Schweizer Reis? Kein Witz! In der Deutschschweiz wird neuerdings Nassreis angebaut. Mit beträchtlichem Erfolg – denn davon profitiert nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Umwelt.

In der Deutschschweiz wird neuerdings Nassreis angebaut. Mit beträchtlichem Erfolg – denn davon profitiert nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch die Umwelt.

Reisfeld Schwadernau (Foto: Kathrin Hartmann)

Man sieht es ihnen nicht an. Reispflanzen wirken ziemlich unscheinbar – wie die allermeisten Süssgräser eben. Doch der erste Eindruck täuscht gewaltig. Oryza sativa, der Asiatische Reis, ist eine der ältesten Kulturpflanzen und heute von der Produktionsmenge her die drittwichtigste Feldfrucht weltweit. Hunderte Millionen Menschen leben davon. In Asien prägen Reisfelder, die «Paddies», ganze Kulturlandschaften. Das weisse Getreide wird längst auch in Nordamerika, Brasilien und der italienischen Poebene angebaut. Und nun sogar im Schweizer Mittelland.

Das mag wie ein Scherz klingen: Schweizer Reis? Aber ja, den gibt es tatsächlich. 2017 führte ein Expertenteam der Forschungsanstalt Agroscope in der Grenchner Witi, eine landwirtschaftliche Schutzzone bei Solothurn, erste Versuche durch. Die Wissenschafter säten und pflanzten Reis auf zeitweilig gefluteten Ackerflächen.

Der Klimawandel verändert schon jetzt die Rahmenbedingungen für die Agrarwirtschaft. Neben steigenden Temperaturen nehmen auch Starkregen und Trockenperioden zu. Die Bauern müssen sich darauf einstellen. Womöglich, so dachten die Forscher, wäre der Anbau von sogenanntem Nassreis eine Option.

Abgesehen davon wollten die Agroscope-Experten das Potenzial von (wieder)vernässten Äckern für den Naturschutz untersuchen. Paddies könnten als Feuchtbiotope dienen, erklärt die Projektleiterin Yvonne Fabian. «Der Nassreisanbau ist eine einzigartige Möglichkeit, Produktion und Biodiversitätsförderung auf einer Fläche zu vereinen.»

Vier Tonnen pro Hektare

Das Experiment in der Grenchner Witi gelang. Das Team hatte verschiedene Verfahren getestet. Am besten gedieh der Reis, wenn die Pflanzen als Keimlinge im Gewächshaus aufgezogen und Anfang Mai auf dem zuvor gefluteten Feld eingesetzt wurden. Die Aussaat direkt auf dem Acker brachte keine guten Resultate. Ende August war die Ernte reif. Der Ertrag betrug hochgerechnet etwa 1300 Kilo pro Hektare. Ein ermutigendes Ergebnis.

«Nach diesem ersten Pilotversuch entschieden sich immer mehr Landwirte dazu, Nassreis anzubauen», erzählt Yvonne Fabian. Inzwischen produzieren 13 Betriebe auf insgesamt 18,4 Hektaren echten mittelländischen Reis. Geerntet werden im Schnitt rund vier Tonnen pro Hektare. «Die Landwirte sind sehr zufrieden damit», sagt Fabian.

Léandre Guillod ist einer von ihnen. Der studierte Agronom betreibt zusammen mit seinem Bruder Maxime am Mont Vully in der Nähe des Neuenburgersees eine Gemüsefarm. Zum Reis kamen die beiden mehr oder weniger durch Zufall. Die Guillods wenden eine in der Schweiz einzigartige Technik zur Bodennivellierung an und wurden von der Agroscope beauftragt, weitere Versuchs-Paddies vorzubereiten.

«Beim Nassreisanbau müssen die Felder perfekt flach sein», erklärt Léandre Guillod. Sonst bekomme man keinen gleichmässigen Wasserstand. Bei der Pflanzung im Frühling soll der Pegel nur zwei, drei Zentimeter betragen, betont der Spezialist. «Das ist Präzisionslandwirtschaft.» Bei einem höheren Wasserniveau verlieren die Setzlinge leicht den Halt und schwimmen davon. Später, während die Pflanzen wachsen, wird der Pegel stufenweise auf bis zu 15 Zentimeter erhöht.

Die Flutung der Felder bietet den Bauern gleich mehrere Vorteile. Neben der stets gesicherten Wasserversorgung hilft das Nass auch, Wildwuchs in Schach zu halten. Die meisten Unkrautsamen können unter Wasser wegen Sauerstoffmangel nicht keimen. Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist die Einwirkung auf das Mikroklima, wie Léandre Guillod erläutert. Das Wasser speichere Wärme und fördere so das Wachstum der Reispflanzen. Deren Blüten sind zudem kälteempfindlich.

Bemerkenswert ist das regelmässige Auftreten von Bekassinen, einer in der Schweiz vom Aussterben bedrohten Schnepfenart.

Fällt die Temperatur während der Rispenbildung unter 10 Grad, werden sie schnell steril. In kühlen Julinächten kann das durchaus passieren. Doch das wärmere Wasser unter ihnen schützt die Infloreszenzen vor Kälteschocks. Reis vermag übrigens auch auf trockenen Feldern zu gedeihen. Dazu brauche es aber ein milderes Klima, erklärt der Agronom – wie im Tessin, wo bereits seit 1997 am Lago Maggiore «riso nostrano ticinese» angebaut wird.

Den Nutzen der Nassreiskulturen für die heimische Natur haben Agroscope-Forscher durch systematische Begehungen erfasst. Die Felder ziehen offenbar viele Tierarten an. So konnten die Experten insgesamt 36 verschiedene Libellenspezies nachweisen, wovon fünf hierzulande auf der Roten Liste stehen. Für Amphibien sind die neuen Feuchtflächen ebenfalls interessant. Grünfrösche der Gattung Pelophylax und Laubfrösche nutzen sie in grosser Zahl als Brutstätten; des Weiteren wurden Erdkröten, Fadenmolche und Kreuzkröten angetroffen.

Auch bei den Vögeln gibt es interessante Beobachtungen. Bemerkenswert ist unter anderem das regelmässige Auftreten von Bekassinen, einer in der Schweiz vom Aussterben bedrohten Schnepfenart. Die scheuen Tiere schätzen das reiche Angebot an wasserlebenden Wirbellosen und fressen auch gerne die nach der Ernte liegen gebliebenen Reiskörner.

Der Kiebitz, ein weiterer gefährdeter Wiesenvogel, hat 2023 sogar schon auf mittelländischen Reisfeldern gebrütet – allerdings noch vor der alljährlichen Flutung. «Jetzt wird versucht, spezielle Kiebitz-Inseln aufzustellen», erklärt Yvonne Fabian. Solche Erdanhäufungen sollen Gelege und Nestlinge vor hungrigen Füchsen schützen. Diese bekämen nicht gerne nasse Füsse.

Fabians Kollegin Chloé Wüst ist derweil noch einem Vorteil des Nassreisanbaus auf der Spur. In weiten Teilen Europas, der Schweiz inklusive, wurden in der Vergangenheit Moore zugunsten der Landwirtschaft trockengelegt. Das schadet dem Weltklima. Moorböden bestehen überwiegend aus pflanzlichem Material, welches sich oft über viele Jahrhunderte hinweg angesammelt hat.

Im nassen, weitgehend sauerstofflosen Milieu wurde es bestens konserviert. Durch die Entwässerung jedoch ist die organische Substanz eindringender Luft ausgesetzt und damit dem mikrobiellen Abbau. Dieser setzt CO2 plus N2O in Massen frei. Wiedervernässung stoppt diese klimaschädlichen Emissionen, wie Wüst erläutert.

Ein knifflige Sache

Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Reisfelder dünsten nämlich auch signifikante Mengen an Methan aus. Dieses ebenfalls klimaschädliche Gas wird von spezialisierten Bakterien produziert, die keinen Sauerstoff benötigen. Die Frage ist nun, welcher Effekt überwiegt. Agroscope führt dazu mit der ETH Zürich Untersuchungen durch.

Laut den Ergebnissen einer ersten Versuchsreihe scheint beim Nassreisanbau die Senkung der CO2– und N2O-Emissionen den Methanausstoss in CO2-Äquivalenten um ein Mehrfaches ausgleichen zu können. Mit anderen Worten: Es wird netto deutlich eingespart, das Klima profitiert. Dies aber gelte für Moorböden, gibt Chloé Wüst zu bedenken. Bei anderen Bodentypen sehe die Bilanz vielleicht ganz anders aus.

Das Reisfeld der Gebrüder Guillod liegt direkt am Broyekanal, der Verbindung zwischen Neuenburger- und Murtensee. In diesem Jahr haben die beiden die Anbaufläche auf sechs Hektaren vergrössert und einen zweiten Standort bei Aarberg eröffnet. Der Reisanbau sei echt knifflig, erzählt Léandre Guillod. Die Unkrautbekämpfung kostet trotz der Flutung viel Anstrengung. Sumpfpflanzen wie Rohrkolben und Froschlöffel wachsen bestens auf Nassfeldern. In der Schweiz ist der Einsatz von Pestiziden im Wasser verboten, also muss von Hand oder mit einer kleinen Hackmaschine gejätet werden.

Es lohne sich trotzdem, betont Léandre Guillod. Ihre Ernte verkaufen die Brüder als «Riz du Vully» und «Aare Riis» im Direktvertrieb und erzielen dabei gute Einnahmen. «Die Nachfrage ist da.» Abgesehen davon macht es richtig Freude, diesen neuen Weg zu gehen, meint der Agronom. «Reis ist so spannend.»

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