Trotz Energiewende: Hersteller von Windrädern kämpfen gegen die Flaute – und Schweizer Zulieferer mit ihnen Die Zeit der Zulassungsrekorde bei den Windkraftturbinen in Europa ist vorbei. Erst hat China den Pionier abgehängt, bald könnten es die USA tun. Gurit und Schweiter hoffen auf neuen Schub.

Die Zeit der Zulassungsrekorde bei den Windkraftturbinen in Europa ist vorbei. Erst hat China den Pionier abgehängt, bald könnten es die USA tun. Gurit und Schweiter hoffen auf neuen Schub.

Europäische Aufträge zum Bau neuer Windräder, so wie hier in Frankreich, sind selten geworden. (Foto: Thomas Reaubourg auf Unsplash)

Je mehr in Europa wegen des Klimawandels um Windräder gestritten wird, umso weniger werden von ihnen gebaut. Die langwierigen Zulassungs- und Planverfahren sind in der Branche schmerzhaft zu spüren. Aufgrund der viel tieferen bürokratischen Hürden bevorzuge man die Solar- gegenüber der Windbranche, schrieb unlängst die Privatbank Mirabaud.

Die Gewichte verschieben sich. Zwar wurden im ersten Quartal 2023 weltweit so viele Windräder bestellt wie noch nie in diesem Zeitraum. Ihre Kapazität summiert sich auf 23,5 Gigawatt, wie die Unternehmensberatung Wood Mackenzie berechnet hat. Davon entfallen allerdings fast zwei Drittel auf China. Damit hat sich der Trend des Jahres 2022 fortgesetzt. Das Reich der Mitte bleibe die absolut treibende Kraft im Windmarkt, und das werde sich so schnell nicht ändern, kommentierte Wood Mackenzie.

China ist ein hartes Pflaster

Für die grossen westlichen Windrad-Anbieter sowie ihre Zulieferer sind das keine guten Nachrichten. Einerseits mischen in China grosse lokale Hersteller mit, zweitens ist dort der Preiskampf sehr intensiv. Der Boom in China wird durch lokale Ziele zur Produktion erneuerbarer Energien befeuert. Westliche Anbieter konzentrieren sich lieber darauf, ihre Profitabilität zu schützen. Ihre Aufträge lagen im ersten Quartal 9 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Die vier grossen westlichen Produzenten – Vestas, Siemens Gamesa, GE Renewable Energy und Nordex – häuften im vergangenen Jahr einen kumulierten Verlust von fast 5 Milliarden Euro an. Im ersten Quartal setzte sich der Gegenwind fort, nur die dänische Vestas erzielte wegen des Service-Geschäfts einen kleinen Gewinn. Die Branche werde von politischer Unsicherheit, langsamen Zulassungsprozessen und der hohen Teuerung belastet, klagte Firmenchef Henrik Andersen.

Das Unternehmen Gurit aus Wattwil beobachtet mit Argusaugen, wie sich der Windmarkt entwickelt. Die Firma beliefert die Windradhersteller mit Leichtbaumaterialien und Hochleistungskunststoffen für die Rotoren. Das Geschäft mit der Windbranche macht laut der Investmentbank Stifel mehr als 85 Prozent des Umsatzes aus.

Der Erlös war vergangenes Jahr dank dem Kauf der dänischen Firma Fiberline Composites, womit das Produktangebot für Rotorblätter noch ausgeweitet wurde, auf knapp 500 Millionen Franken gewachsen. Der bereinigte Betriebsgewinn sank allerdings um zwei Drittel auf 11 Millionen Franken. Der Aktienkurs hat seit Anfang 2022 rund 45 Prozent verloren.

Auch die USA könnten Europa überholen

Auch mit dem Umsatz im ersten Quartal hatte Gurit enttäuscht; organisch resultierte abermals ein Rückgang. Vor der Publikation des Halbjahresergebnisses Mitte August möchte sich das Unternehmen nicht mehr zur Marktentwicklung äussern. Die UBS kommentierte jüngst, dass sich das operative Momentum offenbar Schritt für Schritt verbessere. Aber 2023 bleibe ein Übergangsjahr.

Seit 2020 hat Gurit Fertigungszentren in Indien und Mexiko aufgebaut. Von Indien wird auch China bedient – und Mexico wird für die USA wichtig werden. Denn Nordamerika, nach Europa der weltweit drittwichtigste Windmarkt, legt durch die Subventionspolitik von Präsident Joe Biden an Gewicht zu.

