Quereinstieg in einen neuen Job: wie der Karrierewechsel gelingt Sich selbst neu erfinden, Ungeliebtes hinter sich lassen: Das ist der Wunsch, der hinter einer beruflichen Neuorientierung steckt. Wie es gelingt, eine neue Karriere aufzubauen, was dabei zu beachten ist und was dies für Banker heisst, die derzeit um ihren Job fürchten.

Sich selbst neu erfinden, Ungeliebtes hinter sich lassen: Das ist der Wunsch, der hinter einer beruflichen Neuorientierung steckt. Wie es gelingt, eine neue Karriere aufzubauen, was dabei zu beachten ist und was dies für Banker heisst, die derzeit um ihren Job fürchten.

(Illustration: Charlotte Eckstein / NZZ)

Am Anfang steht meist Unzufriedenheit oder Notwendigkeit. Wer sich beruflich neu orientieren will oder muss, ist nicht glücklich im Job – oder hat ihn verloren. Das geht irgendwann im Berufsleben den meisten Menschen einmal so. Neu ist aber, dass die Menschen in der Tendenz weniger bereit sind, in der Unzufriedenheit zu verharren. Bequem ist das nicht, vor allem wenn man nicht nur den Arbeitgeber wechselt, sondern den alten Beruf über Bord wirft und etwas Neues wagt.

Wer sich so verändern will, muss seine Komfortzone verlassen. Schliesslich bedeutet ein Quereinstieg in einen anderen Beruf, dass gewisse Fachkenntnisse fehlen. Umgekehrt liegt im Neuen die verlockende Chance, etwas zu finden, was den eigenen Interessen und Fähigkeiten besser entspricht. Dies verspricht neuen Schwung.

1. Wie finde ich heraus, was ich wirklich will?

Wer sich neu orientiere, müsse Antworten suchen auf die beiden Fragen «Was will ich?» und «Was kann ich», erklärt Christina Künzle, die als Managing Partner des Coaching-Unternehmens Choice seit Jahren Führungskräfte bei Karriere-Änderungen unterstützt. Die Frage ist einfach, allerdings hat nicht jeder sofort eine gute Antwort darauf parat.

«Viele Leute sind voll damit beschäftigt, die von aussen an sie getragenen Erwartungen zu erfüllen.» In dieser Rolle müsse man immer liefern, der eigene Wille und die eigenen Bedürfnisse würden verschüttet. Wichtig sei, ins Gestalten zu kommen, so Künzle. «Erst wenn ich weiss, was ich will und wofür, komme ich in die Passion und Freude herein.»

Was ein Quereinstieg ist, ist nicht genau definiert. Es kann ein völlig neuer Beruf sein, ein Wechsel in eine andere Branche oder auch eine andere Funktion im gleichen Sektor. In diesem Sinn ist jeder neue Job jenseits des eigenen Silos ein Quereinstieg.

Ein Aufstieg in der geraden Linie – etwa von der Sachbearbeiterin Personal zur Projektleiterin Personal, dann zur Teamleiterin und später zur Personalchefin – wird gemäss Künzle zunehmend als langweilig empfunden. Wer über seinen angestammten Bereich hinausgeht, findet sich damit zwangsläufig in einer gewissen Quereinsteiger-Rolle.

2. In welchen Berufen sind Quereinsteiger besonders gefragt?

Durchsucht man Stellenportale, stösst man auf Berufsfelder wie Versicherungsberaterin, Immobilienbewirtschafter, Call-Center, Pflegeberufe oder die Gastronomie. Seit langem offen für Quereinsteiger ist die IT. Hier haben viele Firmen spezielle Programme für Quereinsteiger entwickelt.

Beim Migros-Genossenschafts-Bund beispielsweise liegt der Fokus auf SAP-Beratern. Die Quereinsteiger starten mit einer Festanstellung, arbeiten sich ein und besuchen Weiterbildungskurse.

Wichtig sei, dass die Kandidaten die richtige Einstellung hätten und offen seien, sagt Corina Rrustemi, Leiterin des Programms M-Career. Auf der Seite der Migros müsse die jeweilige Abteilung die Bereitschaft haben, die nötigen Investitionen in die Person zu tätigen. «Das muss vom Team akzeptiert werden, denn es braucht einiges an Ressourcen», so Rrustemi.

Auch in anderen Bereichen sorgt der Mangel an Fachkräften für mehr Offenheit. 2021 suchte der Kanton Zürich 100 Aufseher für das neue Gefängnis Zürich West. Weil es zu wenig ausgebildetes Gefängnispersonal gab, setzte man auf Quereinsteiger.

Gute Chancen gibt es auch in der boomenden Solarbranche, und die MEM-Industrie (Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) hat eine eigene Passerelle entwickelt.

Im öffentlichen Sektor sind als Schulleiter auch Führungskräfte willkommen, die Erfahrungen ausserhalb der Schule gesammelt haben, und Lehrperson kann man derzeit auch ohne Lehrerdiplom sein.

