Arbeitswelt: Der Triumph der Angestellten Die Pandemie hat neue Fakten geschaffen. Home-Office ist nicht mehr Sonderfall, sondern Normalität. Und erstmals sitzen die Arbeitnehmer am längeren Hebel.

Die Pandemie hat neue Fakten geschaffen. Home-Office ist nicht mehr Sonderfall, sondern Normalität. Und erstmals sitzen die Arbeitnehmer am längeren Hebel.

Arbeiten, wo immer man will: Der Grossteil der Schweizer Firmen hat sich damit arrangiert, dass ihre Mitarbeiter auf die neuen Freiheiten nicht verzichten wollen. Bild: Vinzent Weinbeer auf Pixabay

Fünf Monate nach der Aufhebung der letzten Corona-Massnahmen durch den Bundesrat herrscht im Schweizer Arbeitsmarkt ein Patt: Die Chefs wollen ihre Mitarbeiter zurück im Büro sehen. Jene aber wollen nicht mehr die ganze Arbeitszeit dort verbringen.

Wohl zum allerersten Mal in der Geschichte des Schweizer Arbeitsmarktes sitzen nun aber die Arbeitnehmer am längeren Hebel. Denn der Fachkräftemangel nach der Pandemie hat neue Fakten geschaffen.

So wurde in nur zwei Jahren der bisherige Sonderfall Home-Office, also die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, für Personen mit einem Bürojob zum Normalfall. Viele konnten nun erstmals selber testen, wie gut oder schlecht sie in den eigenen vier Wänden arbeiten.

Und während einige gerne wieder vollständig zurück an den Arbeitsplatz kehren wollten, waren andere äusserst zufrieden daheim. «Ich will nie mehr zurück ins Büro», «Meine Chefin kontrolliert mich nicht mehr dauernd»; oder auch: «Ich kann mir meine Arbeit selbst einteilen und ruhig arbeiten», wurde von anderen so und ähnlich schon während Corona argumentiert.

Selbst Chefs pochen auf Flexibilität

Die Zäsur ist einschneidend. Chiara La Regina vom Personalvermittler Job Impuls betont, dass das Home-Office für «viele Arbeitssuchende eine zwingende Bedingung» geworden sei. Und immer häufiger ein Kündigungsgrund, würden Firmen darauf nicht eingehen. Die unter Dreissigjährigen forderten es konsequent ein, der Trend zeichne sich aber auch bei den Älteren ab.

Grosse Unterschiede nach Branche oder Bildungsstand beobachtet Chiara La Regina nicht. Oliver Berger von der Rekrutierungsfirma Witena führt an, dass vor der Pandemie auf Stufe Geschäftsleitung und eine Ebene darunter niemand die Themen Home-Office und flexibles Arbeiten angesprochen hätte. Heute würde das auch beim obersten Kader stets thematisiert, so Berger.

Manche mögen sich noch an die Zeit vor Corona erinnern. Arbeitete eine Kollegin regelmässig einen Tag in der Woche daheim, lästerten oft nicht nur die Kollegen, sondern gern auch der Chef. Witze über «die bezahlte Freizeit» waren die Norm, Abwesenden wurde zudem oft die spannenden Arbeiten «abgenommen», denn «der Kollege ist ja nicht da». Generell war die Präsenz vor Ort für viele Chefs oberstes Gebot, unabhängig davon, wie gut jemand seine Arbeit erledigte.

Corona hat diese Hackordnung verändert. «Vor der Pandemie sahen es viele unserer Manager nicht gern, wenn ihre Angestellten zu Hause arbeiteten», sagt eine Kaderfrau eines grossen Schweizer Konzerns. Doch dann merkten sie während der Pandemie, dass daheim «tatsächlich gearbeitet» wurde. Die Skepsis sei verschwunden, führt sie aus. Neu fordern Mitarbeiter heute ihre Wünsche dezidierter ein, hier grüsst auch der Fachkräftemangel.

«Im April sagten wir klar, dass ab jetzt wieder alle Mitarbeiter mindestens drei Tage pro Woche ins Büro kommen müssten», erzählt ein Partner eines KMU. Fünf Monate später schaffe man es gerade einmal, die Belegschaft wenigstens an einem Tag vor Ort zu haben. Eine Mitarbeiterin weigere sich seit Corona komplett, ins Büro zu kommen. Da sie die Arbeit aber gut erledigte, habe man sich damit arrangiert, so der Partner.

Für Firmen, die Büroraum einsparen möchten, sind das alles keine schlechten Nachrichten. Für solche, die viel Geld in die Infrastruktur investiert haben, ist es schwieriger. Unter dem Strich verfolgen die befragten Schweizer Firmen einen pragmatischen Ansatz, wenn teilweise auch zähneknirschend. Statt mit allen Mitteln zu versuchen, die Mitarbeiter vollständig zurück ins Büro zu holen, stellen sich mehrheitlich auf hybrides Arbeiten ein.

Neuer Chef, neue Kultur bei der ZKB

Die UBS rechnet damit, dass bis zu 75% ihrer Mitarbeiter weltweit permanent hybrid arbeiten werden. Bei der Credit Suisse können Mitarbeiter neu wählen, wie sie ihre Arbeitszeit gestalten und wo sie arbeiten möchten – in Absprache mit Team und Vorgesetzten.

Hybrides Arbeiten ist zudem bei der Swiss Re, teilweise aber auch bei einer Uhrenfirma wie Bucherer möglich. Und selbst bei der Zürcher Kantonalbank dürfen Mitarbeitende regelmässig einen bis zwei Tage daheim arbeiten. Der abtretende Chef Martin Scholl hatte jüngst noch erklärt, in zwei Jahren rede niemand mehr vom Home-Office.

Nicht alle Chefs verstehen, warum ihre Schäfchen nicht wieder ganz ins Büro wollen. Vor allem, wenn dort viel geboten wird, eine tolle Kantine oder gar ein Gym. Sicher spielt es eine Rolle, dass viele den Wert der persönlichen Freiheit, sich die Arbeit in Ruhe selber einzuteilen, schätzen gelernt haben. Simone Stebler von der Managementberatung Egon Zehnder verweist zudem auf den Wegfall des Arbeitsweges und darauf, dass einige während Corona Wohnungen ausserhalb der Zentren gemietet haben. Mitarbeiter dürften aber nicht vergessen, meint Stebler warnend, dass Visibilität im Büro weiterhin einer Karriere diene. Zu viel abwesend sollte man nicht sein.

Dennoch glaubt niemand an ein Zurück zum Vor-Corona-Zustand. Denn selbst Chefs äussern sich ab und zu positiv zur neuen Freiheit und schätzen es, nicht mehr täglich perfekt gestylt von früh bis spät vor Ort sein zu müssen. Die Vorteile des hybriden Arbeitens gelten schliesslich auch für sie.

Zoé Baches, «NZZ am Sonntag»

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