Keine Schweizer Firma will höher hinaus Die junge Firma Swissto12 baut in der Romandie Satelliten. Noch vor kurzem war sie bloss Zulieferer für andere. Die boomende Weltallbranche bringt eine neue Gattung von Unternehmern hervor.

Die junge Firma Swissto12 baut in der Romandie Satelliten. Noch vor kurzem war sie bloss Zulieferer für andere. Die boomende Weltallbranche bringt eine neue Gattung von Unternehmern hervor.

Wollte nie Unternehmer sein, fährt nun aber volles Risiko: Emile de Rijk und eine seiner Satellitenkomponenten aus dem 3-D-Drucker. (Foto: PD)

Als Emile de Rijk 2011 seine Firma gründet, tut er das nicht mit dem Ziel, Satelliten zu bauen, die in rund 36 000 Kilometern Höhe um die Welt kreisen. Wie sollte er auch: Sein Unternehmen mit dem eigentümlichen Namen Swissto12 hat keinerlei Bezug zur Raumfahrt.

Der damalige Physik-Doktorand der ETH Lausanne (EPFL) hegt nicht einmal Ambitionen, Unternehmer zu werden. Es ist die EPFL, die de Rijk ans Herz legt, eine Firma zu gründen – da andere Unternehmen die Produkte kaufen wollen, die er an der Hochschule entwickelt hat.

Emile de Rijk wird eher zufällig zum Unternehmer. Und das ausgerechnet in der Weltraumindustrie, wo die Einstiegshürden für Branchenfremde besonders hoch liegen. Im All wirken enorme Kräfte und Strahlung auf das Material ein, es muss also besonders hohen Anforderungen genügen.

Kommt dazu: Befindet sich ein Satellit einmal in seiner Umlaufbahn, kann man naturgemäss nicht einfach einen Monteur vorbeischicken, um fehlerhafte Komponenten auszutauschen. Bei Ausfällen wichtiger Teile ist die ganze Mission gefährdet – deren hohe Kosten sich nur rechnen, wenn der Satellit wie geplant 15 Jahre im Einsatz ist. Das erklärt, wieso man in dieser Branche nicht gerade auf Unternehmer gewartet hat, die noch grün hinter den Ohren sind. Die Weltraumbranche ist eine geschlossene Gesellschaft.

Doch Emile de Rijk hat sich Zutritt verschafft. Und wie: Obwohl sich seine Firma erst seit 2015 auf die Raumfahrt konzentriert, ist sie nun nicht länger bloss Zulieferin von Satellitenkomponenten. Swissto12 baut in Renens (VD) mit 100 Mitarbeitern künftig eigene Satelliten.

Mit Intelsat und Inmarsat haben in den letzten Monaten gleich zwei der grössten Anbieter von weltraumgestützter Kommunikation bei Swissto12 Satelliten geordert. Die Firma, die auch eng mit der Europäischen Weltraumorganisation zusammenarbeitet, sicherte sich letzte Woche von der UBS eine Finanzspritze von 25 Mio. Fr., um diese Aufträge abwickeln zu können. Swissto12 geht jetzt aufs Ganze. Mehr Risiko geht nicht.

Doch der Reihe nach: De Rijk ist der Sohn eines niederländischen Paares, das sich am Cern, der Europäischen Organisation für Kernforschung, bei Genf kennengelernt hat. So liegt es ihm nahe, selbst Physik zu studieren. Als Doktorand arbeitet de Rijk an einem neuen Magnetresonanztomografen – also an einem bildgebenden Verfahren in der Medizin. Für dieses Gerät sind zahlreiche Antennenteile nötig, um Hochfrequenzsignale abstrahlen und empfangen zu können.

Die Produktion dieser Antennen ist kompliziert und das Budget wie bei allen Hochschulprojekten knapp. So beginnen de Rijk und seine Kollegen mit 3-D-Druckern in den Labors der EPFL zu experimentieren, um die Antennen in einem additiven Verfahren herzustellen. «Nach und nach gelang es uns, die ersten Antennen zum Funktionieren zu bringen», sagt de Rijk. Die Vorteile des 3-D-Drucks wecken das Interesse der ersten Kunden. Sie stammen meist aus der Medizinalbranche.

Was diese Vorteile sind, versteht vielleicht erst, wer eine auf diese Weise hergestellte Satellitenantenne von Swissto12 in den Händen hält: Es handelt sich um eine sehr komplizierte und gleichzeitig sehr präzise Metallstruktur. «Die Komplexität ist vergleichbar mit jener einer mechanischen Uhr», sagt de Rijk. Wer eine Antenne nicht mit dem 3-D-Drucker herstelle, müsse das Problem in 1000 kleine Teile zerlegen, jedes einzelne von ihnen ausschneiden, bearbeiten und wieder zusammenschrauben.

