Die Öko-Bibel polarisiert seit einem halben Jahrhundert Mit seinem Buch «Small is beautiful» spiegelte Ernst F. Schumacher den vor 50 Jahren entstandenen konsumkritischen Zeitgeist.

Mit seinem Buch «Small is beautiful» spiegelte Ernst F. Schumacher den vor 50 Jahren entstandenen konsumkritischen Zeitgeist.

«Der Mensch ist klein, daher ist klein schön. Wer auf Riesenhaftigkeit setzt, setzt auf Selbstzerstörung.» Mit Glaubenssätzen dieser Art machte das 1973 publizierte Buch «Small is beautiful», verfasst vom deutsch-englischen Ökonomen und Manager Ernst F. Schumacher, Furore. Nicht zuletzt dank dem eingängigen Titel (deutsch: «Die Rückkehr zum menschlichen Mass») wurde es zum Bestseller und gilt heute noch als Öko-Bibel.

Mit dem Aufruf zur Selbstbegrenzung, Bescheidenheit und Subsistenzwirtschaft ist Schumacher ein typischer Vertreter der Postwachstumsökonomie. In der Frugalität sah er auch ein Rezept zur Erhaltung des Friedens: «Nur durch eine Verringerung der Bedürfnisse lassen sich die Spannungen vermindern, welche die letzten Ursachen von Zwietracht und Krieg sind.»

Eher buddhistisch als ökonomisch

Dass Schumacher dem Kapitalismus, dem eigentlichen Verursacher von Riesenhaftigkeit, kritisch gegenüberstand, versteht sich von selbst. Marktwirtschaft bedeutete für ihn die «Institutionalisierung des Individualismus und der Nichtverantwortlichkeit». Zudem beurteilte er Technik als unmenschlich, als «Fremdkörper in der Natur», der zur Entwertung der Arbeit führe. Seine Sichtweise war nicht marxistisch geprägt, sondern gründete auf buddhistischen Lehren, auf der Bergpredigt und auf Gandhi.

Der Mensch müsse sich über die «fade Welt» des Materialismus und der monströsen Wirtschaft erheben, um zu einem erfüllten Leben zu finden, schrieb er. Dazu brauchte es einen neuen Lebensstil mit neuen Produktionsverfahren und Verbrauchsmustern. «Wir müssen die Wirtschaftswissenschaften zum alten Eisen werfen und ganz neu anfangen», so lautete sein Fazit. Schumacher war zwar gelernter Ökonom, verbreitete aber die Aura eines fernöstlichen Gurus.

«Small is beautiful» ist nicht ein in sich geschlossenes Werk, sondern eine Sammlung von Essays, die in den 1960er und frühen 1970er Jahren entstanden waren. Die darin behandelten Sachgebiete – Bildung, Sozialismus, Eigentum, Technologie und AKW-Kritik, verbunden mit einem Lob auf die Kohlenindustrie (Schumacher war als Manager beim National Coal Board tätig) – sind durch den Buchtitel nur notdürftig miteinander verbunden. Schumacher präsentierte auch keine «Theorie der Kleinheit», die einer kritischen Begutachtung standhielte. Was er anbot, waren freie Gedanken und Aphorismen, deren sich die Leser je nach Bedarf bedienen konnten. Das thematische und intellektuelle Allerlei war es wohl auch, was – neben dem Titel – das Buch so populär machte. Laut dem «Times Literary Supplement» zählt «Small is beautiful» zu den 100 einflussreichsten Publikationen seit dem Zweiten Weltkrieg.

Fortschritt bis in alle Ewigkeit

Bezeichnenderweise fiel das Erscheinungsjahr 1973 mit dem Endstadium jener Periode zusammen, die von Historikern als «goldenes Zeitalter des Kapitalismus» oder als «Trente Glorieuses» bezeichnet wird. «Small is beautiful» bildete gewissermassen die Antithese zu dieser blühenden Nachkriegsepoche, die den Wirtschaften Europas einen beispiellos langen Konjunkturzyklus mit Wachstumsraten von bis zu 6 Prozent bescherte.

