem bietet viele Vorteile und aufgrund der zahlreichen Weiterbildungsmöglichkeiten ist der Weg über die Lehre selten ein Umweg», ist Zum­stein überzeugt.

 

Eine Aufgabe – drei Partner Grafik: Bundesamt für Statistik

Gemäss den Angaben des Gewerbeverbands gibt es aktuell nicht weniger als 240 Berufe mit Weiterbildungsmöglichkeiten. Auch er sieht kaum Nachteile der Berufsbildung: Gewiss gebe es auch Lehrabbrüche, aber nicht alle seien schlecht. Viele hätten sofort eine Anschlusslösung, die dann passe.

Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, sollten auf folgende Punkte achten:

  • Es sollten motivierte Ausbildner vorhanden sein und
  • vielfältige Ausbildungen zugelassen werden,
  • man sollte sich auch nach aussen sichtbar für Lernende engagieren (zum Beispiel mit dem Label Ausbildungsbetrieb).
  • Den Lernenden Verantwortung, Vertrauen und Gestaltungsmöglichkeiten geben.
  • Bei der Auswahl der Lernenden nicht primär auf die Schulnoten, sondern eher auf die Persönlichkeit achten.

Alles in allem werde es immer wichtiger, Massnahmen für die Rekrutierung der Lernenden zu definieren, ist Alexander Fust überzeugt. «Gute Kontakte zu den Schulen, spannende Events und Vorstellungen des Berufs können sich auszahlen», erklärt er. Es gelte, sich in die jüngeren Generationen hineinzuversetzen. Zudem lohne es sich auch, die eigene Arbeitgeberattraktivität zu hinterfragen und diese noch weiter zu verbessern.

Roboter oder künstliche Intelligenz statt Lehrlinge?

Vonseiten der Robotertechnologie oder der künstlichen Intelligenz sehen die Experten in der Lehrlingsausbildung derzeit zumindest noch keine Bedrohung für das Ausbilidungssystem: «Aus meiner Sicht sicher nicht», erklärt Chrstian Zumstein. «Auch bei einem hohen Automatisierungsgrad wird es immer einen Bedarf an Lernenden geben, da sich gleichzeitig auch Themen- und somit Einsatzgebiete immer wieder weiterentwickeln. Schliesslich ist die Ausbildung von ­Lernenden immer auch eine Investition in die Zukunft», begründet er seine ­Ansicht.

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