Jobs, die niemand will: In diesen Berufen arbeiten am meisten Ausländer – eine Rangliste Die Ausländer dominieren in den Tieflohnjobs. Die Inländer dagegen sind beruflich aufgestiegen: Unter den Lehrern zum Beispiel hat es fast keine Zuwanderer.

Die Ausländer dominieren in den Tieflohnjobs. Die Inländer dagegen sind beruflich aufgestiegen: Unter den Lehrern zum Beispiel hat es fast keine Zuwanderer.

Um solche Berufe machen die Schweizer einen Bogen: Werden die Hände schmutzig, sollen Ausländer anpacken. (Foto: Adi Goldstein auf Unsplash)

«Wir gehen regelmässig an Schulen, um die Jungen für die Bauberufe zu motivieren», sagt Urs Meyer von der Baufirma Stutz AG in St. Gallen. «Unsere Ausbildung ist top, und wir bieten faire Löhne – der Monatslohn in unserem Gewerbe beträgt im Schnitt 6000 Franken. Trotzdem wirkt es auf viele abschreckend, draussen in der Witterung zu arbeiten.»

Weil die Stutz AG mit ihren 850 Beschäftigten kaum noch inländische Handwerker findet, muss sie die Lücke mit Ausländern füllen. «Unter den Portugiesen wird die Rekrutierung ebenfalls schwieriger, deshalb stellen wir nun vermehrt junge Berufsleute aus Ungarn und Polen ein», erklärt Meyer.

Nirgends ist der Ausländeranteil so hoch wie in der Baubranche. Das zeigt eine Analyse der Basler Beratungsfirma Demografik für die «NZZ am Sonntag». So sind bei den Maurern oder den Bodenlegern sechs von zehn Ausländer, bei den Hilfsarbeitern sind es gar 84 Prozent. Auch unter den Küchengehilfen und beim Reinigungspersonal stellen die Schweizer nur noch einen Drittel. Die Rangliste berücksichtigt Berufe mit mehr als 10 000 Beschäftigten.

Unbeliebte Jobs für die Zuwanderer

«Der Anteil an ausländischen Arbeitskräften ist in jenen Jobs am höchsten, die gemeinhin als unattraktiv gelten – sei es wegen der geringen Entlöhnung, der hohen körperlichen Belastung oder der unregelmässigen Arbeitszeiten», sagt die Ökonomin Lisa Triolo von der Firma Demografik. «Dennoch sind diese Berufe wichtig für das Funktionieren der Wirtschaft, weil man sie nur schlecht automatisieren kann.»

Bemerkenswert ist auf der andern Seite die Liste der Jobs, in denen fast nur Schweizer tätig sind. An der Spitze stehen die Polizisten. Knapp dahinter folgen Primar- und Sekundarlehrer, Kindergärtner sowie Sozialarbeiter: Sie alle haben einen Ausländeranteil von weniger als 10 Prozent. Dasselbe gilt für die leitenden Verwaltungsangestellten und für Anwälte.

Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktexperte der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, beobachtet eine Rollenteilung zwischen In- und Ausländern: «Die Forschung zeigt, dass die Zugewanderten in erster Linie eine Ergänzung zu den hier Ansässigen bilden.» Es finde kaum eine Verdrängung statt, auch weil sich die Schweizer Erwerbstätigen auf Bereiche spezialisierten, in denen sie dank der Sprache, der Ausbildung oder den lokalen Kenntnissen einen Vorteil besässen, wie dies bei den Lehrern oder Beamten der Fall sei.

In ihrer Analyse hat Lisa Triolo ausserdem festgestellt, dass Ausländer vor allem dort arbeiten, wo die Rekrutierung schwerfalle. «Je länger die Vakanzendauer in einer Berufsgruppe ist, desto höher steigt der Anteil an Ausländern. So ist der Bau diejenige Branche, in der die Firmen am längsten brauchen, um eine offene Stelle zu besetzen.» Die Immigration sei somit eine Folge des Fachkräftemangels.

Effektiv ist die Zuwanderung in den letzten beiden Jahrzehnten enorm ausgefallen. Zählte der Bund 2004 noch eine Million Beschäftigte mit ausländischem Pass, so sind es heute bereits 1,8 Millionen – 80 Prozent mehr. Wobei in dieser Zeit zusätzlich über 400 000 ausländische Erwerbstätige eingebürgert wurden. Bei den Schweizer Arbeitnehmern dagegen beträgt das Wachstum lediglich 13 Prozent auf zuletzt 3,5 Millionen.

Zugleich haben die inländischen Arbeitskräfte einen eindrücklichen Aufstieg erlebt: Denn die Zahl jener Schweizer, die als Führungskraft oder in einem gut bezahlten intellektuellen oder technischen Beruf arbeiten, hat um über 300 000 zugenommen. Ebenso haben sie sich in Scharen aus den schlechter entlöhnten Berufen verabschiedet: Allein in den Kategorien Verkauf, Handwerk sowie Hilfsarbeiten sind heute 220 000 weniger Inländer tätig als noch vor zwanzig Jahren.

