Vertical Farming: wie Schweizer Startups die Landwirtschaft neu denken Sparsam im Umgang mit Wasser, ohne Pestizide und mit etwas Anstrengung auch CO2-neutral: Das sind die Stärken von Vertical Farming. Drei Jungfirmen wollen zeigen, dass diese neue Form von Agrarwirtschaft auch in der Schweiz Zukunft hat.

Sparsam im Umgang mit Wasser, ohne Pestizide und mit etwas Anstrengung auch CO2-neutral: Das sind die Stärken von Vertical Farming. Drei Jungfirmen wollen zeigen, dass diese neue Form von Agrarwirtschaft auch in der Schweiz Zukunft hat.

Bild: Karin Hofer / NZZ

In Asien, aber auch in den USA sind sie bereits ein grosses Thema: sogenannte Vertical Farms, auf denen in Hallen unter genau kontrollierten Bedingungen Kräuter, Beeren oder Gemüse angebaut werden.

Auch in der Schweiz gibt es einige Jungfirmen, die in dieser neuen Form von Landwirtschaft Geschäftschancen sehen, denn die Nachfrage nach Lebensmitteln, die nachhaltig und wenn möglich in der Region produziert werden, steigt. So kann Vertical Farming nicht nur mit sehr wenig Wasser und ohne Pestizide betrieben werden. Gemüse und Kräuter können auch dort angebaut werden, wo keine Agrarflächen vorhanden sind, aber dafür potenzielle Kundschaft: etwa in Städten und Agglomerationen.

Yasai: Vertical Farming als Infrastruktur

Am meisten Aufmerksamkeit hat bis jetzt das Startup Yasai auf sich gezogen, das ein Trio rund um den ETH-Architekten Mark Zahran Anfang 2020 gegründet hat. Das Interesse dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass es sich um einen ETH-Spin-off handelt, dem entsprechend viel zugetraut wird.

Das junge Unternehmen konnte bereits 7 Millionen Franken aufnehmen. Seit Februar läuft zudem ein Innosuisse-Projekt, bei dem verschiedene Institutionen Yasai dabei unterstützen, Ausbeute, Qualität, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit der Anlage zu optimieren. Das Projekt dauert drei Jahre und wird mit einer Million Franken gefördert.

Agroscope, das landwirtschaftliche Kompetenzzentrum des Bundes, untersucht beispielsweise, welche Pflanzen sich besonders gut eignen für Vertical Farming. So ist nicht klar, ob diejenigen Pflanzen, die unter natürlichen Bedingungen am besten wachsen, auch am geeignetsten sind für die Vertical Farm.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ihrerseits schaut sich die Substrate genauer an, die den Keimlingen Halt geben und es ihnen erlauben, Wurzeln zu schlagen und zu wachsen. So sollen die Substrate nicht nur gute Wachstumsbedingungen bieten, sondern auch nachhaltig sein. Die rosa Schaumstofftöpfe (siehe Bild oben), die Yasai von der niederländischen Firma Growfoam bezieht, sind zu 100 Prozent biologisch abbaubar.

Noch steht Yasai – der Name bedeutet auf Japanisch «Gemüse» und soll daran erinnern, dass Japan die Pioniernation des Vertical Farming ist – allerdings ganz am Anfang. Im Januar konnte das Startup seine Pilotanlage in einer alten Industriehalle im zürcherischen Niederhasli in Betrieb nehmen.

Fokus auf Basilikum

Angebaut wird bis jetzt hauptsächlich Basilikum, das täglich in abgepackten Portionen à 20 Gramm an Coop und Jelmoli geliefert wird. Vor kurzem sind Minze und Koriander dazugekommen, Blattgemüse und Beeren sind laut Zahran in Planung. Derzeit habe es auf den sechs Stockwerken à 100 Quadratmeter Platz für rund 50 000 Pflanzen.

