Regional einkaufen hilft der lokalen Wirtschaft, der Umwelt aber nicht wirklich Woher Lebensmittel kommen, spielt fast keine Rolle für ihre Umweltbilanz. Die Schweizer könnten guten Gewissens mehr Nahrungsmittel aus dem Ausland kaufen.

Woher Lebensmittel kommen, spielt fast keine Rolle für ihre Umweltbilanz. Die Schweizer könnten guten Gewissens mehr Nahrungsmittel aus dem Ausland kaufen.

Himbeeren aus dem Thurgau sind nicht automatisch umweltfreundlicher als ausländische Ware. (Foto: Jonathan Mast auf Unsplash)

Die Schweizerinnen und Schweizer haben eine klare Vorstellung davon, was eine umweltschonende Ernährung ausmacht: Man muss Landwirtschaftsprodukte aus der Schweiz kaufen. Das hat eine repräsentative Umfrage des Bundesamtes für Landwirtschaft von Anfang 2023 ergeben.

Fast einstimmig erklärten die Befragten, dass der Kauf von regionalen Lebensmitteln gut für die Umwelt sei. 83 Prozent hielten dies für einen Beitrag zum Umweltschutz – vor allem wegen der kurzen Transportwege.

Andere Faktoren beurteilte die Bevölkerung als weniger wichtig. Dass eine Verringerung des Fleischkonsums der Umwelt helfe, sagten nur 63 Prozent. Im Kauf von Bioprodukten erkannten lediglich 41 Prozent etwas Positives.

Lokal ist nicht automatisch besser

Mit diesen Einschätzungen dürften die Schweizerinnen und Schweizer weit danebenliegen. Umweltexperten wissen: Regionalität hat nichts mit Nachhaltigkeit zu tun.

«Biohimbeeren aus Serbien sind ökologischer als Thurgauer Himbeeren aus konventionellem Anbau», sagte jüngst der Agrarexperte Otmar Hofer von der IG Agrarstandort Schweiz gegenüber der NZZ. Das sei eine anspruchsvolle Argumentation, die gegen das Bauchgefühl gehe. Aber der kleinere ökologische Fussabdruck einer weniger intensiven landwirtschaftlichen Produktionsweise überwiege in der Regel die Umweltbelastung durch den Transport.

«Bei vielen Lebensmitteln ist der Transport nicht der wichtigste Aspekt in der Ökobilanz», erklärt auch Niels Jungbluth, ein Experte für Ökobilanzen, der Umweltorganisationen und Behörden berät. «Wenn Konsumenten ihre Umweltbilanz verbessern wollen, gibt es viel bedeutendere Hebel als den Kauf regionaler Produkte.»

Wo der Umweltfussabdruck entsteht

Was erklärt die Kluft zwischen Experten und Bevölkerung? Konsumenten dürften beim Einkauf vor allem auf leicht sichtbare Aspekte von Lebensmitteln achten. Dazu gehört, woher ein Produkt kommt oder wie es verpackt ist.

Wissenschafter erstellen hingegen komplexe Ökobilanzen von Lebensmitteln, die den ganzen Lebensweg vom Feld bis zum Teller berücksichtigen. Diese Studien kommen einhellig zum Schluss: Der allergrösste Teil des Umweltfussabdrucks bei Lebensmitteln fällt bei der landwirtschaftlichen Produktion an. Denn dort ist der Ressourcenverbrauch am grössten. Die Landwirtschaft braucht Boden und Wasser. Sie sorgt zudem oft für Überdüngung, reduziert die Biodiversität und trägt zum Klimawandel bei.

Transport macht wenig aus

Der Transport spielt hingegen eine untergeordnete Rolle. Das zeigt eine Überblicksstudie in der renommierten Fachzeitschrift «Science», die den Klimaeffekt der weltweit produzierten Nahrungsmittel analysiert hat. Im Durchschnitt ist der Transport nur für rund 6 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Ähnliche Dimensionen gelten für die Schweiz. Beim Lebensmittel-Sortiment der Migros beispielsweise stammen rund 80 Prozent des Umweltfussabdrucks aus der Produktion, wie die Detailhändlerin auf Anfrage erklärt. Der Transport macht indessen nur 5 bis 10 Prozent aus, die Verpackung rund 3 Prozent.

Tomaten aus Spanien haben Vorteile

Zwei Beispiele zeigen, warum der Fokus auf Regionalität trügt.

Bei Tomaten, dem mengenmässig beliebtesten Gemüse der Schweizer, achten die Konsumenten gerne auf die regionale Herkunft. Aber einheimische Tomaten schneiden mit Blick auf die Umweltbelastung nur in den Sommermonaten vorteilhaft ab, wenn sie hierzulande Saison haben. Von Oktober bis Mai hingegen ist es besser, Tomaten aus Südspanien zu kaufen. Sie können dort wegen des warmen Klimas unbeheizt wachsen, während sie in der Schweiz in beheizten Gewächshäusern produziert werden müssen.

Der Klimaeffekt der Gewächshäuser fällt dabei weit mehr ins Gewicht als die CO2-Emissionen des Transportes aus Spanien. «Eine in Südspanien im Mai produzierte Wintertomate verursacht zehnmal weniger Treibhausgase als eine zur gleichen Zeit im beheizten Gewächshaus produzierte Tomate aus der Schweiz», heisst es in einer Studie der ETH Zürich.

