Der letzte Rettungsanker für Firmen in Personalnot Die Online-Plattform Coople krempelt gerade den Schweizer Arbeitsmarkt um. Seit der Pandemie ist er explosionsartig gewachsen und kann mittlerweile auf über eine halbe Million registrierte Beschäftigte zugreifen.

Die Online-Plattform Coople krempelt gerade den Schweizer Arbeitsmarkt um. Seit der Pandemie ist er explosionsartig gewachsen und kann mittlerweile auf über eine halbe Million registrierte Beschäftigte zugreifen.

Coiffeure gehören derzeit zu den gefragten Arbeitskräften. Bild: Tagblatt

Wo sind sie nur alle geblieben, die Büezer und Angestellten? Es ist eine Frage, die sich in diesen Tagen die meisten Betriebe stellen. Auf ihre Jobinserate melden sich kaum Bewerber – schon gar nicht solche, die das gewünschte Profil besitzen. Und ergebnislos verläuft längst nicht mehr nur die Suche nach notorisch knappen Fachkräften wie IT-Spezialisten und Pflegenden. Auch an Kellnerinnen, Möbelpackern, Sicherheitsleuten und Coiffeusen fehlt es. Vielen Firmen bleibt deshalb nicht viel anderes übrig, als ihr Angebot zu reduzieren: Sie verkürzen etwa ihre Öffnungszeiten, nehmen Aufträge nicht mehr an, sparen beim Kundendienst oder machen gar ganz dicht.

Oder sie gehen zu Coople. Der digitale Marktplatz, auch schon Tinder für Stellensuchende genannt, ist heute für viele Betriebe der letzte Rettungsanker auf der verzweifelten Suche nach Arbeitskräften. Die Dienste des Personalverleihers, der die Personalberater durch Algorithmen ersetzt hat, nutzen mittlerweile 16 000 Firmen – Tendenz stark steigend. Tausende kurzfristige Jobangebote sind auf der Plattform publiziert. Das Angebot reicht von Einsätzen für wenige Stunden bis hin zu solchen für ein Jahr oder mehr.

Der Personalverleiher kann mittlerweile auf einen Pool von einer halben Million registrierter Personen zurückgreifen. Damit gehört Coople zu den grössten Arbeitgebern der Schweiz. Und jeden Monat kommen über 10 000 neue Personen hinzu, die sich «verkuppeln» lassen wollen.

«Aktuell finden sehr viele Unternehmen zu uns, wenn es bei ihnen brennt. Sie fragen uns dann: Wie könnt ihr uns helfen?», sagt der Coople-Chef Yves Schneuwly. Er sitzt an einem langen Holztisch in der Firmenzentrale von Coople in Zürich Albisrieden. 80 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen hier, in diesen fünfeinhalb Meter hohen Räumen, wo es einen japanischen Garten gibt, einen gemütlichen Coffee-Shop und eine Swiss-Chalet-Ecke mit Kuhfell am Boden und virtuellem Blick aufs Matterhorn.

«Gebrannt» hat es zum Beispiel während der Pandemie bei einem der Grossverteiler. Innert zwei Tagen benötigte dieser schweizweit 800 Personen, um die neuen Sicherheitsvorgaben zur Eindämmung des Coronavirus umzusetzen, die der Bundesrat kurz davor beschlossen hatte. Und Coople lieferte. Wenige Stunden nach Eingang des Auftrags waren alle Jobs besetzt.

Oder da war das Pflegeheim, in dem während der Pandemie fast das ganze Pflege- und Küchenpersonal ausfiel, weil es entweder krank im Bett lag oder sich in der Quarantäne befand. Coople sorgte innert weniger als 48 Stunden für Ersatz. «Aus solchen Notfällen entsteht dann meist eine wiederkehrende Beziehung», sagt Schneuwly.

Firmen setzen vermehrt auf flexible Arbeitskräfte

Der Trend hin zu mehr flexiblen Arbeitskräften begann indessen schon lange vor der Pandemie. Immer mehr Firmen setzen neben dem eigenen Kernteam mit Festangestellten zu einem wachsenden Anteil auf flexibel einsetzbares Personal, um die Belastungsspitzen zu brechen.

«Die Pandemie und das abrupte Aufstarten der Wirtschaft nach der Aufhebung der Corona-Restriktionen haben diese Entwicklung noch einmal enorm beschleunigt», sagt Schneuwly. Insbesondere in den Monaten nach der Krise hätten temporäre Arbeitskräfte eine wichtige Rolle gespielt: Sie erlaubten es den Firmen, ihren Betrieb weitgehend risikofrei wieder hochzufahren.

