Bally: wie die Luxusmarke im Tessin an ihrer Zukunft arbeitet Die Modemarke Bally entstand im solothurnischen Schönenwerd. Seit gut 20 Jahren ist sie jedoch im Tessin zu Hause, wo jährlich 180'000 Paar Schuhe noch von Hand gefertigt werden. Ein Augenschein in der Fabrik und ein Gespräch mit dem CEO Nicolas Girotto.

Die Modemarke Bally entstand im solothurnischen Schönenwerd. Seit gut 20 Jahren ist sie jedoch im Tessin zu Hause, wo jährlich 180'000 Paar Schuhe noch von Hand gefertigt werden. Ein Augenschein in der Fabrik und ein Gespräch mit dem CEO Nicolas Girotto.

 

Der Eindruck beim Besuch in Caslano: mehr Handwerksstätte als industrielle Produktion. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)

Das Fabrikgebäude ist von aussen denkbar schlicht. Wenig deutet darauf hin, dass sich hinter diesen Mauern, im Tessiner Dorf Caslano am Luganersee, nicht nur der Schweizer Produktionsstandort, sondern auch der Hauptsitz der Schweizer Luxusmarke Bally befindet. Nur ein paar Meter nach der Hauptpforte liegt die Werkhalle. Hier werden von den Schuhmodellen Prototypen angefertigt, das Leder und andere Materialien kontrolliert und schliesslich die Produktion in etlichen Einzelschritten durchgeführt.

Viel Handwerk

In grossen Lettern steht «Manovia» (übersetzt Manöver) über den Produktionsstrassen, an denen Handwerker in Handarbeit die Schuhe in genau studierten Arbeitsschritten anfertigen. Schaft, Innensohle, Sohle und andere Zubehörteile eines Schuhs werden hier zusammengesetzt, darunter auch die Modelle der rahmengenähten Scribe-Kollektion mit Korkeinlage, zu der sich 1951 Max Bally, Enkel des Firmengründers Carl Franz Bally, vom Hotel Scribe in Paris inspirieren liess. «Volle 200 Arbeitsschritte sind für diese Schuhe nötig», sagt Nicolas Girotto, CEO von Bally, beim Rundgang durch die Fabrik.

180’000 Paar Schuhe verlassen pro Jahr das Werk in Caslano, hauptsächlich Männerschuhe. Das entspricht ungefähr 25 Prozent der weltweiten Bally-Schuhproduktion von 700’000 Paaren. Gefertigt werden im Tessin nur die handwerklich intensiven Schuhe, die im Laden kaum unter 1000 Franken zu haben sind. Zudem repariert Bally hier auch Schuhe, die eingesandt werden. Der Eindruck beim Besuch in Caslano: mehr Handwerksstätte als industrielle Produktion. Von den 270 Angestellten in Caslano arbeiten 100 als Handwerker im Atelier. In der gesamten Schweiz zählt Bally 340 Angestellte, weltweit sind es 1450.

Mit Stolz erzählt man, dass es beim Personal in Caslano kaum Fluktuation gebe. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dauert im Durchschnitt 18 Jahre. Einzelne Mitarbeiterinnen können sogar auf 40 Bally-Berufsjahre zurückblicken, sie waren schon in Schönenwerd aktiv, etwa Milena, die für die Qualitätskontrolle verantwortlich ist.

China-lastiges Geschäft

Im oberen Stockwerk ist das Management angesiedelt. Auf einer Trennwand finden sich Hunderte Foto-Porträts von Ballys Fachhandwerkern. «Es ist eine Hommage an alle Männer und Frauen, die hier bei uns seit Jahren arbeiten», meint Girotto. Der Franzose ist seit 2019 Chef des Bally-Konzerns, ab 2015 war er COO. Ein schlanker und drahtiger Typ, der sich im Laufe des Gesprächs als Marathonläufer outet und vor Ideen nur so sprudelt.

Viel Schnauf braucht es effektiv für die Leitung des Bally-Konzerns in diesen bewegten Zeiten. Die Covid-19-Pandemie war eine harte Prüfung und ist es noch. «Der Lockdown ganzer Millionenstädte in China ist eine grosse Sorge», sagt Girotto. Denn Bally ist stark auf China fokussiert: Gut ein Viertel des Umsatzes wird dort generiert.

