Eitelkeit und Verachtung lernen mit Hillary Clinton Auf der Plattform «Master-Class» bieten die Besten ihres Fachs Einblicke in ihre Werkstatt. In einer neuen Folge erklären amerikanische Politiker ihren Erfolg. Den Anfang machten Bill und Hillary Clinton.

Auf der Plattform «Master-Class» bieten die Besten ihres Fachs Einblicke in ihre Werkstatt. In einer neuen Folge erklären amerikanische Politiker ihren Erfolg. Den Anfang machten Bill und Hillary Clinton.

 

Die ehemalige Aussenministerin der USA, Hillary Clinton, bei ihrer «Master-Class». (Bild: PD)

«Master-Class» ist eine amerikanische Plattform, bei der man gegen eine Jahresgebühr Vorlesungen und Tutorials von prominenten Experten belegen kann. «Lerne von den Besten» ist das Motto der 2015 gegründeten Firma, die inzwischen 1,5 Millionen Abonnenten hat. Annie Leibowitz gab einen Fotokurs, Joyce Carol Oates verriet Schreibtipps, Serena Williams lehrte Tennis für Fortgeschrittene, Herbie Hancock weihte in die Geheimnisse des Jazzpianos ein, Garry Kasparow plauderte aus der Schach-Schule, Ottolenghi liess die Zuschauer in seine Kochtöpfe blicken.

Sie hält im Nachhinein ihre Siegesrede

Nun gibt es eine neue Serie namens «White House». Den Beginn machten Ende Dezember Bill und Hillary Clinton, demnächst folgen George W. und Laura Bush sowie die ehemaligen Aussenministerinnen Condoleezza Rice und Madeleine Albright, die inzwischen verstorben ist.

Der dreieinhalbstündige Kurs mit der inzwischen 74-jährigen Hillary Clinton trägt den Titel «The Power of Resilience» («Die Macht der Widerstandsfähigkeit») und sorgt für Aufmerksamkeit, weil sie darin ihre Siegesrede von 2016 vorträgt, die sie bekanntlich damals nicht halten konnte, weil Trump die Wahl gewann. Beim Vortrag kämpft sie mit den Tränen.

Ihre Vorlesung ist aber noch aus anderen Gründen interessant und symptomatisch. Denn während man zum Beispiel bei der Unterrichtsstunde eines Spitzenkochs einerseits praktische Tipps bekommt und andererseits etwas über seine Philosophie des Essens und des Genusses erfährt, fragt man sich, was man von Leuten wie den Clintons eigentlich genau lernen kann. Wie man Politiker wird? Eher nicht.

Im Schnellverfahren zum Genie werden

Bei den Clintons zeigt sich ein grundsätzliches Problem des Master-Class-Konzepts besonders deutlich. Es heisst ja, man brauche etwa 10 000 Stunden, um in einem Gebiet zum Experten zu werden. Master-Class verkauft die Idee – oder die Illusion –, es gebe radikale Abkürzungen. Statt sich jahrelang mit Üben, Training und Praxis abzumühen, könne man den Profis einfach eine Zauberformel abkaufen. Das führt dazu, dass in vielen Kursen wenig über die alltägliche Arbeit gesprochen wird (die in allen Gebieten wenig glamourös ist), dafür umso mehr in einer allgemeinen Art über Inspiration, Kreativität und mentale Verfassung.

Bei Hillary Clinton ist das besonders frappant, weil Politik bekanntlich nicht nur aus Visionen, Ethik und Empathie besteht, sondern auch aus Machtkämpfen, Kleinarbeit und halbherzigen Kompromissen. Solche Niederungen der Realpolitik vermeidet sie; von Taktik, Strategie, Geld, Rivalität, Konflikten oder gar Krieg ist bei ihr nicht die Rede, das wäre zu wenig schöngeistig. Lieber spricht sie von Werten.

Ihre Ratschläge an Möchtegern-Leader sind grösstenteils Plattitüden, die man auch in jedem Motivationsratgeber bekommt: Mache dein Bett am Morgen, finde deinen eigenen Stil, glaube an dich, lass dich nicht unterkriegen, arbeite hart (aber nicht bis zum Zusammenbruch), nimm Kritik ernst (aber nicht persönlich). Diese Art von positivem Denken hat etwas sehr Amerikanisches. Vor allem aber ist es – und das ist das Irritierendste an diesem Crashkurs für angehende Politiker – vollständig unpolitisch. Und da wird das Tutorial auch entlarvend.

Eitle Selbstbeweihräucherung

Immer wieder betont Clinton, sie habe «Resilienz gewählt». Mit anderen Worten, sie hätte schon in frühen Jahren vor Widerständen und Rückschlägen kapitulieren können, aber stattdessen habe sie sich für Tapferkeit und Vorwärtsschreiten entschieden. Eine solche Grundhaltung ist dem Erfolg sicher förderlich, aber sie ist nicht ausreichend. Vor allem ist es heikel, wenn Erfolgreiche rückblickend behaupten, ihre Karriere fusse primär auf der «Entscheidung für Resilienz». Das ist selbstgefällig und egozentrisch. Alle anderen Faktoren wie Herkunft, Chancen, Beziehungen, Veranlagung, Intelligenz, Förderung und Glück werden ausgeblendet.

Aber vor allem drängt sich der Umkehrschluss auf: Alle, die es nicht schafften, haben sich offenbar einfach entschieden, Verlierer statt Gewinner zu werden. Tatsächlich rät sie in ihrer Meisterklasse, wenn jemand unbefriedigt in seinem Job sei, müsse er kreativ und flexibel bei der Arbeitssuche sein oder halt etwas Eigenes anfangen. All die «working poor» in den USA sind sicher dankbar für solche Ratschläge.

Diese Reduktion des Politischen auf das Psychologische ist gerade für eine Politikerin erstaunlich; zudem noch eine, die gerne auf ihr soziales Engagement verweist. In der Politik geht es ja eigentlich darum, die Gesellschaft zu gestalten und zu verbessern – und nicht nur sich selbst. Hier jedoch wird die Gesellschaft in ihrer Komplexität aufgelöst. Übrig bleibt nur noch das Individuum, das die Umwelt entweder meistert oder unterliegt.

Verachtung für die Verlierer

Auch der nächste Schritt ist naheliegend: dass man für diejenigen, die es nicht geschafft haben, nur Verachtung übrighat, weil sie selber schuld sind. Tatsächlich war ja einer der Schlüsselmomente in Hillary Clintons Karriere die Wahlkampfrede im September 2016 mit folgenden Kernsätzen: «Krass verallgemeinert gesagt, könnte man die Hälfte von Trumps Anhängern in einen – wie ich es nenne – Korb der Kläglichen werfen. Oder? Die Rassisten, die Sexisten, die Homophoben, die Xenophoben, die Islamophoben. Sucht euch was aus.»

Das Stichwort der «Deplorables» blieb an ihr kleben, auch wenn sie sich später dafür entschuldigte. Es wurde zum Inbegriff für die Arroganz der Elite, die für einen Viertel der amerikanischen Bevölkerung nur Herablassung und Spott übrighat. Die «Master-Class» der gescheiterten Präsidentschaftsanwärterin liefert unfreiwillig einen Einblick in ihre Gedankenwelt, der zeigt, dass die damalige fatale Bemerkung nicht nur ein Ausrutscher war, sondern Teil einer Weltanschauung, die progressiv und positiv daherkommt, aber eigentlich arrogant, banal und weltfremd ist.

David Signer (Chicago), «Neue Zürcher Zeitung»

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