Rezepte gegen den Fachkräftemangel: Der Arbeitgeberverband will, dass die Schweizer mehr arbeiten Mehr und länger arbeiten, die Berufsbildung wertschätzen, die Berufswahl bewusster treffen und die Tür für eine gezielte Zuwanderung offen halten. Das sind Massnahmen, mit denen der Schweizerische Arbeitgeberverband den Arbeitskräftebedarf sichern will.

Mehr und länger arbeiten, die Berufsbildung wertschätzen, die Berufswahl bewusster treffen und die Tür für eine gezielte Zuwanderung offen halten. Das sind Massnahmen, mit denen der Schweizerische Arbeitgeberverband den Arbeitskräftebedarf sichern will.

Qualifizierte Fachkräfte sind knapp. Der Mangel wird zunehmend zu einem Bremsklotz für die Wirtschaft. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Der Schweizer Arbeitsmarkt brummt, und die Arbeitslosigkeit ist tief. Das ist erfreulich, stellt jedoch viele Unternehmen vor Herausforderungen: Sie kämpfen bei der Rekrutierung von geeignetem Personal mit grossen Schwierigkeiten. Der Mangel wird zunehmend zu einem Bremsklotz für die Wirtschaft.

Der Schweizerische Arbeitgeberverband hat nun am Montag seine Rezepte gegen den Fachkräftemangel vorgelegt. Genannt werden acht Punkte. Was von ihnen zu halten ist:

1. Erhöhung der tatsächlichen Arbeitszeit

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssten die geleisteten Arbeitsvolumen erhöht werden, fordert der Arbeitgeberverband. Er verweist darauf, dass die jährliche Arbeitszeit pro Erwerbstätigen in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen hat.

Nicht erwähnt wird allerdings, dass die Erwerbsquote gestiegen ist und mehr Frauen mit höheren Pensen arbeiten. Zu Recht dürften die Arbeitgeber mit Unruhe verfolgen, wie positiv die Stimmung in der Bevölkerung mit Blick auf die 4-Tage-Woche ist. Nur in den wenigsten Fällen wird sich aber mit einem um 20 Prozent tieferen Einsatz das gleiche Resultat erzielen lassen. Der Fachkräftemangel würde so noch weiter verschärft.

2. Arbeiten muss sich lohnen

Die Arbeitgeber kritisieren, dass das Angebot an externer Kinderbetreuung immer noch ungenügend sei. Die Plätze seien zu teuer, damit lohne es sich oftmals kaum, dass beide Elternteile einer Arbeit nachgehen würden. Der Verband fordert deshalb eine stärkere Förderung der Kitas und Tagesschulen. Damit würden allerdings die Kosten der Kinderbetreuung stärker dem Staat bzw. dem Steuerzahler angelastet. Um Mitnahmeeffekte zu verhindern, fordern die Arbeitgeber, dass die subventionierte Kinderbetreuung nur dazu genutzt würde, dass die Eltern mehr arbeiten oder eine Aus- und Weiterbildung machen.

Es ist richtig, Freizeit nicht staatlich zu subventionieren. Das Ziel, die Subventionen zielgerichtet zu vergeben, sollte aber nicht dazu führen, dass die Bürger überwacht werden. Positiv fällt auf, dass der Arbeitgeberverband sich bewusst für familienfreundliche Arbeitsbedingungen in den Betrieben ausspricht.

3. Länger arbeiten können

Um die Altersvorsorge langfristig zu sichern, ist entweder eine Erhöhung der Einnahmen, eine Reduktion der Leistungen oder eine Erhöhung des Rentenalters nötig. Der Arbeitgeberverband spricht sich neben einer generellen Erhöhung des Rentenalters für neue Arbeitsmodelle aus, die dazu beitragen, dass ältere Mitarbeitende länger im Arbeitsmarkt verbleiben. Konkret genannt werden sogenannte Bogenkarrieren mit reduzierten Pensen, um über das reguläre Rentenalter hinaus zu arbeiten.