Doch Covid-19 hat laut Girotto auch für positive Akzente gesorgt, insbesondere im Bereich der Digitalisierung: «Es gab einen Innovationsschub.» Die Kollektionen werden heute den Detailhändlern digital präsentiert, in sogenannten Virtual Showrooms. Online-Verkäufe sind ebenfalls ein Thema, aber 70 Prozent der Bally-Produkte werden nach wie vor in den Boutiquen verkauft.

Kompetenzzentrum für Lifestyle

Girotto muss das Unternehmen Bally, das seit 2008 zur JAB Luxury Holding der deutschen Unternehmerfamilie Reimann gehört, in die Zukunft führen. Bei diesem Vorhaben setzt er grosse Hoffnungen auf den neuen, im Januar zum Kreativchef ernannten Rhuigi Villaseñor, dessen erste Kollektion für Bally in der Saison Frühjahr/Sommer 2023 gezeigt wird. Denn Bally, dessen Umsatz vor der Pandemie rund 350 Millionen Franken betrug, ist längst viel mehr als ein Schuhproduzent: Im Portefeuille machen Schuhe nur noch rund 44 Prozent aller verkauften Produkte aus. Taschen und Accessoires, die in Italien gefertigt werden, kommen auf 45 Prozent, Kleidermode bei Prêt-à-porter auf gut 11 Prozent.

Villaseñor ist für seinen Streetwear-Brand Rhude bekannt. Der in Manila geborene philippinisch-amerikanische Staatsbürger wird zwischen Los Angeles und Caslano pendeln und soll dabei einen Brückenschlag zwischen lässiger und formaler Mode schaffen, den Spagat zwischen Modernisierung und Wahrung der Tradition der 171-jährigen Schweizer Marke.

In der Corporate Identity spielen die Ursprünge im solothurnischen Schönenwerd eine immer geringere Rolle, gehen aber nicht vergessen. So wird mit dem Kanton Solothurn darüber diskutiert, eine Bally-Ausstellung zu errichten. Doch die Firmenidentität ist klar auf das Tessin fixiert. Der Standort Caslano, einst gegründet wegen seiner Nähe zur wichtigen Schuhfabrikation im Raum Varese, sei durch geringe Distanz zu Italien und zur Modestadt Mailand perfekt, meint Girotto.

Aus diesem Grund hätten auch andere Modelabels das Tessin mit seiner Brückenposition zwischen Norden und Süden zumindest als Standort für Niederlassungen gewählt: Hugo Boss, Zegna, Guess. Dazu kommen bedeutende Zulieferer wie der Reissverschlusshersteller Riri in Mendrisio. «Wir arbeiten in der Branche gut zusammen – etwa als Partner im LifeStyle-Tech Competence Center, wo Bally Gründungsmitglied ist», so Girotto.

Bei der Erstbesteigung des Mount Everest dabei

In diesen Kontext passt das neue Projekt der Bally-Stiftung für Kultur, welche in der altehrwürdigen Villa Heleneum am Seeufer von Lugano Castagnola ein innovatives Laboratorium einrichten wird. Die Stadt Lugano hat der Stiftung die Villa vorerst für fünf Jahre vermietet. In diesem September soll die Eröffnung sein. «Dieses Projekt hat für uns einen hohen Stellenwert», präzisiert Nicolas Girotto. Denn die Stiftung Bally will hier kein Schuhmuseum einrichten, sondern den Blick – auf der Grundlage seiner Geschichte und seiner digitalisierten Archive – nach vorne richten, in einen Dialog mit den Kundinnen und Kunden treten, Produktionsmechanismen im Handwerk und Nachhaltigkeitskriterien unter die Lupe nehmen.

Die Villa Heleneum wird auch das Dach für die Stiftung selbst sein, welche seit 15 Jahren Künstler unterstützt, genauso wie für die Bally Peak Outlook Foundation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die empfindlichen Gebirgslandschaften der Welt vor den negativen Auswirkungen der globalen Erwärmung und des Overtourism zu schützen. Die Verbindung von Bally mit der Bergwelt hat tiefe Wurzeln. Sherpa Tenzing Norgay trug 1953 bei der Erstbesteigung des Mount Everest mit Sir Edmund Hillary Rentierstiefel der bekannten Schweizer Marke.

Das könnte Sie auch interessieren: