Fachkräftemangel: In der Schweiz werden immer weniger Chefs gesucht Der Boom am Arbeitsmarkt scheint abzuflachen. Im vierten Quartal ist die Nachfrage nach Fachkräften zurückgegangen. Die Unterschiede in den einzelnen Berufsgruppen sind allerdings gross.

Der Boom am Arbeitsmarkt scheint abzuflachen. Im vierten Quartal ist die Nachfrage nach Fachkräften zurückgegangen. Die Unterschiede in den einzelnen Berufsgruppen sind allerdings gross.

(Bild: Kelly Sikkema auf Unsplash)

Im Jahr 2023 wurde die Schweizer Wirtschaft von einer konjunkturellen Abkühlung erfasst. Deren Auswirkungen sind auch bei der Entwicklung des Arbeitsmarktes zu spüren, wie der am Donnerstag veröffentlichte Job Market Index des Schweizer Personalvermittlers Adecco und der Universität Zürich zeigt. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Stellenmarkt 2023 um lediglich 3 Prozent gewachsen. 2022 verzeichnete der Stellenmarkt noch ein Wachstum von 23 Prozent.

Das moderate Jahreswachstum ist vor allem mit dem letzten Quartal 2023 zu erklären. In dieser Zeit erlebte der Arbeitsmarkt mit einem Minus von 4 Prozent im Vergleich zum Vorquartal den stärksten Rückgang des Jahres.

«Sowohl der Rückgang des Beschäftigungswachstums als auch der Anstieg der Arbeitslosenquote deuten auf eine Verlangsamung der Wachstumsdynamik am Schweizer Arbeitsmarkt hin», schreibt Adecco in einem Communiqué. Grund zur Sorge sei diese Verlangsamung aber nicht. Die Zahl der offenen Stellen bleibe weiterhin auf einem historisch hohen Niveau, und die Arbeitslosenquote sei mit 2,3 Prozent im vergangenen Dezember weiterhin relativ niedrig.

Erfasst sind in der offizielle Arbeitslosenquote vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) alle bei der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) registrierten Arbeitslosen. Nicht berücksichtigt werden darin hingegen nicht beim RAV gemeldete Arbeitssuchende. Das können Langzeitarbeitslose sein, die ihren Anspruch auf Arbeitslosengelder verloren haben, Stellensuchende, die sich vom RAV weder Geld noch Hilfe versprechen wie Ehepartner von Ex-Pats und unfreiwillig Selbständige.

Ein etwas weniger rosiges, aber immer noch robustes Bild des Arbeitsmarktes spiegelt die Arbeitslosenquote der International Labour Organisation (ILO) . Sie lag für die Schweiz im dritten Quartal 2023 bei 4,2 Prozent.

Vor allem Handwerker und Hilfskräfte sind gefragt

Die abflachende Entwicklung der Stelleninserate trifft nicht alle Berufsgruppen gleich stark. Vor allem Handwerker und Hilfskräfte sind nach wie vor stark gefragt, wie der Job Market Index zeigt. So stieg im vergangenen Jahr die Zahl ausgeschriebener Stellen in diesem Sektor um 13 Prozent. Im Dienstleistungs- und Verkaufssektor ist die Nachfrage nach Fachkräften um 12 Prozent gestiegen. Bei Fachkräften im Bereich Technik ist ein Stellenwachstum von 10 Prozent zu verzeichnen.

Laut Adecco ist das eine erfreuliche Entwicklung. «Das Jahr 2023 stand im Lichte der Hilfskräfte, Handwerks- und Dienstleistungsberufe», schreibt das Unternehmen. Trotz den wirtschaftlichen Herausforderungen erlebten diese Arbeitskräfte eine steigende Nachfrage. Das betone die wichtige Rolle dieser Berufe in der Schweizer Wirtschaft.

Andererseits kann die hohe Zahl von Stelleninseraten in diesen Berufsgruppen auch bedeuten, dass es immer schwieriger wird, qualifizierte Mitarbeiter zu finden.

Es werden immer weniger Führungspersonen gesucht

Bei einem Gesamtwachstum von lediglich 3 Prozent liegt es nahe, dass nicht alle Berufsgruppen solch erfreuliche Entwicklungen vorweisen können. Neben Fachkräften in den Berufsgruppen Büro und Verwaltung (–7 Prozent) sowie den Hochschulberufen Mint und Gesundheit (–3 Prozent) war bei den Chefs im vergangenen Jahr der stärkste Rückgang bei Stellenausschreibungen zu verzeichnen. Im Vergleich zum Jahr 2022 wurden 12 Prozent weniger Jobs für Positionen mit Führungsverantwortung ausgeschrieben.

Wie ist das zu erklären? «Wir gehen davon aus, dass unterschiedliche Faktoren zu der negativen Entwicklung des Stellenangebots bei Führungskräften beitragen», schreibt Yanik Kipfer vom Stellenmarkt-Monitor Schweiz auf Anfrage. Einerseits sei über die vergangenen Jahre ein Trend zu flacheren Hierarchien entstanden, welcher die Nachfrage nach Führungspersonen reduziere. Zudem würden Führungspositionen oft nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern über informelle Netzwerke besetzt. Und nicht zuletzt sähen sich Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels dazu veranlasst, sich zunächst auf die Einstellung neuer Mitarbeiter zu konzentrieren, bevor sie neue Führungskräfte suchten.

Gleichzeitig schwächt Kipfer den Rückgang bei Führungskräften mit der Erklärung ab, dass es sich um eine sehr breite Berufsgruppe handele. Sie umfasse neben Geschäftsführern auch Berufe wie Metzgermeister oder Zirkusdirektoren.

Weniger Stelleninserate in Zürich und der Südwestschweiz

Neben Unterschieden bei den verschiedenen Berufsgruppen zeigen sich auch grosse geografische Differenzen. Wer einen neuen Job sucht, dürfte in der Region Nordwestschweiz die grössten Chancen haben. Dort sind die Stellenausschreibungen im vergangenen Jahr um 14 Prozent angestiegen. Laut Yanik Kipfer ist das damit zu erklären, dass die Wirtschaft in dieser Region stark von dem Pharma- und Life-Science-Sektor dominiert werde. Dieser sei im Vergleich zu anderen Sektoren relativ widerstandsfähig gegenüber der trüben weltweiten Konjunktur.

Im Kontrast dazu habe Zürich als wichtiger IT-Standort die Turbulenzen in der Tech-Branche stark zu spüren bekommen, schreibt Kipfer. Das dürfte zumindest teilweise erklären, weshalb die Stelleninserate in der Region Zürich im vergangenen Jahr um 1 Prozent zurückgingen. Einen grösseren Rückgang verzeichnete einzig die Südwestschweiz (–4 Prozent)

Till Minder, «Neue Zürcher Zeitung»

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