Selber Vertical Farming zu betreiben, ist für Yasai allerdings nur Mittel zum Zweck. Ziel ist, dereinst «Vertical Farming as a service» anzubieten – das heisst schlüsselfertige Lösungen für Kunden, die Vertical Farming betreiben wollen. Dafür müsse man natürlich zuerst beweisen, dass sich die Anlagen rentabel betreiben liessen, sagt Zahran. «Wir haben hier die kleinstmögliche Anlage gebaut, die sich aus unserer Sicht selber tragen kann.»

Da die Anlage zudem möglichst wenig klimaschädlich sein soll, spielt die Haustechnik ebenfalls eine wichtige Rolle. Wenn es nämlich einen Vorwurf gegenüber Vertical Farming gibt, dann jenen, dass die Anbauart zu viel Strom braucht. So wird in Niederhasli die Wärme, die durch die LED-Lampen entsteht, für das Heizen des restlichen Gebäudes genutzt. Eine umfassende Lebenszyklusanalyse, die nicht zuletzt auch die CO2-Bilanz der Anlage aufzeigen soll, ist Teil des Forschungsprojekts mit der ZHAW.

Lokal365: Heilpflanzen und Essenzen

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt Christian Gerig, der seit Anfang 2021 im St. Galler Sittertobel ebenfalls eine Vertical-Farming-Anlage betreibt. Der 45-jährige HSG-Absolvent kam auf die Idee des Indoor-Farming, als er sein bisheriges Geschäft – den Anbau von Bambus in China – pandemiebedingt aufgeben musste und, zurück in der Schweiz, ein neues Betätigungsfeld suchte.

Anders als bei Yasai steht für Gerig nicht das Bereitstellen von Infrastruktur im Zentrum, sondern der Anbau selbst: «Ich wollte wie beim Bambus wieder mit Rohstoffen zu tun haben, die ich das ganze Jahr frisch verarbeiten kann. Da dies in der Schweiz draussen nicht möglich ist, bin ich aufs Vertical Farming gekommen.»

Mit der Technologie gibt er sich nur so weit ab, wie es notwendig ist: «Man kann heute das ganze Equipment bequem kaufen. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen wusste ich, dass ich das Rad nicht neu erfinden will.» Gerig machte sich im Internet schlau, schaute Youtube-Videos und kam zum Schluss, dass das US-Unternehmen Zipgrow für ihn der richtige Anbieter ist.

Das System habe ab Tag eins funktioniert, auch dank einem guten Support des Lieferanten. «Zwei Mitarbeiter waren hier und haben insgesamt vier Wochen lang mit uns geübt, denn es gibt schon einiges zu lernen.» Danach habe er noch ein ganzes Jahr lang einmal pro Woche einen Telefontermin mit Zipgrow gehabt, bei dem er Probleme habe besprechen und Fragen habe stellen können.

«Keine Zukunft beim Basilikum»

Technisch hat sich der Farmbetrieb laut Gerig mittlerweile eingespielt. Die grosse Herausforderung ist derzeit die Produktpalette. Denn anders als Yasai sieht Gerig keine Zukunft im Verkauf von frischem Basilikum. Ein halbes Jahr lang habe man die Spar-Filialen in der Ostschweiz und ein paar Monate lang auch die Migros-Supermärkte der Region jeden Tag mit Kräutern beliefert, aber zu vieles habe einfach nicht gestimmt. Im März habe man deshalb aufgehört.

Ein Grund war laut Gerig der Preis. Mit der subventionierten Landwirtschaft zu konkurrenzieren, sei extrem schwierig, vor allem bei Produkten, mit denen man sich kaum differenzieren könne. Und da gehörten eben auch frische Kräuter dazu. Fast noch problematischer war jedoch die stark schwankende Nachfrage: «Eine Indoor-Farm muss jeden Tag alles, was anfällt, verkaufen können», erklärt Gerig. Gerade Basilikum wachse so rasch, dass man ihn nicht einfach zwei Tage länger stehen lassen könne, sonst seien die Blätter zu gross.