Schranken des Fortschritts waren damals keine mehr zu erkennen. Es gab neue Konsumgüter in Hülle und Fülle, Fernseher und Kühlschränke für jedermann, preisgünstige Autos, Kofferradios, neue Materialien wie Plexiglas und Nylon; die Arbeitszeiten wurden verkürzt und die Löhne erhöht. «Die europäischen Volkswirtschaften schienen das Geheimnis des ewigen Wachstums und Wohlstands entschlüsselt zu haben», schrieb 1969 der Wirtschaftshistoriker David Landes.

Der Modernisierungsschub war indessen auch mit Massenproduktion und «Riesenhaftigkeit» verbunden, und das war es, woran Schumacher Anstoss nahm. Der Einsatz neuer Technologien und Management-Konzepte, die in der Nachkriegszeit den Weg von den USA nach Europa gefunden hatten, erlaubte das Erzielen von Skaleneffekten und begünstigte den Aufbau von industriellen Grosskonzernen. Firmen wie Shell, Britisch Petroleum oder Imperial Chemical Industries (ICI) gewannen an Bedeutung.

In Deutschland waren es Unternehmen wie die Thyssen-Hütten AG oder die IG-Farben-Nachfolger Hoechst, BASF und Bayer, die den Ton angaben. In Frankreich wurde 1947 der «Plan de Modernisation» ins Leben gerufen, welcher der Wirtschaft zu Produktivitätsfortschritten und Wachstum verhelfen sollte und auf den Aufbau grösserer Firmendimensionen abzielte. Eine Modernisierung der Wirtschaft war ohne «Riesenhaftigkeit» nicht zu haben.

Bei der Vorstellung, dieser Trend werde sich endlos fortsetzen, wurde es skeptischen Zeitgenossen offenbar angst und bang. Schumachers «Small is beautiful» war als Warnung vor den negativen Folgen eines endlosen goldenen Zeitalters zu verstehen. Eher Zufall war dann allerdings, dass der Nachkriegsboom mit der Ölpreiskrise von 1973 und der daraufhin folgenden Rezession ein abruptes Ende fand. Das änderte indessen nichts am Nimbus Schumachers als Seher.

Die Überflussgesellschaft

Schumacher war keineswegs der Erste, der die Nachkriegsentwicklung mit Argwohn betrachtete. Der amerikanische Wirtschaftswissenschafter John Kenneth Galbraith hatte bereits 1958 heftige Kritik an der «Gesellschaft im Überfluss» geübt und die Vorstellung angeprangert, dass sich alle sozialen Übel durch wirtschaftliches Wachstum beheben liessen. Die Steigerung der Produktion sei zum «Heilmittel für alle Verdriesslichkeiten, Ängste und Entbehrungen geworden» (einschliesslich der Arbeitslosigkeit), schrieb er. Auch die «Riesenhaftigkeit» war ihm ein Dorn im Auge, das «Zeitalter der grossen Industriekonzerne», wie er es nannte.

Der Fokus seiner Kritik galt der «Überproduktion», die durch das forcierte Wachstum entsteht; die maschinelle Industrie mit ihren technischen Fortschritten und Produktivitätsgewinnen habe eine Fülle von Gütern hervorgebracht, die keinen wirklichen Bedürfnissen mehr entsprächen, meinte Galbraith. Aus seiner Sicht diente die Produktionssteigerung nur noch dazu, eine Neuverteilung des Besitzes und somit soziale Unruhen zu verhindern; im Wachstum erkannte er gewissermassen ein vergiftetes Geschenk, da es, wie er einsah, nicht nur den Reichen, sondern auch den Armen zugutekam und deshalb unentbehrlich war.

