Wenn der Konflikt im Betrieb eskaliert Auseinandersetzungen legen ganze Abteilungen lahm und bringen Firmen in gefährliche Schieflagen. Wie lenkt man Konflikte in konstruktive Bahnen?

Auseinandersetzungen legen ganze Abteilungen lahm und bringen Firmen in gefährliche Schieflagen. Wie lenkt man Konflikte in konstruktive Bahnen?

Der Standort von Google Schweiz an der Europaallee, im Gebäude der Sihlpost. Schweizer Google-Forscher arbeiten an Diensten wie Google Assistant, Maps, Gmail, Youtube, Cloud. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Von Querelen zu sprechen, ist im Falle der Firma Open AI, Herstellerin von Chat-GPT, wohl eine Untertreibung. Im November vergangenen Jahres eskaliert der Machtkampf zwischen dem Verwaltungsrat des Softwareunternehmens und Sam Altman. Der CEO und Mitgründer von Open AI wird fristlos entlassen: Es folgt eine Revolte von über 700 Open-AI-Mitarbeitern, die mit der Kündigung drohen, sollte der Verwaltungsrat nicht zurücktreten. Nach Verhandlungen zwischen Sam Altman und dem Verwaltungsrat kommt es schliesslich zur überraschenden Wende: Altman kehrt als CEO zurück, das Gremium wird abgesetzt.

Bei Open AI prallten verschiedene Welten und Persönlichkeiten aufeinander: selbsternannte Idealisten und Altruisten, die eine künstliche Intelligenz zum Wohle der Menschheit anstreben, Profitdenker, Fortschrittsgläubige sowie Skeptiker, die vor den möglichen Risiken der neuen Technologie warnen. Selten werden firmeninterne Konflikte dermassen breit in der Öffentlichkeit ausgetragen. Gleichwohl gehören Auseinandersetzungen zum Alltag eines jeden Betriebes. Sie können ganze Abteilungen lahmlegen oder Firmen gar an den Rand des Zusammenbruchs bringen.
 

Vorsicht bei Kompetenzstreitigkeiten

«Eine der häufigen Ursachen von Konflikten sind unklare Verantwortungsbereiche und Kompetenzstreitigkeiten», sagt der Unternehmer Hermann Arnold. «Jemand mischt sich in Dinge ein, die ihn nicht betreffen, oder erledigt Aufgaben nicht, die ihm übertragen wurden.» Arnold ist Mitgründer und war langjähriger Geschäftsführer von Haufe-Umantis, die jüngst in Abacus Umantis umgetauft worden ist. Bei der St. Galler Technologiefirma hat Arnold einige Erfahrungen im Konfliktmanagement gesammelt. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass das Unternehmen mit diversen basisdemokratischen Führungskonzepten experimentiert hat. Über Jahre hinweg wurde bei Haufe-Umantis selbst der Firmenchef demokratisch gewählt oder eben abgewählt. So auch Arnold, der nach dreizehn Jahren einem jüngeren Kollegen die Firmenleitung überliess.

Mit ein paar Jahren Abstand sieht der 48-jährige Unternehmer die Loslösung von seiner ehemaligen Firma gelassen. Heute ist Arnold Mitinitiator von 42hacks, einer Gemeinschaft von Unternehmern, die im Bereich des Klimaschutzes aktiv sind, er ist aktiver Gründungsinvestor der Jungfirma Alpine-AI, die eine Schweizer Version von Chat-GPT lanciert hat, und ist in rund vierzig Startups engagiert.

Was Arnold aus der Zeit bei Haufe-Umantis gelernt hat, schildert er folgendermassen: «Erstens: Wichtige Entscheide sollten von allen Mitarbeitenden mitgetragen werden. Entscheide werden dadurch besser, und die Umsetzung wird beschleunigt.» Gleichzeitig seien aber gewisse hierarchische Strukturen sowie eine klare Führung erforderlich. Das basisdemokratische Konzept bei Haufe-Umantis hat laut dem ehemaligen CEO der Firma nämlich dazu geführt, dass konkrete Probleme mit dem Vorgesetzten immer weniger diskutiert worden sind. Die Angestellten hätten abgewartet und den Chef bei der nächsten Gelegenheit abgewählt.

«Zweitens: Kommt es zu Konflikten innerhalb des Teams, hängt dies oftmals nicht mit der Arbeitslast zusammen, sondern mit unklarer Kompetenzverteilung», führt Arnold aus. Es helfe in solchen Situationen, die Gruppe zu verkleinern. Die Folge sei, dass die Teammitglieder dann schneller und produktiver würden, weil sie sich nicht gegenseitig ins Gehege kämen. Die Konflikte nähmen ab, und die Kosten sänken.

Wenn Führungskurse nichts fruchten

Selbst in höheren Führungsgremien wendet Arnold heute dieses Konzept an: «Ich reduziere oftmals die Geschäftsleitung, bis sie funktioniert, auch wenn schliesslich nur noch zwei oder drei Kaderkräfte im Führungsgremium verbleiben. Es gibt viel Konfliktpotenzial und Machtkämpfe, wenn Leute nicht ausgelastet sind. Vor allem Führungskräfte fangen dann an, sich mit sich selbst zu beschäftigen.»