Mit den Grossverteilern sei es jedoch nicht möglich zu planen: «Wir haben die Daten von Spar über den ganzen Zeitraum unserer Zusammenarbeit analysiert und konnten kein Muster für die Höhe der Nachfrage feststellen. An einem Tag waren es 500 Päckli, am nächsten 1500.» Wer immer lieferbereit sein wolle – und ohne das habe man bei den Grossverteilern keine Chance –, müsse somit stets zu viel produzieren.

Heilpflanzen und Essenzen

Die nötige Kontinuität bei den Bestellungen erhofft sich Gerig nun bei seltenen Kräutern für die Herstellung von pflanzlichen Heilmitteln – ein Gebiet, in dem die Schweiz führend ist. «Im Pharmabereich gibt es Pflanzen, die sehr schwierig zu beschaffen sind.» Für eine Indoor-Farm sei es kein Problem, 150 Kilogramm Arnica montana in stabiler Qualität auf einen genau vereinbarten Termin zu liefern, während Biobauern immer wieder mit Problemen konfrontiert seien. Letztes Jahr beispielsweise habe man wegen Umwelteinflüssen überhaupt keine Arnica montana kaufen können.

Neben dem Geschäft mit Heilkräutern, das noch im Aufbau ist, probiert Gerig ein zweites Standbein aus: Die angebauten Kräuter und Beeren werden nicht verkauft, sondern selber zu höhermargigen Produkten weiterverarbeitet und danach direkt an den Endkonsumenten verkauft. Bereits mit seinem Bambus stellte er Essenzen her. Dies ist auch hier die Geschäftsidee: Schonend extrahierte wässrige Essenzen, mit denen Wasser- und Teetrinker ihre Getränke anreichern können. «Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir alles selber machen, vom Anbau der Rohstoffe wie Chili, Erdbeeren oder Zitronengras über die Extraktion bis zum Abfüllen. Und alles geschieht hier in der Schweiz unter einem Dach.»

Bei Umami wächst neben den Microgreens ein halber Regenwald. Diese Pflanzen helfen mit, das Wasser im Kreislauf zu reinigen. Bild: PD

Umami: indoor, aber möglichst naturnah

Robin Bertschinger und seine Kollegen haben ihre Nische im Vertical Farming bereits gefunden. Mit ihrem Startup Umami produzieren sie im vierten Stock eines Bürogebäudes in Zürich Altstetten sogenannte Microgreens, mit denen sie Händler wie Coop, Migros, Farmy, Manor oder Jelmoli sowie diverse Gastronomen in der ganzen Schweiz beliefern.

Microgreens sind normale Gemüse- oder Gewürzpflanzen, etwa Erbsen, Radieschen, Rucola oder Sonnenblumen, die sehr früh geerntet werden. Der Schnitt erfolgt nach der Entwicklung der ersten Keimblätter, was zu einer hohen Konzentration diverser Nährstoffe wie Vitaminen und Proteinen sowie von Spurenelementen führt.

«Als wir 2016 mit Umami anfingen, haben wir neben den Microgreens auch Basilikum und andere Kräuter angebaut», erklärt Bertschinger. Aber es habe sich bald gezeigt, dass es sich für gewisse Produkte nicht lohne, mit der subventionierten Landwirtschaft und internationalen Märkten konkurrieren zu wollen. Deshalb habe man die Produktion von alltäglichen Kräutern aufgegeben und züchte auch das Basilikum nur noch als Microgreen.

Microgreens sind zwar in der breiten Bevölkerung noch nicht so bekannt. Dafür ist die Konkurrenz unter den Anbietern deutlich geringer, was mehr Flexibilität beim Preis erlaubt. So kostet ein Pack Umami-Microgreens à 25 Gramm rund 4 Franken 90. Das ist einiges mehr, als etwa Yasai für sein Basilikum lösen kann (2 Franken 95 für 20 Gramm), das im Coop-Regal gleich neben dem Betty-Bossi-Basilikum (2 Franken 30) liegt.