Diese Lücke wurde gänzlich durch die eingewanderten Arbeitnehmer kompensiert. Daneben strömten auch viele Expats in die Schweiz, von denen in der Zuwanderungsdebatte häufig die Rede ist. So sitzen in der Führungsetage der zwanzig grössten Börsenkonzerne drei Viertel Ausländer. Bei vielen anderen hochqualifizierten Berufen allerdings ist ihr Anteil deutlich tiefer: Selbst bei den oft genannten Fachärzten machen die Ausländer lediglich 35 Prozent aus.

Dass die eingewanderten Arbeitskräfte in der Summe eher die unerwünschten Jobs ausüben, verdeutlicht der Lohnvergleich: Im Schnitt verdienen Schweizer 1100 Franken mehr pro Monat. Es sei ein Irrglaube, zu meinen, man könne die Zuwanderung so lenken, dass nur Hochqualifizierte ins Land kämen, erklärt der KOF-Experte Siegenthaler. «In der Praxis lässt sich nicht verhindern, dass Nachzugseffekte entstehen: Es gibt Schätzungen, dass jede zusätzliche Stelle, die in der Exportwirtschaft geschaffen wird, eine halbe weitere Stelle im Dienstleistungssektor nach sich zieht.»

Was bedeutet dies nun vor dem Hintergrund der Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz, welche die SVP kürzlich eingereicht hat? Diese sieht eine Begrenzung der Zuwanderung vor, sobald die Wohnbevölkerung auf 9,5 Millionen steigt. Als Notbremse müsste der Bund die Personenfreizügigkeit mit der EU beenden.

«Heute ist die Wirtschaft stark von den ausländischen Arbeitskräften abhängig», sagt Michael Siegenthaler. Blieben diese Stellen im Niedriglohnbereich unbesetzt, hätte dies weitreichende Folgen, so der Arbeitsmarktökonom. Denn die Nachfrage in der Pflege, dem Verkauf oder dem Wohnungsbau bestehe weiterhin. «Um mehr inländische Arbeitskräfte für diese Sektoren zu gewinnen, müssten die Löhne massiv steigen – was die Firmen über höhere Preise an die Kunden weitergäben, so dass die Kaufkraft nicht zwingend zunähme. Unser Leben würde sich also verteuern, und die Schweiz wäre noch mehr eine Hochpreisinsel.»

Der Lohn ist der Knackpunkt

Der Restaurantbetreiber Manuel Wiesner bestätigt dies. Die von ihm und seinem Bruder geführte Familie-Wiesner-Gastronomie beschäftigt tausend Mitarbeitende. «Es ist eine Tatsache, dass Schweizer ganz andere Lohnvorstellungen mitbringen. Um eine inländische Arbeitskraft als Küchenhilfe für den Abwasch zu gewinnen, müsste ich das Gehalt um etwa 1500 Franken erhöhen. In der Folge käme es zu einem Dominoeffekt: Der Koch, der Souschef und so weiter würden ebenfalls höhere Löhne einfordern, so dass die Menupreise deutlich steigen müssten.»

In Wiesners Unternehmen arbeiten Leute aus siebzig Nation. Sein Fazit: Ohne Ausländer würde der Betrieb nicht funktionieren. Zumal auch die demografische Lücke zum Problem wird: Während jedes Jahr 100 000 Menschen in Pension gehen, rücken immer weniger Junge nach. «Das Bevölkerungswachstum täuscht darüber hinweg, dass es primär Pensionierte sind. Während die Zahl der Erwerbstätigen kaum noch zunimmt, haben wir bis im Jahr 2040 40 Prozent mehr Rentnerinnen und Rentner», sagt die Demografin Lisa Triolo.

Je tiefer aber die Zuwanderung, desto mehr müssten die Schweizer in die Bresche springen, gibt Triolo zu bedenken. Sei es mit einem höheren Pensum oder einer späteren Pensionierung. Dies drohe ohnehin, denn in ganz Europa schrumpfe der Pool an Arbeitskräften. So habe Italien bis 2040 18 Prozent weniger Personen im erwerbstätigen Alter als heute.

Portugiesen kehren wieder zurück

Manche Länder locken ihre Auswanderer mit Steueranreizen zurück in die Heimat – mit Erfolg, wie Triolo erklärt: «In den Jahren 2017 bis 2022 haben mehr Portugiesen die Schweiz verlassen, als neue zu uns gekommen sind. Das Alter dieser Rückkehrer lag im Mittel bei 39 Jahren.» Dies sei besonders für die Bauwirtschaft fatal, denn 30 Prozent des Personals in dieser Branche stammten aus Portugal.

Schon heute leidet der Bau unter der Pensionierungswelle: Der Fachkräftemangel werde sich «sehr stark und schnell verschärfen», so die Warnung des Baumeisterverbandes in einer neuen Studie. So brauche es bis 2040 30 Prozent mehr Maurer oder Vorarbeiter, als dannzumal verfügbar seien.

Urs Meyer von der Firma Stutz AG hofft, mit Quereinsteigern einen Teil der Abgänge zu kompensieren. «Wir rekrutieren auch ältere, erfahrene Leute, kürzlich zum Beispiel einen 52-Jährigen als Kranführer.» Doch wenn der Personalmangel zu gross werde, komme man nicht um eine Straffung des Angebots herum. Zudem würden sich die Leistungen verteuern. «Unsere Branche ist eine wichtige Stütze der Wirtschaft», sagt Meyer, «doch ohne das Handwerk von fähigen Leuten entstehen keine Häuser.»

Albert Steck, «NZZ am Sonntag»

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