Liebesbeziehungen mit Angestellten sind für Führungskräfte tabu. Was heisst das für die Zukunft der Büro-Romanze? Affären von Firmenchefs mit Mitarbeiterinnen lassen sich heute nicht mehr aussitzen. Oft kommt es zu Rücktritten. Darf man sich am Arbeitsplatz überhaupt noch verlieben?

Affären von Firmenchefs mit Mitarbeiterinnen lassen sich heute nicht mehr aussitzen. Oft kommt es zu Rücktritten. Darf man sich am Arbeitsplatz überhaupt noch verlieben?

(Foto: Brooke Cagle auf Unsplash)

«Don’t get your honey where you get your money» lautet ein gerne zitierter Spruch im Personalwesen. Frei übersetzt: Führe keine romantischen oder sexuellen Beziehungen an deinem Arbeitsplatz. Was passieren kann, wenn man dagegen verstösst, musste kürzlich der BP-Konzernchef Bernard Looney erfahren.

Im September musste Looney zurücktreten, wegen «zwischenmenschlichen Fehlverhaltens am Arbeitsplatz». Er hatte Beziehungen mit Angestellten nicht vollumfänglich offengelegt. Bereits 2022 hatte BP einige Vorfälle untersucht, woraufhin Looney eine «kleine Zahl von früheren Beziehungen» vor seiner Zeit als CEO zugab. Später kamen jedoch weitere Affären ans Licht, BP sah die Vertrauensbasis zerstört.

Looney ist nicht der erste Konzernchef, dem Büro-Romanzen zum Verhängnis wurden: Der CNN-Präsident Jeff Zucker trat 2022 zurück, weil er eine Beziehung mit einer Mitarbeiterin nicht offengelegt hatte. Der McDonald’s-CEO Steve Easterbrook wurde 2019 ebenfalls wegen einer betriebsinternen Beziehung entlassen.

Beziehungen im Unternehmen sind für Geschäftsführer zum Tabu geworden. Hat das Büro als Ort zum Kennenlernen bald ausgedient?

Viele Paare lernen sich im Büro kennen

«Dass Paare sich am Arbeitsplatz kennenlernen, wird es immer geben», sagt Susanne Achermann. Als Leiterin einer HR-Beratung und als Arbeitsrichterin an drei Zürcher Bezirksgerichten ist sie regelmässig mit den verschiedensten Beziehungskonstellationen im beruflichen Umfeld konfrontiert. «Mit seinen Arbeitskollegen verbringt man am meisten Zeit, und oft versteht man sich gut. Wenn sich ein Paar findet, ist das ja prinzipiell etwas Schönes.»

Tatsächlich hatte laut einer repräsentativen Umfrage, die im Auftrag der Jobbörse Xing durchgeführt wurde, jeder vierte Deutschschweizer bereits einmal eine Affäre am Arbeitsplatz (wobei der Begriff «Affäre» nicht näher definiert wird). 21 Prozent gaben an, eine feste Beziehung mit jemanden im eigenen Betrieb eingegangen zu sein. «Oft funktioniert das auch gut – ich würde sagen, in 95 Prozent der Fälle kommt es nicht zu einer Eskalation», so Achermann.

Strenge Regeln bei einigen Firmen

Dennoch gibt es vor allem in den USA oft strenge Regelungen in Bezug auf Beziehungen unter Angestellten. Teilweise müssen Paare ihr Verhältnis offenlegen oder eine Art «Liebesvertrag» abschliessen, in dem sie erklären, sich professionell zu verhalten. Google und Facebook (heute Alphabet und Meta) machten vor ein paar Jahren Schlagzeilen mit der Meldung, dass Angestellte ihre Kollegen nur einmal um eine Verabredung bitten dürfen – eine Antwort wie «Ich habe keine Zeit» zählt dabei als Nein.

Von solchen Regelungen hält Susanne Achermann wenig: «Es ist im Grunde wie mit Kindern – wenn man zu viele Regeln und Verbote hat, weiss am Ende niemand mehr, was gilt.» Die Umsetzung dürfte zudem an einer Frage scheitern, die auch ausserhalb des beruflichen Kontexts für grosse Unsicherheit sorgt: Wann ist ein Date ein Date? Im «Wall Street Journal» berichtete eine ehemalige Google-Mitarbeiterin, sie sei einige Male «versehentlich» auf eine Verabredung gegangen, weil sie gedacht habe, es handele sich um ein harmloses Feierabendbier.

Gerade die grossen Tech-Konzerne geben sich alle Mühe, ihren Mitarbeitern die Zeit im Büro schmackhaft zu machen, mit kostenlosen Mahlzeiten, Fitnessstudios und Friseursalons auf dem Campus. Die Verschmelzung von Beruf und Privatleben ist gern gesehen, zu eng sollen diese Bereiche aber offenbar doch nicht zusammenrücken.

«Natürlich lernt man sich auf gemeinsamen Ausflügen oder an Apéros besonders gut kennen», sagt Susanne Achermann. «Und es wäre schade, wenn Führungspersonen solche Anlässe nicht mehr anbieten könnten, weil sie Angst haben müssten, dass die Mitarbeiter sich zu nahe kommen.»

Achermann plädiert deswegen statt für strenge Regeln für eine Firmenkultur, in der Mitarbeiter Ansprechpartner haben, wenn sie sich unwohl fühlen. «Wenn man ein Problem mit sich herumträgt oder etwas geheim halten muss, kann das auf Dauer krank machen.»