Ein anderes Beispiel ist Rindfleisch, das zu den Lebensmitteln mit dem grössten Umweltfussabdruck gehört. Die Umweltwirkung entsteht vor allem bei der Produktion, weil Rinder grosse Mengen des Klimagases Methan ausstossen. Der Transport macht hingegen nur zwei Prozent des ökologischen Fussabdrucks aus. Es kommt deshalb nicht darauf an, wo Rindfleisch produziert wird. Aus Umweltsicht entscheidend ist, ob Menschen überhaupt Fleisch essen.

Argument für den Heimatschutz

Dass Schweizerinnen und Schweizer die Bedeutung des regionalen Lebensmittelkonsums so hoch gewichten, hat auch politische Sprengkraft. Denn für die Schweizer Bauern, die an einer inländischen Produktion interessiert sind, ist Regionalität ein willkommenes Argument, um Heimatschutz zu rechtfertigen.

«Die ausländische Lebensmittelproduktion ist mit einer grösseren ökologischen Belastung verbunden als jene im Inland», heisst es etwa beim Bauernverband. «Je weniger wir im Inland produzieren und dafür importieren, umso mehr belastet das Essen die Erde.»

Mit dieser Sicht stossen die Bauern bei der Bevölkerung auf offene Ohren. Aber sie hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand.

Nachbarländer haben vergleichbare Umweltstandards

So untersuchte eine Studie von Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt des Bundes, im Jahr 2015 die Ökobilanz von Schweizer Landwirtschaftsprodukten im Vergleich mit importierten Lebensmitteln.

Die Studie kam zum Schluss: «Von den untersuchten Produkten waren nur Käse und Kartoffeln aus der Schweiz fast ausschliesslich ähnlich oder günstiger zu bewerten als Importe.» Bei anderen Produkten wie Weizenbrot, Futtergerste und Rindfleisch hingegen konnten keine eindeutigen Unterschiede zu Importen aus Nachbarländern wie Deutschland und Frankreich gefunden werden.

Der Hauptgrund: Bei Lebensmitteln zählt nicht das «Wo», sondern das «Wie». Entgegen der landläufigen Meinung sind die Umweltstandards in Nachbarländern aber nicht grundsätzlich schlechter als in der Schweiz. Die hiesige Landwirtschaft schnitt in der Studie vor allem bei der Milchproduktion überlegen ab, weil diese stark auf der Nutzung von Grasland beruht. Beim Weizenanbau jedoch erwies sich die französische Produktion tendenziell als umweltfreundlicher, bei der Rindfleischherstellung lag Deutschland leicht vorne.

Ökologische Folgen einer Marktöffnung

Würde es also für die Umwelt viel ausmachen, wenn die Schweiz mehr Lebensmittel aus dem Ausland importierte? Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) hat untersucht, wie sich eine Marktöffnung auf die Umweltbilanz des Schweizer Nahrungsmittelkonsums auswirken würde. Eines der analysierten Szenarien ist eine Marktöffnung gegenüber der EU, welche die Preisdifferenz zwischen inländischen und EU-Lebensmitteln halbieren würde.

Die Umweltwirkungen eines solchen Schrittes wären laut der Studie gering. Die Gesamtumweltbelastung des hiesigen Nahrungsmittelkonsums würde sich um 1 Prozent erhöhen. Leicht grösser wäre der Effekt bei einer Marktöffnung gegenüber der ganzen Welt (+2,2 Prozent).

Nennenswerte Veränderungen gäbe es nur mit Blick auf den Wasserverbrauch. Das liegt daran, dass die Schweiz mit Wasser gesegnet ist, während Bauern in anderen europäischen Ländern mit Wasserknappheit kämpfen. Fast keinen Unterschied würde eine Marktöffnung indessen für den Treibhausgasausstoss machen, der mit dem hiesigen Nahrungsmittelkonsum verbunden ist, und auch nicht für die globalen Auswirkungen auf die Biodiversität und das Ausmass der Überdüngung.

Bio aus dem Ausland

Das Argument des Umweltschutzes steht damit einem grösseren Import von Lebensmitteln nicht entgegen. Wahrscheinlich wäre es sogar so, dass eine stärkere Schweizer Importnachfrage die Ökobilanz der Bauern im Ausland verbessern würde. Mit ihrer hohen Kaufkraft könnten sich die Schweizer beispielsweise problemlos Biolebensmittel aus Nachbarländern wie Deutschland oder Österreich leisten, denn sie kosten nicht mehr als konventionell produzierte Ware aus der Schweiz. Dadurch entstünde ein Anreiz für eine nachhaltigere Produktion im Ausland.

Es mag trotzdem Gründe geben, warum die Schweizer auf regionale Lebensmittel setzen. Vielen Konsumentinnen und Konsumenten ist es wichtig, Bauern und Produzenten in der näheren Umgebung zu unterstützen. Das hält wirtschaftliche Wertschöpfungsketten in der Region und dient der Pflege von Vielfalt und lokalen Traditionen.

Aber der Umweltschutz ist kein stichhaltiges Argument für den Kauf regionaler Lebensmittel. Im Gegenteil: Wenn es nur um die Frage der Ökologie ginge, könnten die Schweizer guten Gewissens mehr Nahrungsmittel aus dem Ausland kaufen.

Matthias Benz, «Neue Zürcher Zeitung»

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