Gerade bei den Lehrern zeigt sich aber auch, wie entscheidend der Engpass für die Offenheit des Arbeitgebers ist. In Zürich sollten die Lehrkräfte ohne Diplom eigentlich nur für ein Jahr eingesetzt werden; nun wird die Frist verlängert. Das heisst aber auch, dass der Quereinstieg möglicherweise nur eine Übergangslösung ist und ein schnelleres Ende finden kann, als den Neulingen lieb sein mag.

Grundsätzlich gilt, dass es Quereinsteiger umso leichter haben, je weniger spezifische Fachkenntnisse es braucht. Geeignet sind Berufe, in denen «transferierbare Fähigkeiten» zählen, die sich auf andere Bereiche übertragen lassen.

Für Funktionsspezialisten aus dem Marketing, der Logistik, dem Personal oder den Finanzen sind Branchenwechsel relativ einfach. Zählt vor allem Industriekompetenz, beispielsweise mit Fachwissen aus der Pharma- oder Autobranche, kann sich ein Wechsel der Funktion mit einem Verbleib in der Branche anbieten.

3. Ist die Schweizer Wirtschaft für Quereinsteiger bereit?

Outplacement-Kandidaten wünschen häufig eine Neuorientierung mit einem Branchen- oder einem Funktionswechsel. «Das ist nicht einfach», sagt Pascal Scheiwiller, CEO der Outplacement-Firma von Rundstedt. In der Schweiz werde zwar ständig Agilität gefordert, und man mache inflationär viele CAS-Diplome und Weiterbildungen.

Viele Unternehmen seien jedoch nicht bereit, Kandidaten zu nehmen, wenn diese nicht schon einschlägige Erfahrungen hätten. «Das gibt dann ein böses Erwachen», so Scheiwiller. Mit dem Fachkräftemangel sei die Mobilität zwar grösser geworden, dennoch sei der «Branchenkult» mit dem Pochen auf einschlägige Branchenerfahrung weiter sehr gross.

Für Veränderungswillige ist das mühsam. Die Zurückhaltung vieler Unternehmen ist dabei die Kehrseite der hierzulande guten und umfassenden Ausbildungen. Diese sind nicht einfach im Schnellverfahren nachzuholen.

«Quereinsteiger brauchen Überzeugungsfähigkeit», betont deshalb Pascal Scheiwiller. Man müsse ohne entsprechende Stellen im Lebenslauf glaubhaft machen können, dass man der neuen Rolle gewachsen sei. Am besten gehe das mit einer «Bridge-Story». Mit einer solchen baut man eine Brücke zwischen den Kompetenzen der bisherigen Funktion und den Anforderungen der neuen Aufgabe.

4. Muss ich beim Wechsel mit Lohneinbussen rechnen?

Da Quereinsteigern gewisse Ausbildungsstufen fehlen, werden sie zum Teil wieder zu Berufsanfängern. Realistische Lohnforderungen sind daher entscheidend. Den höchsten Marktwert habe man meist im angestammten Beruf, erklärt Christina Künzle. Besonders ausgeprägt gilt das für Branchen, die traditionell gut zahlen.

Auch ältere Mitarbeitende können ihr Salär oft nicht halten. Anders verhält es sich hingegen, wenn jemand aus einer Tieflohn-Branche wie der Gastronomie in die IT wechselt, mit dem expliziten Ziel, einen besseren Lohn, bessere Anstellungsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten zu erlangen.

5. Wie gross ist die Chance auf den neuen Traumjob?

«Ich möchte nicht zu romantisch wirken, aber grundsätzlich ist alles möglich», sagt Stefan Hernandez, VR-Präsident des Karriereberatung-Unternehmens Grass & Partner, und ist damit deutlich optimistischer als andere in der Branche. Es gäbe CEO, die plötzlich ein Hotel in Südfrankreich führten, oder Ingenieure, die Kantonsschullehrer würden.

Quereinsteiger würden zwar Qualifikationen und Erfahrungen aus ihrem alten Beruf über Bord werfen. Am neuen Ort sei die Lernkurve dafür sehr steil. Wer professionelle Unterstützung für eine Neuorientierung sucht, wendet sich in der Regel besser an einen Job-Coach, der die unterschiedlichen Möglichkeiten auslotet, als an einen Headhunter. Letztere halten die Karrieren lieber auf einer geradlinigen Spur, wo die Vermittlung am einfachsten ist.

Wie gross der Radius ist, hängt stark davon ab, was man sich selbst und andere einem zutrauen. «Wenn Sie als Journalistin Hotelmanagerin werden wollen, könnte das schwierig werden, ausser Sie haben eine Tante mit Geld oder Hotel, die ihnen das zutraut», sagt Christina Künzle.

Gibt es allerdings keine Konkurrenz, kann der Spielraum plötzlich sehr gross werden. «Denken Sie an die Trümmerfrauen, die nach dem Krieg Unternehmen führten, weil es keine Männer mehr gab.» Grundsätzlich gilt: Je weniger Fachleute es gibt, desto offener werden die Arbeitgeber. Der angespannte Arbeitsmarkt kommt Quereinsteigern insofern zugute.