Aber nicht nur der bessere Preis spricht für die Produktion von Microgreens, sondern auch der nochmals schnellere Produktionsrhythmus. In der Zeit, in der typisches Basilikum heranwächst, kann Umami seine Microgreens drei- bis fünfmal ernten. Die schnellsten Pflanzen, etwa Radieschen oder Meerrettich, brauchen in ihrer Indoor-Anlage gerade einmal sechs Tage, davon drei zum Keimen und drei am Licht. Langsame wie Sonnenblumen oder Erbsen benötigen elf Tage.

Auch Umami weiss nie im Voraus, wie viel Coop oder Migros an einem bestimmten Tag bestellen wollen. Mittlerweile könne man dank Daten von mehreren Jahren zwar die Mengen relativ gut prognostizieren, erklärt Bertschinger. Aber zu Beginn sei oft zu viel oder zu wenig produziert worden.

Um Food-Waste zu verhindern, kreierte das Unternehmen zusammen mit einem Spitzenkoch eine Produktelinie mit verarbeiteten Microgreens. So gibt es heute auch Pesto, Ketchup, Mayonnaise oder Senf, die alle jeweils einen Anteil passender Microgreens enthalten und statt sechs Tagen sechs Monate haltbar sind. 95 Prozent des Umsatzes werden jedoch nach wie vor mit frischen Microgreens erzielt.

Die Natur nachbauen

Es ist aber nicht nur das mittlerweile zumindest knapp profitabel laufende Geschäft, das Umami von den anderen beiden Indoor-Farmen unterscheidet. Auch die Philosophie ist eine ganz andere. Während Yasai und Lokal365 typische Vertreter der neuen Vertical-Farming-Generation sind und ihre Pflanzen in Reinräumen aufziehen, setzen die Zürcher Pioniere auf Natur. Ihre selbst konstruierten Holzgestelle sind mit Algen überwachsen, im hinteren Teil des Raums wächst ein halber Urwald über mehreren Aquarien mit Fischen, Schnecken und Muscheln, es plätschert und ist feucht.

Umami hat sich entschieden, keinen mineralischen Dünger einzusetzen, da dieser aus fossilen Rohstoffen hergestellt wird. Stattdessen wird die Pflanzenzucht mit der Aufzucht von diversen Wassertieren wie Fischen, Garnelen oder Schnecken kombiniert.

So lässt sich ein Kreislauf bilden: Die Exkremente der Fische werden zu Nährstoffen für die angebauten Pflanzen. Diese wiederum «reinigen» das Wasser, indem sie diese Nährstoffe aufnehmen, so dass das Wasser wieder für die Fische verwendet werden kann. Die für die Pflanzenaufzucht nötigen Nährstoffe kommen somit im Wesentlichen über das Fischfutter ins System.

Die Kombination wird auch andernorts betrieben und nennt sich Aquaponik. Im Idealfall gibt es aus dem Kreislaufsystem sogar zwei Geschäftszweige: Neben den Produkten der Vertical Farm können auch die Fische verkauft werden.

Das System stabil zu halten, sei allerdings anspruchsvoll, erklärt Bertschinger. Er hält es für riskant, auch die Fischzucht zu optimieren. Das System sei stabiler, je mehr verschiedene Pflanzen und Tiere man nutze. Deshalb hat Umami ein möglichst naturnahes, biologisch diverses Ökosystem mit rund 250 Pflanzen- und 100 Tierarten kreiert. Auf die kommerzielle Zucht von Fischen wird verzichtet – oder wie Bertschinger sagt: «Bis jetzt sind die Fische nicht unser Produkt, sondern unsere Mitarbeiter.» Der Fokus liegt stattdessen auf der Erweiterung der Produktepalette mit Beeren, Früchten oder Gemüse.

Die verkauften «Mitarbeiter»

Da sich die «Mitarbeiter» allerdings ständig vermehren, kann es schon sein, dass hin und wieder einige verkauft werden, damit es nicht zu eng wird in den Aquarien. So wurden vor zwei Monaten in einer Spezialaktion erstmals 450 afrikanische Buntbarsche an die Gastronomie geliefert.

Andrea Martel, «Neue Zürcher Zeitung»

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