Auch was die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern betrifft, hat der Unternehmer eine klare Ansicht: «Wenn eine Führungskraft mit mehreren Mitarbeitern im Widerstreit ist, schaue ich mir den Vorgesetzten genauer an. In der Regel lohnt es sich nicht, in solchen Situationen zu viel Zeit in Persönlichkeitsentwicklung oder Führungskurse zu investieren.» Meistens sei die einzige Lösung, die Person von ihrer Vorgesetztenfunktion zu entbinden. Das heisse nicht, dass man sich definitiv von diesem Mitarbeiter trenne. Man könne eine neue Rolle für ihn finden, beispielsweise diejenige des Fachexperten, meint Arnold überzeugt.

Er sieht in Konflikten aber durchaus auch Potenzial. Auseinandersetzungen seien wichtig, denn durch solche Reibungen entstehe Energie: Gerade in Veränderungsprozessen seien Konflikte zentral. Man muss allerdings laut Arnold darauf achten, dass sie auf zivilisierte Art und Weise ausgetragen werden. «Wenn Leute für eine Sache und nicht für ihre eigenen Interessen kämpfen, ist das Resultat meist positiv.» Führungskräfte hätten hierbei eine wichtige Rolle. Aber nicht deshalb, weil sie etwa besonders schlau oder allwissend seien, erklärt Arnold. Es liege an ihrer Vorgesetztenfunktion, die es ihnen ermögliche, Konflikte konstruktiv zu lenken oder zu lösen.

Beziehungskonflikte sind verheerend

Auch Albert Vollmer, Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten, betont den positiven Aspekt von Konflikten: Die Forschung zeigt laut Vollmer, dass konstruktive Auseinandersetzungen Innovation, Kreativität und Produktivität positiv beeinflussen sowie die Zusammenarbeit und die Koordination in Teams verbessern können. Man schaue aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf ein Problem und gelange zu alternativen Lösungsansätzen. «Dies sind alles Dinge, die für eine Firma vital sind sowie Personen und Teams weiterbringen», sagt der Dozent und Leiter des CAS Konfliktmanagement in der Arbeitswelt. Anders sehe die Situation aus, wenn es sich um Beziehungskonflikte handle.

Vollmer unterscheidet vier Arten von Konflikten: Aufgabenkonflikte, die unter anderem Leistungserwartungen betreffen, Prozesskonflikte, die sich um Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe drehen, Interessenkonflikte (wie unterschiedliche Lohnvorstellungen) sowie Beziehungskonflikte. Am problematischsten sind im Urteil des Experten Letztgenannte, «weil dabei Emotionen ins Spiel kommen, Verhältnisse angespannt sind, Personen sich aus dem Weg gehen oder sich feindselig gegeneinander verhalten».

Eine Zusammenarbeit ist in solchen Fällen in der Regel nicht mehr möglich, weil das gegenseitige Vertrauen fehlt. Es sind denn auch vor allem Beziehungskonflikte, die in der Arbeitswelt hohe Schäden und Kosten verursachen. Laut einer Erhebung des Kompetenzzentrums Workmed und des Krankenversicherers Swica sind beinahe 60 Prozent aller psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeiten auf Konflikte am Arbeitsplatz zurückzuführen. Es geht um Kränkungen, Verletzungen, Demütigungen oder Frustrationen, die für die Betroffenen psychisch belastend sind und zu erhöhten Fehlzeiten in den Betrieben sowie steigenden Taggeldprämien führen. Rund die Hälfte der Krankgeschriebenen verliert den Arbeitsplatz.

Der anderen Sichtweise Raum geben

Entsprechend zentral ist eine offene, vertrauensvolle Firmenkultur, die ermöglicht, dass Konflikte möglichst früh, sachlich und respektvoll angegangen werden. Laut Timo Müller, Leiter des IKuF – Institut für Konfliktmanagement und Führungskommunikation, gelingt dies unter anderem dadurch, dass die Sichtweise der anderen Partei einbezogen wird und im Gespräch ihren Raum bekommt. Es braucht einen gemeinsamen Nenner, um eine Konfliktlösung zu erarbeiten und eine neue, gemeinsame Zusammenarbeit zu gestalten. Die Konfliktfähigkeit ist denn auch laut dem Konfliktexperten eine der wichtigsten Kompetenzen einer Führungskraft.

Neben der Steuerung und Lenkung von Konflikten – durch Analyse und Gesprächsführung – müsse ein Entscheidungsträger auch abweichende Auffassungen zulassen und aufnehmen können. Elementar ist zudem die Bereitschaft, Kritik anzunehmen. Eine nicht konfliktfähige Führungskraft wird Konflikten unangemessen begegnen und im Unternehmen wirtschaftliche Schäden verursachen. Die Folgen davon sind laut dem Führungskräfte-Trainer Müller Leistungsminderungen, Fehlzeiten und Kündigungen. Im Extremfall können sie Firmen, wie im Falle von Open AI, in eine gefährliche Schieflage bringen.