6. Was sind die Do’s und Don’ts im neuen Job?

Hat man den neuen Arbeitsvertrag als Quereinsteiger in der Tasche, ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Um erfolgreich zu sein, braucht es einen guten Start am neuen Ort. Überall gibt es ungeschriebene Gesetze. Wer sie verletzt, kann schnell ins Abseits geraten. Wichtig sei, sich einen Mentor oder Götti zu suchen, der Feedback gebe, sagt Christina Künzle.

Keine Freunde macht man sich, wenn man ständig erzählt, was am alten Ort besser war oder sich gleich zu Beginn mit den neuen Kollegen verkracht. «Resultate und Leistungen bekommt man über Beziehungen. Deshalb ist es wichtig, zuerst die Beziehungen zu haben», sagt Künzle.

Neulinge sollten sich überlegen, wo sie welchen Nutzen bringen können. Man muss die Schlüsselfaktoren für den Erfolg im neuen Umfeld erkennen und sich möglichst frühzeitig darauf ausrichten, so Künzle. Dabei gelte das Motto: Lieber frühzeitig kleine Erfolge liefern als grosse Erfolge zu spät.

Wer eine zweite oder dritte Karriere wagen will, braucht einen Willen zur Veränderung, Kraft zum Durchbeissen, einen guten Plan und Lust auf Neues. Dann ist nicht alles möglich – aber vieles.

Quereinsteiger wider Willen: Banker stehen vor deutlichen Lohneinbussen

Nicht jeder Quereinstieg ist freiwillig, gerade nach Kündigungen ist dieser häufig erzwungen. Bankangestellten, die nach der Zwangsübernahme der Credit Suisse durch die UBS um ihren Job fürchten, raten Job-Coaches, möglichst früh und schnell zu reagieren, und zwar bevor die grossen Outplacement-Runden kommen.

Die «Early Movers» sind bereits auf der Suche oder sondieren. Sie haben einen Zeitvorteil, denn die Konkurrenz wird kaum alle Banker einstellen, die nun aufgrund von Doppelspurigkeiten bei der neuen UBS ihren Job verlieren.

Das Interesse der Arbeitnehmer steht demjenigen der Bank dabei diametral entgegen. Erstere haben bei einem frühen Absprung einen Vorteil, Letztere wollen die Arbeitnehmer so lange halten, bis sie sie nicht mehr brauchen, um bis zuletzt funktionsfähige Abteilungen zu haben.

Um die besten zehn oder zwanzig Prozent in ihrem Bereich macht sich niemand Sorgen. Diese sind begehrt und haben keine Schwierigkeiten, weiterhin hervorragende Löhne abzurufen. Allerdings sind naturgemäss nicht alle die Besten, zudem bemühen und bewerben sich mehr Leute auf ähnliche Jobs. Einige Banker werden deshalb wohl zu einer beruflichen Neuorientierung gezwungen sein.

Aus gewissen Lebensläufen würde man schliessen, dass die Person nur für das Bankgewerbe geeignet ist. «Viele Banker sind aber polyvalent», betont Stefan Hernandez von Grass & Partner. Sie hätten zwar eine bestimmte Funktion gehabt, aber noch viele andere Fähigkeiten. Diese gelte es zu entdecken und einzusetzen. Das gute Ausbildungsniveau und der grundsätzlich starke Arbeitsmarkt sollten den Quereinsteigern wider Willen zugutekommen.

Allerdings müssen die Angestellten von Grossbanken unter Umständen erstens einen substanziellen Lohnverzicht hinnehmen. Je nach Hierarchiestufe, Funktion und Alter liegt das Salär in anderen Brachen um 30 oder sogar 40 Prozent tiefer. Bereits jetzt berichten beispielsweise Wirtschaftsprüfungsgesellschaften von Bewerbern, die sich mit überrissenen Lohnforderungen direkt aus dem Gespräch katapultierten.

Doch selbst wenn jemand von sich aus bescheiden wird, muss zweitens auch der neue Arbeitgeber mitspielen. Viele Unternehmen wollen niemanden, der ein Jahressalär von 130 000 Franken akzeptiert, wenn er zuvor 180 000 Franken hatte. Ein solcher Rückschritt wird als Zeichen der Verzweiflung gedeutet und kommt nicht gut an.

Die Unternehmen haben Angst, dass der neu-alte Banker aus einer verwöhnten Unternehmenskultur kommt und abspringt, sobald er etwas Lukrativeres findet. Wer in eine andere Branche wechseln will oder muss, sollte versuchen, diese Klippen zu umschiffen. Am besten geht das mit einer guten «Brücken-Geschichte» und einer glaubwürdigen Darstellung, warum die neue Branche besser passt – trotz Lohneinbusse.

Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»

Serie «Neue Arbeitsmodelle: Ausbrechen aus dem Büroalltag»

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