Mehr Offenheit bei solchen Ansätzen sind ein guter Weg, um ältere Arbeitskräfte bei der Stange zu halten. Einige Headhunter beklagen allerdings, dass viele Unternehmen Ältere immer noch ungern einstellen. Hier scheint Potenzial vorhanden zu sein.

4. Berufsbildung wertschätzen

Das Interesse der Jugendlichen und ihrer Eltern an einer Berufsbildung müsse wieder stärker geweckt werden, meint der Arbeitgeberverband. Viele Tätigkeiten in der modernen Arbeitswelt würden zwar komplexer, ohne jedoch zwingend eine akademische Ausbildung zu erfordern.

Eine hohe Wertschätzung für Ausbildungsberufe ist wichtig. Der erwartete Verdienst und das Prestige von akademischen Berufen scheinen immer noch so hoch zu sein, dass viele junge Leute diesen Weg bevorzugen. Mit warmen Worten ist die Wertschätzung nicht zu steigern, entscheidend sind gute Perspektiven und Karrierechancen.

5. Bildungsentscheide bewusster fällen und steuern

Eine Studienberatung solle in der Oberstufe verankert und verbindlich werden, fordern die Arbeitgeber. Sie kritisieren, dass Studienentscheide häufig aufgrund des persönlichen Interesses gefällt würden, Karriere- und Verdienstmöglichkeiten jedoch nicht immer genügend in Betracht gezogen würden. Mit Instrumenten wie Studiengebühren (die auch im Nachhinein abgezahlt werden könnten) könne erreicht werden, dass vermehrt Studiengänge gewählt würden, die im Arbeitsmarkt gefragt seien, meinen die Arbeitgeber.

Eine verbindliche Studien- und Berufsberatung wäre eine sehr sinnvolle Massnahme, um die Jugendlichen bei einer wichtigen Weichenstellung ihres Lebens gut zu unterstützen. Studiengebühren sollten aber nicht dazu führen, dass die Schweiz zu wenig hochqualifizierte Arbeitskräfte ausbildet und diese Leute dann aus dem Ausland holen muss.

6. Türe für Zuwanderung offenhalten

Das inländische Fachkräftepotenzial müsse besser ausgeschöpft werden, meinen die Arbeitgeber. Da dieses aber den Bedarf nicht ausreichend decken könne, sei man weiter auf eine gezielte Zuwanderung angewiesen.

Hier streift der Arbeitgeberverband das Thema Personenfreizügigkeit mit den EU-Ländern bzw. Zuwanderung aus Drittstaaten. Ein heisses Eisen und politisch höchst umstritten, wie die aktuelle Diskussion um die 10-Millionen-Schweiz zeigt.

7. Arbeitszeiten flexibler gestalten

Das Arbeitsgesetz sei veraltet. Der Arbeitgeberverband fordert daher unter anderem eine Lockerung der Arbeitszeitregelungen.

Bei der Liberalisierung des Arbeitsgesetzes sind die Arbeitgeber auf die Kooperation der Gewerkschaften angewiesen. Politisch ebenfalls umstritten und sicher kein Spaziergang für den Verband.

8. Mehr Menschen mit Beeinträchtigungen im Arbeitsmarkt halten

Zu viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden aufgrund von physischen und psychischen Einschränkungen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Die Betroffenen sollten so weit wie möglich im ersten Arbeitsmarkt verbleiben.

Je besser es den Arbeitgebern gelingt, möglichst viele Menschen im ersten Arbeitsmarkt zu halten, desto besser. Das Arbeitgebernetzwerk Compasso bietet Unternehmen dabei konkrete Beratung.

Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»

Wichtiger Diskussionsbeitrag

Der Fachkräftemangel ist ein Problem, das sich mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt noch verschärfen wird. Lösungen dafür zu finden, ist notwendig; der Arbeitgeberverband liefert mit seinem Massnahmenkatalog einen wichtigen Diskussionsbeitrag.

 

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