Der Franken erstarkt – und niemand schaut hin Der Franken hat gegenüber dem Euro einen rekordhohen Wert erreicht. Doch die Wehklagen der Schweizer Unternehmen bleiben aus. Denn ein sich aufwertender Franken ist derzeit von hohem Nutzen.

Der Franken hat gegenüber dem Euro einen rekordhohen Wert erreicht. Doch die Wehklagen der Schweizer Unternehmen bleiben aus. Denn ein sich aufwertender Franken ist derzeit von hohem Nutzen.

Während Jahren galt eine Parität zwischen Euro und Franken als Schreckensszenario für die Schweizer Exportwirtschaft. Sollte es einmal so weit kommen, so die weitverbreitete Furcht, wären die Unternehmen kaum noch wettbewerbsfähig und würde sich die Deindustrialisierung der Schweiz rasch beschleunigen. Seit bald zwei Monaten ist das Szenario nun aber Realität. Und diese Woche fiel der Wert von 1 Euro gar unter 96 Rappen, was einem Rekordtief gleichkommt. Seit Jahresbeginn hat sich der Franken somit nominal um mehr als 7 Prozent verteuert.

Die Wechselkurse trügen

Das Erstaunliche dabei: Seitens der Schweizer Wirtschaft ist kein Aufschrei zu vernehmen. Weder das Durchbrechen der Parität gegen Ende Juni noch die seither sich fortsetzende Aufwertung des Frankens hat zu Protesten der Exporteure geführt. Das heisst nicht, dass die Unternehmen derzeit sorgenfrei wären. Doch die drängendsten Probleme drehen sich um die unsichere Energieversorgung, angespannte Lieferketten oder den Mangel an Arbeitskräften. Der Aussenwert des Frankens ist hingegen auf dem Sorgenbarometer nach unten gerutscht.

Wie ist diese Lockerheit zu erklären? Primär mit der hierzulande relativ niedrigen Inflation. Während die Euro-Zone eine Teuerung von 8,9 Prozent ausweist, liegt der Wert in der Schweiz bei 3,4 Prozent. Die Unternehmen im Euro-Raum müssen also mit deutlich stärkeren Preissteigerungen zurechtkommen als ihre Konkurrenten in der Schweiz. Das kommt der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zugute. Hingegen verteuern sich die Exporte durch die Aufwertung des Frankens. Rechnet man beides zusammen, bleibt mehr oder weniger alles beim Alten.

Man darf sich daher von den gegenwärtigen Wechselkursen nicht täuschen lassen. Betrachtet man die Kurse real und berücksichtigt somit auch die grosse Inflationsdifferenz zwischen den beiden Währungsräumen, hat sich am Franken-Euro-Verhältnis wenig verändert. Die Abgeklärtheit der Schweizer Firmen ist also begründet, zumal die Wettbewerbskraft durch die Kursveränderungen kaum Schaden genommen hat. Die Auftragslage ist weiterhin gut, die Firmen stellen Personal ein, und die Hotels blicken auf eine hervorragende Sommersaison zurück.

Kein Vertrauen in den Euro

Die Unternehmen haben zudem ihre Lektion gelernt vom Januar 2015. Damals hob die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Euro-Mindestkurs unerwartet auf, worauf der Frankenwert steil nach oben schoss. Manch einer holte sich eine blutige Nase und musste erkennen, dass die Absicherung von Wechselkursrisiken nicht an die SNB delegiert werden kann. Seither schenkt man dem Währungsmanagement wieder mehr Gewicht, sei es durch Absicherungsgeschäfte oder indem darauf geachtet wird, dass Einnahmen und Ausgaben in derselben Währung anfallen.

Die Schweizer Wirtschaft hat mit einem starken Franken zu leben gelernt. Und sie erkennt dieser Tage deutlicher denn je, dass eine gesuchte Währung mehr Segen als Fluch ist. So kann die SNB den inflationären Druck über die Aufwertung des Frankens teilweise abfedern, zumal auf diese Weise importierte Güter günstiger werden. Ein solcher Puffer erlaubt es der SNB, die Zinsen weniger stark zu erhöhen, als dies die Europäische Zentralbank (EZB) oder das Fed tun müssen. Davon profitieren nicht zuletzt die hiesigen Firmen.

Es gibt daher wenig Gründe für die Unternehmen, über den Frankenkurs zu klagen. Denn erstarkt ist der Franken primär gegenüber dem Euro, nicht aber gegenüber dem Dollar. Hinter der Franken-Stärke verbirgt sich somit eine Euro-Schwäche. Und diese Schwäche hat damit zu tun, dass viele Anleger der EZB nicht zutrauen, die Probleme des Euro-Raums in den Griff zu bekommen, seien sie inflationärer oder struktureller Art. Europas Unternehmen erkaufen sich ihre schwache Währung also zum Preis einer überfordert wirkenden Währungsbehörde. Da will man lieber nicht tauschen.

Thomas Fuster, «Neue Zürcher Zeitung»

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