Der optimale Mix aus Arbeit und Ferien: wie oft freie Tage nötig sind und wie lange Ferien dauern sollten, damit man sich gut erholt Unser Leser fragt sich, ob er lieber regelmässig einen freien Tag nehmen soll oder ob längere Ferien für das Wohlbefinden nötig sind. Ein Fachmann weiss Rat.

Unser Leser fragt sich, ob er lieber regelmässig einen freien Tag nehmen soll oder ob längere Ferien für das Wohlbefinden nötig sind. Ein Fachmann weiss Rat.

(Illustration: Simon Tanner / NZZ)

Leserfrage: Ist es sinnvoll, dauerhaft zu arbeiten und hin und wieder einen freien Tag einzulegen, oder sollte ich lieber eine Woche oder sogar länger freinehmen, um mich gut zu erholen?

Pfingsten hat Gerhard Blasche auf dem Rad verbracht: frische Luft, viel Bewegung und Natur, kein Zeitdruck, unterwegs mit seinen Töchtern. Was unspektakulär klingt, ist wissenschaftlich betrachtet äusserst gelungene Erholung – und damit Blasches Spezialgebiet. Der Psychologieprofessor der Medizinischen Universität Wien erforscht seit Jahren, was Erholung ausmacht.

«Das ist natürlich auch individuell», sagt er, «aber bestimmte Faktoren helfen nachweislich vielen beim Abschalten.» Und das sei letztlich nun einmal die Essenz von Erholung: abschalten, Abstand zum Alltag bekommen, den Kopf frei kriegen. «Denn wer in Gedanken um Arbeit und Aufgaben kreist, schüttet weiterhin Stresshormone aus.»

Für diesen Abstand braucht es nicht zwingend Ferien. «Eine normale Arbeitswoche sollte am Tagesrand oder Wochenende ebenfalls Raum für Erholung bieten», sagt Blasche. Alle zwei bis drei Monate sollte man sich dennoch mehrere Tage am Stück freinehmen, um Müdigkeit zu verringern, Erschöpfung vorzubeugen und einen emotionalen Ausgleich zu schaffen.

Wie der Mensch sich erholt

Damit schon ein verlängertes Wochenende Wunder wirken kann, ist vor allem eines wichtig. «Zeitliche Autonomie», sagt Blasche. Die Tage sollte man sich selbst einteilen können, das Handy auch einmal ausgeschaltet bleiben. Ein Ortswechsel kann Entspannung zusätzlich fördern. Zeit in der Natur etwa bringt nachweislich viele Menschen zur Ruhe. Auch gut: nette Gesellschaft und kleine Erfolgserlebnisse. Etwa die Freude über die Gipfelpause nach einer kleinen Wandertour mit Freunden.

«Perfekte Erholung ist, wenn man sich zugehörig und autonom zugleich fühlt», sagt Blasche. Das klingt komplizierter, als es ist. Schon ein Wandertag mit Freunden, ein Picknick im Park oder eben die Radtour mit den Kindern können für die nötige Zerstreuung und Ablenkung vom Alltag sorgen. Auch hilfreich: Mikroabenteuer. Kleine neue Dinge probieren, Orte besuchen, Wege gehen. Wenn man nicht an die Arbeit und Alltagssorgen denkt, ist bereits viel gewonnen. «Erholung ist, wenn man sich mental von Verpflichtungen und Arbeit distanzieren kann.» Das wiederum klingt einfacher, als es für viele ist.

Wie viel Erholung Menschen brauchen, hängt unter anderem von Beruf, Alter und der Lebenssituation ab. Wer sich zwischen Arbeit und Familie aufreibt, neben der Arbeit einen Angehörigen pflegt oder eine Fortbildung macht, hat ein anderes Erholungsbedürfnis als jemand ohne Mehrfachbelastung. Ältere Menschen brauchen mehr Erholung als jüngere, Selbständige andere als Angestellte, Schichtarbeiter längere als Büroarbeiter.

Als Faustregel gilt: «Je anspruchsvoller der Beruf ist, desto wichtiger sind bewusste Auszeiten.» Pauschale Empfehlungen sind aber schwierig. Woran man sich orientieren kann: Die Jahresferien auf einmal zu nehmen, ist für die meisten nicht sinnvoll, lieber kurze und längere Auszeiten mischen.

Nach etwa zehn Tagen fühlen sich die meisten gut erholt – mehr Ferientage steigern den Erholungseffekt dann nicht mehr. Ohnehin gilt: Der Effekt nutzt sich im Alltag schnell wieder ab. Studien zeigen, dass wir schon nach drei bis vier Wochen wieder auf dem Stresslevel angelangt sind, das wir vor den Ferien hatten. «Wer an den ersten Tagen zu viel arbeitet, verliert den Erholungseffekt noch schneller», sagt Blasche.

Muss es eine Fernreise sein?

Den Heimatort zu verlassen, kann Erholung begünstigen. «Räumliche Distanz erleichtert es, auf andere Gedanken zu kommen.» Blasche zum Beispiel fährt gerne von seinem Wohnort Wien in Richtung Berge. Das ist nicht weit, aber der Tapetenwechsel und die veränderte Landschaft helfen beim Abschalten.

Auch wenn wir heute viele Möglichkeiten haben: Ferien müssen nicht unbedingt spektakulär und weit weg stattfinden. Besser horcht man in sich hinein: Brauche ich eine Fernreise oder einen Roadtrip? Abenteuer oder Wellness? Kultur oder Natur? Persönliche Vorlieben sind wichtig: «Wer sich im Museum besser entspannt als im Wald, sollte das tun.»

Zur Wahrheit gehört aber auch: Selbst die perfekten Ferien können nicht alles kompensieren. Wer sich nur von Ferien zu Ferien schleppt und dazwischen unzufrieden, gestresst und überlastet ist, sollte sich eher über berufliche Veränderungen als über das nächste Ferienziel Gedanken machen.

Umgekehrt gilt: Auch wer im Job zufrieden ist und sich nicht gestresst fühlt, sollte sich Auszeiten gönnen. Auf Ferien zu verzichten, würde der Experte niemandem raten. «Freizeit ist schliesslich immer auch eine kleine Erinnerung, dass es im Leben andere Dinge gibt als Arbeit.»

Nina Himmer, «Neue Zürcher Zeitung»

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