Darauf zählt auch Schweiter, ein Hersteller von Verbundwerkstoffen aus Steinhausen. Die Kernmaterial-Sparte des Unternehmens, die vergangenes Jahr 19 Prozent zum Umsatz beitrug, beliefert auch die Windbranche. Mit Produktionsstandorten in Nordamerika und guten Beziehungen zu allen Turbinenherstellern sei man gut positioniert, um bei dem erwarteten grossen Aufschwung in den USA profitieren zu können, sagt der Finanzchef Martin Klöti auf Anfrage.

Schweizer sieht Hoffnung für 2024

Schweiter stellt Balsaholz und Kunststoffschäume für die Windradflügel her. Wie Gurit hat auch Schweiter jüngst eine Übernahme getätigt, um das Segment zu stärken – die JMB Wind Engineering aus Polen. JMB wird rund 6 Prozent des Gruppenumsatzes ausmachen. Vergangenes Jahr war der Erlös noch um 2 Prozent auf 1,2 Milliarden Franken gesunken; der Betriebsgewinn (Ebit) bildete sich um zwei Drittel auf 43 Millionen Franken zurück. Die Aktien gaben seit Anfang 2022 um mehr als die Hälfte nach.

Im März war Schweiter noch davon ausgegangen, dass im laufenden Jahr ein neuer Wachstumszyklus in der Windbranche einsetzen wird. Nun wird der Start laut dem Finanzchef Klöti erst im Laufe von 2024 erwartet. Als einer der Hauptgründe für die Verzögerung nennt auch er langwierige Bewilligungsverfahren. Ausserdem zögen sich in Europa die Windenergie-Auktionsprozesse aufgrund unklarer Kriterien in die Länge.

Die hybriden Komponenten von Gurit und Schweiter sind gefragt, weil sie das Gewicht der Rotoren eines Windrads reduzieren. Diese Blätter sind mit der Zeit immer länger geworden. Damit ist die Stromerzeugungs-Kapazität der Turbinen gewachsen, und sie wurden für die Windpark-Betreiber attraktiver. Der Verkaufspreis einer Turbine pro erzieltem Megawatt sank, was wiederum auf die Profitabilität der Hersteller drückte. Nun fällt es ihnen erst recht schwer, die Inflation bei den Rohstoffpreisen an die Kunden weiterzugeben.

Siemens Gamesa wird von der Vergangenheit eingeholt

Doch nicht nur der Mangel an neuen Windrädern, auch Mängel an alten Anlagen können zu einem Problem werden. Die Aktien vom Siemens Energy, der Muttergesellschaft von Siemens Gamesa, stürzten am vergangenen Freitag um 37 Prozent ab. Das Unternehmen hatte einräumen müssen, dass es für die Behebung von Qualitätsproblemen mehr als 1 Milliarde Euro aufwenden muss. Dazu kam die zweite Gewinnwarnung in Folge. Betroffen sind bis zu 30 Prozent der Siemens-Windanlagen an Land. Auch Vestas musste im Jahr 2020 ausserplanmässig 600 Millionen Euro wegen Mängeln ausgeben.

Immerhin gibt es eine Linderung für die Zulassungshürden in Europa: Der Ersatz bestehender Anlagen durch neuere, leistungsfähigere Windräder ist einfacher durchzusetzen als Neuerschliessungen. Windturbinen sind laut der Bank Bernstein auf eine Lebenszeit von 20 bis 25 Jahren ausgelegt. Bis zum Jahr 2030 werden weltweit an Land Anlagen mit einer Gesamtkapazität von rund 150 Gigawatt älter als 20 Jahre sein. Viele davon werden auf dem einstigen Pionierkontinent Europa stehen.

Ende des Jahres werden weltweit genug Windräder aufgestellt sein, um insgesamt ein Terawatt Strom zu erzeugen, sagt Wood Mackenzie voraus. Es hat mehr als 40 Jahre gebraucht, diese Produktionskapazität zu erreichen. Die Marke von zwei Terawatt werde hingegen in den kommenden acht Jahren geknackt. Die Frage dürfte nur sein, wo diese Räder stehen werden.

Benjamin Triebe, «Neue Zürcher Zeitung»

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