Ohne Linkedin kein Job: Der biederste aller Social-Media-Dienste ist zum Publikumsrenner geworden In der Schweiz nutzen über vier Millionen Menschen Linkedin. Auf dem Karrierenetzwerk hat sich eine Influencer-Szene der besonderen Art etabliert, wie Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen.

In der Schweiz nutzen über vier Millionen Menschen Linkedin. Auf dem Karrierenetzwerk hat sich eine Influencer-Szene der besonderen Art etabliert, wie Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen.

(Bild: Kilian Vilim / NZZaS)

«Gratulieren Sie Manuela Pfister zum Geburtstag.» Oder: «Gehören Sie zu den Ersten, die auf diesen Beitrag reagieren.» So plump sind die meisten Aufforderungen des Linkedin-Algorithmus. Sie erwecken den Eindruck, das Karrierenetzwerk befürchte, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, falls es seine Nutzer nicht ständig dazu animiert, doch bitte etwas mehr Zeit auf der Plattform zu verbringen.

Doch die Geschäftszahlen sprechen eine andere Sprache. Für die Eigentümerin Microsoft ist Linkedin zur Goldgrube geworden. Im Geschäftsjahr per Ende Juni erzielte die Plattform einen Umsatz von über 15 Mrd. $. Die Zuwachsraten sind erstaunlich: Noch im Geschäftsjahr 2020 lag der Umsatz bei 8 Mrd. $.

Weltweit nutzen jetzt 900 Millionen Personen Linkedin, in der Schweiz sind es laut der Marketingagentur Onlinekarma 4,1 Millionen – ein Grossteil aller Erwerbstätigen. Gemäss der Firma stammen diese Angaben zur Schweiz von Linkedin selbst. Sie ist eigentlich recht zugeknöpft, wenn es um Zahlen geht.

Selbst die durchschnittliche Verweildauer auf Linkedin – bisher die Achillesferse der Plattform – scheint von einer tiefen Basis aus stark anzusteigen: um 41%. Das schrieb vor kurzem «Businessweek» mit Verweis auf die Firma. Dabei wurde die Nutzungsdauer im Frühling 2023 mit jener von 2021 verglichen. Bei den meisten digitalen Diensten von Games bis Social Media zeigt sich genau das gegenteilige Muster: Nach Ende der Pandemie sackte die Nutzungsdauer ab.

Die Basis des Erfolgs ist natürlich die Jobsuche, wo Linkedin die absolute Lufthoheit erobert hat. Arbeitnehmer ohne Profil auf der Karriereplattform sind heute schlicht nicht mehr sichtbar auf dem Arbeitsmarkt – das ist umso nachteiliger, als viele Stellen nicht ausgeschrieben werden, sondern unter der Hand weggehen.

Ein «Game-Changer»

«Linkedin ist ein Game-Changer in der Rekrutierung. Dieses berufliche Netzwerk hat die Personalsuche völlig verändert und Active Sourcing zum festen Bestandteil bei der Suche neuer Mitarbeitenden gemacht», sagt Patrick Wolf, Personalchef der Migros Bank. Active Sourcing heisst, dass Firmen vielversprechende Kandidaten direkt angehen und nicht darauf warten, dass sich diese bei ihnen melden.

«Für uns als Arbeitgeber bietet Linkedin die Möglichkeit, einfach Erstkontakte zu potenziellen Kandidaten herzustellen – was in Zeiten des Fachkräftemangels sehr wertvoll ist», so Wolf. Denn auch wer nicht aktiv eine neue Stelle suche, verbringe gerne Zeit auf Linkedin. «Mit seinem gut gemachten Newsfeed ist das Netzwerk eine wichtige und unterhaltsame Informationsquelle geworden.»

Unternehmen bezahlen der Firma Tausende von Franken, um ihre «Talent Solutions» nutzen zu können, um so gezielter nach Kandidaten Ausschau zu halten.

Weil mittlerweile so viele Menschen Profile auf Linkedin haben und darin sehr persönliche Informationen zu Interessen, Lebenslauf oder Beziehungsnetz preisgeben, steigt der Wert der Plattform ganz grundsätzlich.

Etwa fürs Marketing: «Bezahlte Werbebotschaften können wegen der guten Datenqualität sehr gezielt an die gewünschte Zielgruppe ausgespielt werden. Es gibt kaum Streuverluste», sagt Labinot Gashi, Partner der Agentur Rosarot, Dozent und Buchautor. «Das führt dazu, dass Linkedin für eine Kampagne viel mehr verlangen kann als etwa Facebook. Während man dort rund 70 Rappen pro Klick bezahlt, kostet ein solcher auf Linkedin zwischen 5 und 15 Franken.»

