Jeder zehnte erwerbsfähige Ukraine-Flüchtling in der Schweiz hat einen Arbeitsplatz gefunden – viele Firmen hätten gerne mehr Bewerbungen Die Ukraine-Flüchtlinge finden in der Schweiz schneller einen Arbeitsplatz, als dies bei früheren Flüchtlingsgruppen der Fall war. Trotzdem gibt es für viele Betroffene noch erhebliche Hürden. In einer neuen Umfrage sind Sprachprobleme der meistgenannte Mangel. Viele Firmen sagten auch, es gebe zu wenige Bewerbungen.

Die Ukraine-Flüchtlinge finden in der Schweiz schneller einen Arbeitsplatz, als dies bei früheren Flüchtlingsgruppen der Fall war. Trotzdem gibt es für viele Betroffene noch erhebliche Hürden. In einer neuen Umfrage sind Sprachprobleme der meistgenannte Mangel. Viele Firmen sagten auch, es gebe zu wenige Bewerbungen.

Bild: Louis auf Pixabay

Seit März haben rund 60 000 Ukraine-Flüchtlinge in der Schweiz den Schutzstatus S erhalten. Von diesen sind rund 34 000 im klassischen Erwerbsalter (18 bis 64). Mit dem Schutzstatus S erhalten die Betroffenen vorderhand bis März 2023 den sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Zunächst hatten allerdings die meisten Betroffenen wohl andere Prioritäten: richtig ankommen, Unterkunft, Verarbeitung des Kriegstraumas, Kinderbetreuung. Zudem hofften manche Flüchtlinge laut Beobachtern, dass sie rasch wieder in ihr Heimatland zurückgehen könnten.

Erfahrungsgemäss bleibt etwa die Hälfte der Flüchtlinge in der Schweiz längerfristig. Ob im Fall der Ukraine-Flüchtlinge die Quote der Langfristaufenthalter einiges tiefer sein wird, wie anfangs oft vermutet wurde, ist nach wie vor eine weit offene Frage. Laut Bundesangaben sagen die Betroffenen noch immer, dass sie möglichst schnell zurückkehren möchten. Doch mit jedem Monat Verweildauer wird die Arbeitsaufnahme stärker zum Thema. Die meisten Ukraine-Flüchtlinge sind nun seit drei oder mehr Monaten in der Schweiz. Bisher haben rund 3600 Personen mit Schutzstatus S eine Arbeitsstelle gefunden; die Zahl der gemeldeten Erwerbstätigen stieg in den letzten Wochen im Mittel um etwa 200 pro Woche. Etwa 40 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten im Gastgewerbe oder im Sektor Planung/Beratung/Informatik.

Überdurchschnittliche Erwerbsquote

Zurzeit sind knapp 11 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge in der Altersgruppe 18–64 erwerbstätig. Das erscheint auf den ersten Blick ein tiefer Wert. Doch diese Marke liegt gemäss Bundesangaben etwa doppelt so hoch wie die Erwerbsquote früherer Flüchtlingsgruppen nach sechs Monaten. Und dies, obwohl viele Ukraine-Flüchtlinge Frauen mit Kindern sind und die Kinderbetreuung sicherstellen müssen. Diverse Faktoren erleichtern im Vergleich zu früheren Flüchtlingsgruppen die Erwerbstätigkeit von Ukraine-Flüchtlingen: die relative kulturelle Nähe, der grosse Goodwill in der hiesigen Gesellschaft, die relativ guten Qualifikationen mancher Flüchtlinge und die günstige Lage am Arbeitsmarkt.

Trotzdem gibt es erhebliche Hürden. Hinweise darauf liefert eine repräsentative Firmenumfrage des Instituts Sotomo im Auftrag des Arbeitgeberverbands bei 376 Schweizer Unternehmen. Gemäss dem am Donnerstag publizierten Umfragebericht zeigten sich 56 Prozent grundsätzlich bereit, Ukraine-Flüchtlinge einzustellen; rund die Hälfte von diesen Betrieben nannte das «Leisten eines solidarischen Beitrags» als einen der Gründe.

Der Mangel an Sprachkenntnissen war die meistgenannte Hürde für Anstellungen. 45 Prozent der befragten Unternehmen führten dieses Problem auf; im Gastgewerbe waren es sogar fast zwei Drittel, und auch im Gesundheitswesen spielen Sprachschwierigkeiten eine grosse Rolle.