Anders als bei herkömmlichen Personalvermittlern, bei denen der Kundenkontakt immer noch im Zentrum steht, läuft der Personalverleih bei Coople vollständig digital. Die Arbeitgeber veröffentlichen ihre Jobs auf der Plattform selber und geben den Stundenlohn vor sowie die Qualifikationen, welche die Kandidaten mitbringen müssen. Die Arbeitssuchenden wiederum laden nach der Registrierung ihren Lebenslauf und ihre Arbeitszeugnisse hoch. Diese werden durch Coople geprüft und im Nutzer-Profil hinterlegt.

Der Algorithmus der Plattform sucht dann in Sekundenschnelle für jeden ausgeschriebenen Arbeitseinsatz jene Kandidaten aus, die am besten geeignet sind. Diese bekommen via Handy jeweils in Echtzeit eine Aufforderung, sich zu bewerben. In der Folge erhält der Arbeitgeber die Liste aller Bewerber und wählt jene Kandidaten aus, die er engagieren will.

Bewerbungsgespräche gibt es bei Coople normalerweise keine. Ein Nachteil ist das laut Schneuwly nicht – ganz im Gegenteil. «Jobinterviews sind immer subjektiv geprägt. Unser Bewertungssystem liefert ein objektiveres Bild davon, worauf sich Firmen und Arbeitnehmer einlassen.» So können die Arbeitgeber nicht nur einsehen, wo der Kandidat zuvor gearbeitet hat und in welcher Position, sondern auch, wie dieser bei früheren Arbeitseinsätzen bewertet worden ist. Die Arbeitssuchenden wiederum sehen von einem Jobangebot ab, wenn der Arbeitgeber in der Vergangenheit ein schlechtes Rating erhalten habe.

Auf diesen schnellen und unkomplizierten Zugang zu einem riesigen Reservoir von Arbeitskräften setzen auch immer mehr grössere Unternehmen, die Zeitarbeiter für Jobs in den Bereichen Einzelhandel, Gastgewerbe, Büro und Logistik benötigen. So gehören zum Kundenstamm von Coople etwa die Versicherungen Axa und Zurich, die Einzelhändler Migros und Zara oder die Swisscom.

Vergleich mit Uber hinkt

Doch der Umstand, dass auf Coople alles digital abgewickelt wird, löst auch Skepsis aus. Denn in vielen Branchen, in denen Coople stark ist – dem Gastgewerbe, dem Detailhandel und dem Bau etwa –, geht es um Berufe im Tieflohnsegment. Und nicht wenige dieser Leute sind gezwungen, auf Plattformen wie Coople einen Zweitjob anzunehmen, weil das Haupteinkommen nicht fürs Leben reicht.

Gewerkschaften kritisieren denn auch immer wieder lautstark die sogenannte Plattformisierung der Arbeitswelt. So begnügen sich zum Beispiel Uber oder Uber Eats damit, eine Plattform zur Verfügung zu stellen für Taxifahrten und Essensbestellungen. Sozialabgaben, Ferienkompensationen oder Zuschüsse für Autos und Velos sind für die Fahrer sowie Essenskuriere nicht vorgesehen.

Doch der Vergleich von Coople mit Uber hinkt. «Alle Arbeitskräfte, die über unsere Plattform einen Job finden, sind auch bei uns angestellt und unterstehen dem Gesamtarbeitsvertrag für den Personalverleih», sagt Schneuwly. Dieser beinhaltet etwa, dass ein Mindestlohn nicht unterschritten wird oder ab der ersten Arbeitsstunde die Sozialversicherungsbeiträge abgerechnet werden. Weiter erhalten temporäre Arbeitnehmende bereits ab 88 geleisteten Einsatzstunden Anrecht auf 500 Franken für Weiterbildungen. «Wir bieten den temporär Arbeitenden viel – und sind auch stolz darauf», betont Schneuwly.

Arbeitskräftemangel lässt Löhne in die Höhe schiessen

Das rasante Wachstum des Beschäftigtenpools bei Coople ist für ihn Beleg dafür, dass das Bedürfnis nach flexibler Arbeit generell anwachse. Und dies gelte nicht nur für Firmen, die unvorhersehbare Engpässe rasch abdecken wollten. Auch unter den Arbeitnehmenden wachse die Zahl derer, die selber bestimmen wollten, wann, wo und wie viel sie arbeiteten.

Für sie herrschen derzeit gerade goldene Zeiten. Die Betriebe seien bereit, für gesuchte Arbeitskräfte im Gastgewerbe oder im Handwerk deutlich mehr zu zahlen als noch im letzten Jahr. Köche etwa würden bis zu 8 Franken mehr pro Stunde verdienen als noch Anfang Jahr.

David Vonplon, «Neue Zürcher Zeitung»

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