Druck und Dauerstress sind der ideale Nährboden für toxisches Verhalten

Heike Bruch, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Leadership an der Universität St. Gallen, berichtet, weshalb es in Betrieben immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt.

Heike Bruch, Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Leadership an der Universität St. Gallen. (Bild: PD)

Frau Bruch, Konflikte am Arbeitsplatz nehmen zu, täuscht dieser Eindruck?

Nein, da liegen Sie richtig. Führungskräfte sind heute in unterschiedlichen Rollen gefragt, es gibt enorm viele Veränderungen in der Wirtschaft. Das legt schlechtes Führungsverhalten wie Entscheidungsschwäche, Laisser-faire oder autoritäre Führung schonungslos offen. Damit steigt das Potenzial von Konflikten zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden. Eine zentrale Ursache ist die Beschleunigungsfalle: Inzwischen sind 75 Prozent der Unternehmen überhitzt. Mitarbeitende haben das Gefühl, dass sie am Limit operieren, und befinden sich im Dauerstress. Geschwindigkeit und Druck haben deutlich zugenommen. In einem solchen Modus steigt die Gereiztheit, und Angestellte ziehen sich in ihre Silos zurück. Das ist ein idealer Nährboden für schlechte Führung, toxische Konflikte und destruktives Verhalten.

Was sind die Folgen?

Die Kosten sind immens. In einer Organisation, in der destruktives Verhalten, Egoismus und aktives Gegeneinander vorherrschen, gibt es Widerstände, Machtspiele oder Konflikte, die bis zum Streik oder Arbeitskampf reichen können. Wir haben die Energie in mehr als 1900 Unternehmen gemessen. Und dabei zeigt sich deutlich, dass bei Vorherrschen von korrosiver Energie die Unternehmen nicht nur wirtschaftlich deutlich weniger erfolgreich sind. Ein solches Umfeld beeinträchtigt auch die betriebliche Innovationsfähigkeit oder die Kundenbindung und führt bei den Mitarbeitenden zu psychischer Belastung. Fatal ist es, wenn besonders leistungsstarke Personen und Multiplikatoren sich egoistisch und destruktiv verhalten. Denn solche Leute sind Negativvorbilder: Ihr Verhalten ist ansteckend und verbreitet sich so innerhalb des Unternehmens.

Worum geht es bei diesen Konflikten?

Nicht selten richtet sich der Widerstand gegen Veränderungen. Häufig sind es Change-Prozesse, die den Mitarbeitenden nicht oder nicht ausführlich genug erklärt werden. Oftmals geht es auch um Machtspiele: Vor allem bei Zusammenschlüssen ist es teilweise bedenklich, welches Ausmass an korrosivem Verhalten bei Mitarbeitern und Führungskräften aktiviert wird. Die Ursachen, weshalb Angestellte oder ganze Abteilungen einer Firma gegeneinander arbeiten, liegen nicht selten in konfligierenden Zielen oder darin, dass die finanziellen Anreize gegeneinander ausgerichtet sind. Ausserdem hat besonders seit der Pandemie der Druck stark zugenommen. Wir beobachten eine Art kollektive Überhitzung in Unternehmen. Dies ist eine der Hauptursachen für den fast sprunghaften Anstieg bei destruktiven Konflikten, Spannungen und korrosiven Energien.

Aber braucht es nicht auch ein bestimmtes Mass an Reibung innerhalb eines Unternehmens?

Ja, Konflikte können durchaus positiv sein und zu besseren Lösungen führen. In Hochleistungsunternehmen wird um die richtige Lösung gerungen, es kommen alle Ideen zum Tragen, weil eine positive Feedback- und Fehlerkultur herrscht sowie Diversität und Meinungsvielfalt besonders hoch sind. Aber das Entscheidende ist, dass man auf gemeinsamen Erfolg hinarbeitet. Es herrscht ein hohes Engagement für die Ziele vor und eine starke Kultur des Miteinanders. Bei negativen Konflikten oder korrosiver Energie stehen hingegen Eigeninteressen im Zentrum, es geht nicht um die beste Zielerreichung, und es kommt zu einem zerstörerischen Verhalten.

Wie vermeidet man destruktive Konflikte?

Indem Führungskräfte sich einsetzen für klare Prioritäten und langfristige Ziele, mit denen sich Mitarbeitende identifizieren können. Gelingt es, das Team auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, löst dies eine ungeheuer positive Energie aus. Darüber hinaus gilt es, die Kultur des Miteinanders zu stärken. Wie im Teamsport ist es wichtig, dass es klare Spielregeln gibt und sich alle daran halten. Gute Führungskräfte reagieren früh, wenn im Team egoistisches oder destruktives Verhalten auftaucht. Sie adressieren ein solches Verhalten schnell und investieren umgekehrt viel, um ein Umfeld mit positiver Energie und psychologischer Sicherheit zu fördern.

Nicole Rütti, «Neue Zürcher Zeitung»

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