Auch Julia Vanoni, Geschäftsleitungsmitglied von Onlinekarma, findet, Linkedin habe eine Bedeutung erreicht, die weit über den Stellenmarkt hinausreicht: «Als Marketingagentur spüren wir sehr direkt, wie Firmen in den letzten zwei Jahren vermehrt auf Linkedin als Kommunikations- und Kampagnenplattform setzen», sagt sie. «Unsere Social-Media-Statistiken zeigen, dass Linkedin unterdessen eines der führenden Netzwerke der Schweiz ist, weshalb aus unserer Sicht eine Präsenz auf Linkedin für Firmen in vielen Fällen unabdingbar geworden ist.»

Den grössten Popularitätsgewinn erfährt Linkedin aber bei Individuen, die Marketing in eigener Sache betreiben. Firmenchefs, Kleinunternehmer, aber auch komplette Nobodys können sich dort kostenlos in Szene setzen. Linkedin biete enorme Chancen, sich bei einem Thema als Experte zu positionieren, sagt Gashi. «Wer eine gute Nische findet und alle zwei Tage in einem Post sein Wissen in diesem Bereich teilt, kann in nur 90 Tagen den Nimbus eines Spezialisten erreichen.»

Zu den Linkedin-Influencern gehört in der Schweiz etwa der Novartis-Chef Vas Narasimhan. Er ist mit seinen 334 189 «Followern» international gesehen aber ein kleiner Fisch. An den Lippen von Bill Gates hängt ein Publikum von 35 Mio. Menschen.

Die Firma profitiert bestimmt auch von den Turbulenzen bei X alias Twitter. Doch sie ermuntert ihre Nutzer sehr gezielt dazu, mehr «Content» zu erstellen. Wer den sogenannten Creator-Modus nutzt, kann seine Reichweite mit zusätzlichen Instrumenten wie Newsletters oder Live-Videos deutlich erhöhen. Hinterher lässt sich der Erfolg mit Zielgruppen-Analyse-Tools messen.

Firmen spannen Mitarbeiter ein

Der Linkedin-Algorithmus sorgt dafür, dass Individuen eine grosse Sichtbarkeit erhalten, Firmenaccounts dagegen im Hintergrund bleiben. Dieser Mechanismus hat den Effekt, dass die geteilten Inhalte eine persönliche Note behalten und somit attraktiv bleiben.

Allerdings versuchen Firmen nun vermehrt, ihre Angestellten als Werbebotschafter einzuspannen. Unternehmen hätten erkannt, dass sie ihre Visibilität auf Linkedin massiv erhöhen könnten, wenn ihre Mitarbeiter dort aktiv seien, sagt Gashi. Das will geübt sein: «Wir durften in den letzten zwei Jahren Linkedin-Schulungen für rund 40 Firmen durchführen.»

Das Interesse der Unternehmen am vermehrten Engagement ihrer Belegschaft ist verständlich: Ein gut gemachter Beitrag wird ohne weiteres 2000-mal aufgerufen. «Wenn eine Firma 20 Mitarbeiter hat, die pro Woche einen Post machen, kommt sie rasch einmal auf 40 000 Kontakte», rechnet Gashi vor.

Mitarbeiter werden so zu einer Art Cheerleader ihres Arbeitgebers. Es würde nicht erstaunen, kämen schon bald Entlöhnungsmodelle auf, bei denen die Reichweite auf Linkedin bonusrelevant wird.

So präsentieren Sie sich auf Linkedin

Martina Dalla Vecchia, Professorin an der Fachhochschule Nordwestschweiz, beschäftigt sich intensiv mit Linkedin. Entsprechend ist ihr Motto: «Du bist, was du teilst.» Sie findet, Nutzer sollten sich vorbereitend gut fragen, welchen Eindruck Besucher von einem Profil erhalten sollen. Wichtig sei auch die Entscheidung darüber, wer was sehen darf. Will ich auf Google mit dem Profil gefunden werden? Bei der Umsetzung sei ein professionelles Profilbild zentral, auf unifarbenem Hintergrund mit direktem Blick in die Kamera. Auch dem Bannerbild sollte man Beachtung schenken. Dalla Vecchia empfiehlt für dessen Gestaltung canva.com.

Neben der Auflistung der Berufserfahrung mit aussagekräftigen Details zu den Tätigkeiten ist ein Slogan entscheidend, mit dem man sich selbst in 220 Zeichen positioniert. Das Wichtigste gehört in die ersten fünf Worte. Danach gilt es zu interagieren: sich mit relevanten Personen zu vernetzen, interessanten Profilen zu folgen und Beiträge zu liken, zu kommentieren oder solche gar selbst zu erstellen. Das A und O: Persönliche Inhalte sind gut, private Inhalte nicht. Politik ist ebenso tabu wie das Foto aus den Ferien.

Markus Städeli, «Neue Zürcher Zeitung»

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