Mutterschaft ist der Karrierekiller, sagt die Nobelpreisträgerin Goldin – die Schweiz sollte daraus Lehren ziehen Mit dem Konzept von «greedy jobs» hat die diesjährige Gewinnerin des Wirtschaftsnobelpreises eine kluge Erklärung für das anhaltende Lohngefälle zwischen Männern und Frauen geliefert. Aus den Erkenntnissen sollten auch die Schweiz und ihre Frauen lernen.

Mit dem Konzept von «greedy jobs» hat die diesjährige Gewinnerin des Wirtschaftsnobelpreises eine kluge Erklärung für das anhaltende Lohngefälle zwischen Männern und Frauen geliefert. Aus den Erkenntnissen sollten auch die Schweiz und ihre Frauen lernen.

Die Wirtschaftshistorikerin und Harvard-Professorin Claudia Goldin hat das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen untersucht und ist dabei zu überraschenden Erkenntnissen gekommen. (Foto: BBVA Foundation)

Das Private ist politisch. Dieser Slogan aus den siebziger Jahren hat nichts an Aktualität eingebüsst. Wie viel Frauen arbeiten, was sie verdienen, wie gross der Lohnunterschied zu den Männern ist: Das alles ist in vielem eine Folge privater Entscheidungen – und dennoch längst nicht nur individuell, sondern hochpolitisch.

Es ist das Verdienst der Wirtschaftsnobelpreisträgerin Claudia Goldin, dass diverse Mythen über die Arbeit von Frauen widerlegt wurden. Ein zentrales Resultat lautet, dass der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen wesentlich mit der Mutterschaft zusammenhängt.

Der Mutter-Malus lebt

Die Ökonomin hat dies mit dem Begriff «gierige Arbeit» auf den Punkt gebracht. «Gierige Arbeit» bedeutet, dass der Lohn mit zusätzlichem Arbeitseinsatz in vielen Berufen nicht nur linear steigt, sondern überproportional. Wer immer verfügbar ist und bereit, auch nach Feierabend, am Wochenende und in den Ferien in den Ring zu steigen, macht schneller Karriere als jemand, der am Abend und am Wochenende in der Familie bereits einen zweiten Job erledigt. Da das mehrheitlich die Mütter sind, leidet ihr Verdienst.

Diese Erkenntnis mag trivial erscheinen, sie ist es aber nicht. Auch beim diesjährigen Frauenstreiktag wurde wieder das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen angeprangert. Goldins Forschung zeigt aber: Selbst wenn es keine Diskriminierung der Frauen am Arbeitsmarkt gäbe, bliebe ein Lohnunterschied zumindest so lange bestehen, wie Frauen in der Familie stärker «auf Pikett» sind.

Scheidungsrecht ignoriert den Verlauf der Karriereleiter

Claudia Goldin hat sich mit Empfehlungen für die Politik immer zurückgehalten. Dennoch hat ihre Arbeit weitreichende Implikationen für Politik und Gesellschaft – auch in der Schweiz.

Da das Lohngefälle wesentlich mit der Mutterschaft zusammenhängt, sollten die finanziellen Einbussen aufgrund der Kinderbetreuung gerecht geteilt werden. Das ist heute oft nicht der Fall. Das «modernisierte» Eherecht sieht vor, dass beide Partner im Fall einer Scheidung getrennte Wege gehen. Doch auch wenn der sorgende Elternteil, und das ist in der Regel immer noch die Mutter, ihr Pensum wieder hochschraubt: Die verpassten Karrierestufen sind nicht mehr aufzuholen.

Das bedeutet aber auch, dass Frauen anders als ihre Männer am Schluss ihres Arbeitslebens weniger in ihrer Pensionskasse haben als ohne Scheidung. Im Konkubinat sieht es für sie häufig noch schlechter aus. Weil die Pensionsguthaben anders als bei Eheleuten nicht geteilt werden, sind Teilzeit-Mütter häufig die Benachteiligten. Hier herrscht in der Rechtsprechung dringender Korrekturbedarf.

 

Aber nicht nur der Staat sollte von Goldin lernen, auch die Unternehmen. Sie sollten – im eigenen Interesse – eine Umgebung schaffen, in der Frauen (bzw. Eltern) Bedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, möglichst viel von ihrem Potenzial abzurufen.

Dazu zählt, dass man nicht ohne Not auf Anwesenheit im Büro besteht, nur weil es für die Chefin oder den Chef bequemer ist, jemandem etwas zuzurufen, als eine kurze Nachricht zu schreiben. Während der Covid-19-Zeit sind viele Barrieren in den Köpfen gefallen. Dinge, die vorher als «unmöglich» gegolten hatten, waren von einem Tag auf den andern machbar. An diese Erfahrungen gilt es anzuknüpfen.

Firmen können Arbeitsabläufe neu organisieren. Claudia Goldin spricht davon, für angemessenen Ersatz zu sorgen, also Arbeitsschichten und Ablösungen zu planen, anstatt auf permanente Verfügbarkeit zu setzen.

Mütter gelten heute neben den älteren Arbeitnehmern als grösste Reserve am Arbeitsmarkt. Das ist eine Verheissung. Es heisst aber auch, dass man es sich bisher geleistet hat, viele Frauen links liegen zu lassen. Mit dem demografischen Wandel und dem immer akuter werdenden Fachkräftemangel schneiden sich Firmen mit einer solchen Haltung ins eigene Fleisch. Wer der «Reserve» nicht nur Routine-Aufgaben ohne Perspektive zuweist, sondern ihr echte Wertschätzung entgegenbringt und Gestaltungsraum gewährt, wird unter dem Fachkräftemangel weniger leiden als andere. Goldins Forschung hat eine unmittelbare Relevanz – auch in der Schweiz.

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