Ohne Regeln geht es nicht

Dennoch: In bestimmten Konstellationen sind Regeln unvermeidlich. Laut der erwähnten Xing-Studie hatten 13 Prozent der Frauen und 7 Prozent der Männer, die schon einmal eine Affäre am Arbeitsplatz hatten, diese mit einem oder einer Vorgesetzten. Umgekehrt verliebten sich 30 Prozent der Männer (18 Prozent der Frauen) schon einmal in jemanden, der ihnen unterstellt war.

Welche Bereiche sind systemkritisch? Wo gibt es Abhängigkeiten? Ab wann ist eine Beziehung aus Compliance-Sicht relevant? Und wie kann sichergestellt werden, dass Vorgesetzte ihre Sorgfaltspflicht wahrnehmen können? All das sind Fragen, die Personalverantwortliche laut Susanne Achermann klären müssen, wenn es um Regelungen zu Beziehungen am Arbeitsplatz geht.

Compliance-Regeln, die auch den Umgang mit Beziehungen umfassen, gibt es in den USA bereits seit einigen Jahrzehnten. Auch in Europa breitet sich diese Praxis immer mehr aus, die #MeToo-Bewegung hat hier für zusätzlichen Schub gesorgt.

Führungskräfte müssen Interessenkonflikte erkennen

Kaderpersonen haben laut Achermann eine Eigenverantwortung, zu erkennen, wann Interessenkonflikte vorliegen könnten. Sie vergleicht die Situation mit politisch exponierten Personen wie Mandatsträgern oder Richtern. «Vor Gericht wird stets gefragt, ob ein Richter in persönlicher Beziehung etwa zu dem Angeklagten oder dem Verteidiger steht. Wenn das so ist, muss er von dem Fall zurücktreten.»

Ähnlich ist es, wenn man eine hohe Funktion in einem Unternehmen innehat. Man könne dann nicht ignorieren, dass das berufliche und das private Netzwerk eng zusammenhingen. «In dem Moment, in dem man merkt, dass man Compliance-Regeln nicht mehr einhalten kann, muss man selbst aktiv werden und überlegen, wen man informieren muss. Das ist bei Beziehungen nicht anders als bei der Offenlegung von politischen Ämtern.»

Beziehungen wirken sich auf das Arbeitsklima aus

Dabei müssen auch die Auswirkungen der Romanze auf das Arbeitsklima berücksichtigt werden: «Wenn etwa der CEO mit jemandem aus dem Rechtsdienst ein Verhältnis hat, kann sich das nicht nur auf den Informationsfluss, sondern auch auf die Atmosphäre in Sitzungen und an Events auswirken. Es kann sein, dass sich andere nicht wohl fühlen.» Solche Situationen können auch dann entstehen, wenn eine Beziehung in die Brüche geht – oder wenn in einer Beziehung zwischen ehemals gleichgestellten Kollegen einer von beiden befördert wird.

Die Netflix-Produktion «Fair Play» erzählt von zwei Analytikern, die bei einem grossen Finanzhaus arbeiten und dort ihre Beziehung geheim halten. Privat wie beruflich läuft alles hervorragend – bis die Frau zur Chefin des Mannes befördert wird, woraufhin sich die Beziehung zu einem toxischen Machtkampf entwickelt.

«Wenn beide gute Positionen haben und ihren Job nicht aufgeben wollen, sollte man mit den Personalverantwortlichen schauen, was es für Möglichkeiten gibt», rät Susanne Achermann. Idealerweise kann einer der beiden Partner in einem andern Unternehmensbereich oder bei einer Partnerorganisation eine Anstellung finden. «Das kann auch für die Partner selbst eine Erlösung sein, da so der Druck verschwindet.» Damit gemeinschaftlich eine Lösung gefunden werden könne, sei es wichtig, dass es in Unternehmen Ombudsstellen gebe, an die Mitarbeiter sich vertraulich wenden könnten.

Ein Machtgefälle ist problematisch

«Beziehungen sind per se Privatsache und das Natürlichste der Welt. Wenn sie auf Augenhöhe stattfinden, ist es möglich, im Unternehmen einen guten Umgang damit zu finden», erläutert Susanne Achermann. Anders ist die Situation bei einem direkten Abhängigkeitsverhältnis: der Chef mit seiner Mitarbeiterin, die Oberärztin mit dem Pfleger, eine Lehrperson mit einer Schülerin.

«Wenn das Machtgefälle gross ist und direkter Druck aufgebaut werden kann, wenn eine Person durch die Abhängigkeit in Nöte kommen könnte, dann wird es wirklich schwierig.» Hier hätten Führungspersonen eine besondere Verantwortung: «Wenn sie ihrer Sorgfaltspflicht nicht mehr professionell nachkommen können, sollten sie situativ in den Ausstand treten und allenfalls um eine Versetzung bitten.»

Interessenkonflikte, Machtgefälle und Führungsverantwortung: Wer in einem Unternehmen eine grosse Karriere anstrebt, sollte sich also gut überlegen, mit wem er ausgeht. Doch dass Arbeitskollegen sich beim Feierabendbier tief in die Augen schauen oder an der Kaffeemaschine flirten, wird sich trotz allen Compliance-Regeln nicht vermeiden lassen.

Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung»

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