Insgesamt rund ein Viertel der Befragten ortete einen Mangel an übrigen Qualifikationen der Kandidaten. Ebenfalls rund ein Viertel erklärte, dass es keine oder zu wenige Bewerbungen gebe. Auffällig oft sagten dies vor allem Betriebe aus der Industrie und dem Detailhandel.

Im Nebel des Kriegs

Eine wesentliche Hürde für Anstellungen ist auch die Unsicherheit über die Verweildauer der Flüchtlinge. Der Schutzstatus S gilt nach bisherigem Stand bis März 2023. Je näher dieser Termin heranrückt, desto mehr werden sich Arbeitgeber fragen, ob es sich noch lohne, betroffene Flüchtlinge einzustellen. Ein Sechstel der befragten Firmen nannte das Fehlen einer langfristigen Perspektive wegen des Schutzstatus S als Hürde für Anstellungen. Fast 60 Prozent würden eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts für die Dauer der Anstellung begrüssen.

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt will solche Wünsche nicht 1:1 in politische Forderungen ummünzen, wie er auf Anfrage sagte. Eine sinnvolle Idee wäre es aus seiner Sicht aber, wenn Arbeitgeber bei der Anstellung von Ukraine-Flüchtlingen die Gewissheit hätten, dass die Betroffenen mindestens ein Jahr bleiben könnten.

Der Bund kann zur Verbleibdauer der Flüchtlinge nach wie vor keine verbindliche Perspektive geben. Dies hänge entscheidend vom weiteren Kriegsverlauf ab. Das Justizdepartement zeigte auf Anfrage aber Verständnis für das Anliegen der Planungssicherheit und betonte, dass die Möglichkeit eines Verbleibs von Erwerbstätigen bis zum Ende ihres Ausbildungsprogramms oder ihres Arbeitsengagements in Diskussion sei. Justizministerin Karin Keller-Sutter wird sich nächsten Dienstag ein weiteres Mal mit Sozialpartnern und Behördenvertretern aus Bund und Kantonen für eine Lagebeurteilung treffen.

Stagnation bei den Meldungen

Die meistgenannte Erwartung der Arbeitgeber an die Behörden betrifft Sprachkurse. Und rund ein Drittel der befragten Firmen bejahte den Wunsch nach einer aktiveren Rolle der regionalen Arbeitsvermittlungszentren. Ende Juli waren allerdings erst rund 1400 Ukraine-Flüchtlinge bei den Behörden als Stellensuchende registriert; drei Viertel davon sind Frauen, und 40 Prozent haben eine Tertiärausbildung. Der Bund ortet laut Angaben vom Donnerstag seit etwa Ende Juni eine «Stagnation» bei den Registrierungen.

Nicht ganz klar ist die Bedeutung der Kinderbetreuung als Arbeitshindernis. In der Arbeitgeberumfrage wurde dieser Faktor nicht als Hindernis genannt, doch eine Befragung der Flüchtlinge selbst würde hier wohl ein aufschlussreicheres Bild geben. Arbeitgeberpräsident Vogt mutmasst, dass die Flüchtlinge die Kinderbetreuung zum Teil wohl auch untereinander organisieren können. In der Firmenumfrage wurde die Erwartung an die Behörden bezüglich Kinderbetreuungsangebote etwa gleich häufig geäussert wie jene nach Wohnungsangeboten: Je rund ein Fünftel der Betriebe meldete dieses Anliegen an.

Viele der bereits erwerbstätigen Ukraine-Flüchtlinge scheinen am Arbeitsplatz nicht schlecht zurechtzukommen. Von den gut 40 befragten Betrieben mit Ukraine-Flüchtlingen als Angestellten sagten 85 Prozent «Ja» oder «eher Ja» zur Frage, ob sie mit der Arbeit der Betroffenen zufrieden seien. Uneingeschränkt Ja sagte allerdings nur gut ein Drittel der Betriebe. Laut dem Sotomo-Politologen Michael Hermann illustriert dies möglicherweise, dass manche Unternehmen aus Solidaritätsgründen auch Ukraine-Flüchtlinge einstellen, die nicht zu 100 Prozent zum Stellenprofil passen.

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