Das ist nicht nur sehr teuer, sondern geht auch mit Einbussen bei der Leistungsfähigkeit der Antennen einher. Doch für die Endkunden der Satellitenkommunikation steht die Leistung natürlich ganz im Zentrum.

Dass ihr Herstellungsverfahren wie geschaffen ist für Kommunikations-Komponenten in Satelliten geht dem Jungunternehmer erst spät auf. Über das Swiss Space Office, die Koordinationsstelle für Schweizer Raumfahrt, und das damalige Swiss Space Center der EPFL kommt er in Kontakt mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA).

«Das hat uns 2015 die Augen für den Markt der Raumfahrt und der Satellitenkommunikation geöffnet, wir haben die Entscheidung getroffen, das Unternehmen komplett auf diesen Markt auszurichten», sagt de Rijk. Und nach und nach zusätzliche Komponenten zu entwickeln, nicht länger nur Antennen.

Die ESA hilft mit der Produktentwicklung, Swissto12 findet seine Investoren vor allem in der Schweiz: Swisscom, Swisscanto und die Zürcher Kantonalbank stellen Kapital zur Verfügung.

Trotz Kapital und tatkräftiger Hilfe der ESA sind die Hürden hoch: «Wir waren die Ersten, die den 3-D-Druck für die Herstellung von Produkten für Satelliten verwendet haben», sagt de Rijk. «Das bedeutet, dass es zu Beginn unserer Tätigkeit noch gar keine Standards und Normen gab, um festzulegen, wie ein Produkt, das mit additiven Fertigungsverfahren hergestellt worden ist, für Satelliten zu qualifizieren ist.»

Die ESA aber ist von Swissto12 so angetan, dass sie noch ein viel grösseres Wagnis eingeht: Sie entwickelt zusammen mit den Westschweizern einen neuen Satellitentyp und investiert 30 Mio. € in diese öffentlich-private Partnerschaft. Neben Kapital stellt die ESA dem Startup in Renens ein Team von Experten zur Verfügung.

Dabei entsteht der branchenweit erste Kleinsatellit für den geostationären Orbit – also für eine Umlaufbahn in 36 000 Kilometern Höhe. Zum Vergleich: Die Satelliten von Elon Musks Firma Starlink umkreisen die Erde in einer Entfernung von lediglich rund 550 Kilometern.

«Satelliten, die sich in einer geostationären Umlaufbahn befinden, sind viel weniger durch das Erdmagnetfeld geschützt. Sie bekommen die Weltraumstrahlung direkt ab», sagt de Rijk.

Der Wettbewerbsvorteil von Swissto12 ist, dass sein Hummingsat – in Anlehnung an Hummingbird oder Kolibri – zehnmal kleiner ist als ein herkömmlicher Satellit. Also so gross wie ein Kühlschrank und nicht wie ein Lieferwagen. Zwar ist ein Hummingsat auch weniger leistungsfähig, doch aufgrund der viel geringeren Kosten – nicht zuletzt beim Transport ins All – geht die Rechnung für die Kunden trotzdem auf.

Swissto12 ist ein bemerkenswertes Startup, aber nicht das einzige in der Gegend: Auch die Jungfirma Astrocast hat ihren Sitz in Renens. Sie betreibt ein Nanosatelliten-Netzwerk für das Internet der Dinge. In der Nachbarschaft ist auch das 2018 gegründete Unternehmen Clear Space zu Hause. Dessen Ziel ist es, den Weltraum von menschengemachtem Schrott zu säubern.

Dass all diese Firmen in Renens entstanden sind, ist natürlich kein Zufall, sondern Ausdruck davon, dass die EPFL ein Raumfahrt-Center betreibt. Diesen Erfolg will nun auch die ETH Zürich kopieren – vor kurzem hat sie für ihre Space-Initiative den früheren Nasa-Wissenschaftsdirektor Thomas Zurbuchen als Professor gewinnen können.

Ohnehin braucht sich die Schweiz nicht zu verstecken, was den Weltraum angeht. Gemäss dem Industrieverband Swissmem setzt der Sektor inklusive Hochschulen 400 bis 500 Mio. Fr. um. Angesichts des weltweiten Space-Booms könnte diese Zahl rasch wachsen.

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