Konsumzwang

Wenn dieser Güterüberfluss nicht in eine Krise münden sollte, galt es, den Konsum anzukurbeln, und das bedeutete in der Lesart Galbraiths, dass eine künstliche Nachfrage kreiert werden musste. Das war, Mitte der 1950er Jahre, die Geburtsstunde des professionellen Marketings und der Werbung, in denen Galbraith Unheilvolles sah. Er sprach von Bedürfnissen, die durch geschickte Verkäufe «hochgepäppelt» würden; er verwies auf das Beispiel der Autoindustrie, die Neuerungen einzig zum Zweck hervorbringe, sie anpreisen zu können.

Er prangerte den psychologischen Druck und die «Tyrannei der Werbung» an, der die Konsumenten ausgesetzt seien. Dieser Kritikpunkt ist auch in «Small is beautiful» zu finden, wo Schumacher den Konsumenten mit einem Drogenabhängigen vergleicht, «dem es überaus schwerfällt, sich von seiner Sucht zu lösen, ganz gleich, wie elend er sich fühlt».

Fundamentalkritik

Die Kritik am «Konsumismus» fand eine Fortsetzung, selbst nachdem der Nachkriegsboom – der ursprüngliche Auslöser von Überproduktion und «hochgepäppelter» Nachfrage – schon lange abgeklungen war. Und die Skepsis gegenüber wirtschaftlichem Wachstum und riesenhaften Firmen ist ebenfalls bis heute erhalten geblieben. Die Kritik hat sich gewissermassen vom ursprünglichen Stein des Anstosses losgelöst und hat einen fundamentaleren Charakter angenommen. Im Visier hat man nicht mehr den Boom, sondern das Wachstum generell.

Grosse Unternehmen stehen in der Darstellung Schumachers nicht zuletzt deshalb unter Generalverdacht, weil sie die «schöpferische Freiheit zugunsten der Ordnung» vernachlässigten und weil sie mit Menschenwürde und wirklicher Leistungsfähigkeit unvereinbar seien. Das Idealbild sind aus seiner Sicht kleine Betriebe mit familiärem Charakter, am besten solche, die von einem arbeitenden Besitzer geleitet werden.

Zu schön, um wahr zu sein

Die Frage stellt sich allerdings, ob in der Kleinheit tatsächlich die Schönheit liegt, wie von Schumacher und seinen Getreuen beteuert. Zweifel kommen auf, wenn man die nüchternen ökonomischen Realitäten betrachtet. Grosskonzerne mögen weniger anheimelnd sein als KMU; dank dem Ausnützen von Skaleneffekten und organisatorischer Effizienz sind sie in der Regel aber produktiver als kleine; sie stellen Güter hoher Qualität zu niedrigen Preisen her, zahlen höhere Löhne, mehr Steuern und bieten insgesamt Gewähr für einen gehobenen Lebensstandard. Eine Wirtschaft, die Kleinheit zur Maxime erklärt, mag auf Schönheit bedacht sein, nimmt jedoch erhebliche Produktivitätseinbussen und Armut in Kauf. Anschauungsmaterial bieten die KMU-lastigen Wirtschaften im Süden und Osten Europas, die punkto Wertschöpfung deutlich schwächer sind als die Länder im Westen und Norden, wo Grossfirmen eine massgebende Rolle spielen.

Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszudenken, was Schumacher, lebte er noch (er starb 1977 im Alter von 66 Jahren), von der heutigen Wirtschaftswirklichkeit halten würde. Vor allem die grossen Informationstechnologie-Firmen wären ihm wohl ein Greuel; er sähe in ihnen seine These bestätigt, wonach die moderne Technologie des Gigantismus «ein zunehmend unmenschliches Gesicht zeigt».

Verborgen bliebe ihm damit allerdings die besondere Dialektik, die gerade der von Grosskonzernen entwickelten Informationstechnologie innewohnt. Die Möglichkeiten zur Vernetzung und Dezentralisierung, welche die sozialen Netzwerke und innovative Kommunikationskanäle bieten, bilden den idealen Nährboden für neue Geschäftsmodelle, die kleinen Firmen ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Grösse, so zeigt sich, kann Voraussetzung sein, wenn Kleinheit zur Schönheit werden soll.

Sergio Aiolfi, «Neue Zürcher Zeitung»

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