Wenn Managerinnen und Manager Lego spielen, um Probleme zu lösen Firmen setzen zusehends auf Lego-Spiele, wenn es darum geht, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten oder Konflikte zu schlichten. Sind kreative Team-Building-Events tatsächlich wirksam oder reine Alibiübungen?

Firmen setzen zusehends auf Lego-Spiele, wenn es darum geht, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten oder Konflikte zu schlichten. Sind kreative Team-Building-Events tatsächlich wirksam oder reine Alibiübungen?

Können Legosteine dazu beitragen, Konflikte im Berufsalltag zu lösen? Bild: www_slon_pics auf Pixabay

Zehn Frauen und Männer in Businesskleidung sitzen im Konferenzraum eines Hotels, aufgeteilt in kleinere Gruppen an funktionalen Konferenztischen. Es wird diskutiert, gestikuliert, verhandelt und debattiert. Eine ganz normale Sitzung – wären da nicht die Lego-Steine auf dem Tisch vor ihnen. Die Managerinnen und Manager lösen Aufgaben wie «Baue aus den Einzelteilen vor dir einen Turm und stelle dich deinen Kolleginnen und Kollegen anhand deines Modells vor». Oder: «Veranschauliche mithilfe der Lego-Steine dein Team, die Zusammenarbeit sowie den Know-how-Transfer».

Sollen wir jetzt ernsthaft Lego spielen?

Einzelne Teilnehmer zögern zunächst bei den gestellten Aufgaben, und die Skepsis spiegelt sich in ihren Gesichtern: «Ist das ernst gemeint – wir sollen nun Lego spielen?» Der Moderator Oliver Gabor ist bestrebt, auch die unschlüssigen Teammitglieder abzuholen, motiviert sie und fordert die Gruppe mit den gestellten Aufgaben heraus.

«Versucht den Lego-Teilen Leben einzuhauchen», leitet er die Managerinnen und Manager an. «Ihr müsst nicht einen Ferrari oder den Millennium Falcon, das Raumschiff aus ‹Star Wars›, bauen. Es reicht, wenn ihr erzählen könnt, was eure Konstruktion darstellt.»

Die Teilnehmer präsentieren einander die erstellten Modelle und richten Fragen aneinander. Es wird argumentiert. Die Einzelteile werden zerlegt, neu zusammengesetzt und gegen Ende des Workshops zu einem grösseren Bauwerk zusammengefügt. Das Gruppenmodell der Managerinnen und Manager repräsentiert am Schluss je nach gestellter Aufgabe eine Customer-Journey, also die Beziehung der Kunden zu der Firma und ihren Produkten sowie die Interaktion mit ihnen, die unterschiedlichen Teams des Betriebes oder eine neue Unternehmensstrategie.

Als Lego der Niedergang drohte

Die Methodik des Workshops nennt sich Lego Serious Play. Sie wurde Mitte der 1990er Jahre kreiert, als der damalige Lego-Chef, Kjeld Kirk Kristiansen, für sein Unternehmen nach neuen Methoden für die kreative Strategieentwicklung suchte. Lego befand sich damals in der Krise, war aus der Mode gekommen und glitt angesichts der zunehmenden Konkurrenz durch Game-Boy und andere Computerspiele in die Verlustzone.

Massgeblich an der Entwicklung von Lego Serious Play beteiligt waren Robert Rasmussen, der damalige Leiter der Produktentwicklung von Lego Education, sowie zwei Professoren des Institute for Management Development (IMD) in Lausanne. Lego Serious Play wurde Anfang 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt und ist inzwischen eine offizielle Produktlinie von Lego. Seit 2010 werden sogenannte Facilitators beziehungsweise Moderatorinnen und Moderatoren in der Methode ausgebildet und zertifiziert, die wie Oliver Gabor, Geschäftsführer der Firma Teambeschleuniger, entsprechende Workshops in Eigenregie durchführen.

Wenn die Hände und das Hirn zusammenarbeiten

Ziel von Lego Serious Play ist es, auf spielerische Weise die Kommunikation anzukurbeln und Probleme zu lösen. Das Konzept basiert unter anderem auf der Erkenntnis, dass die Koordination zwischen Hirn und Händen zu einem besseren Verständnis von Problemen und zu pragmatischen Lösungen führt. «Wenn Personen eine Frage mit ihren Händen beantworten müssen, dann kommt einiges zum Vorschein», erklärt Gabor. «Bei der schriftlichen oder der mündlichen Kommunikation halten wir, bewusst oder unbewusst, Dinge zurück.»

«In Lego-Serious-Play-Workshops erhalte ich ehrliche Antworten, manchmal fast zu ehrliche», führt der Trainer aus. Als Beispiel nennt Gabor die grosse Lücke, die manchmal zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung klafft. «Ein Manager erzählte in einem Workshop beispielsweise ausführlich, wie wichtig seine Rolle für das Unternehmen sei und wie viele Verbindungen und Kontakte damit verknüpft seien. Im Modell der Gruppe wurde seine Position jedoch ganz am Rande, in einer Ecke, positioniert mit gerade einmal einer Verbindungslinie. Ein Widerspruch, der Fragen aufwirft.»

Es handle sich oftmals um Wahrheiten, die auf engstem Raum dargestellt würden, ist der Lego-Serious-Play-Moderator überzeugt. Auch eine Geschäftsleitung, die sich in einem Boot sitzend visualisiere, könne einiges über die herrschende Gruppendynamik aussagen. Zieht das Führungsgremium am selben Strang? Gibt es Aussenseiter? Fragen, auf die Gabor aus der Gruppe Antworten herauszukitzeln versucht.

Bei Firmen zusehends beliebt

Lego Serious Play ist auch in der Schweizer Unternehmenswelt angekommen: Die Beliebtheit der Workshops hat zugenommen – nicht zuletzt seit dem Ende der Pandemie, weil Leute sich wieder physisch treffen wollen. Zu den Kunden von Gabor zählen Banken, die Versicherungsgruppe Helvetia, KMU oder auch die IT-Abteilung des Kantons Aargau.

Einen entsprechenden Anlass hat kürzlich auch das Sanitärtechnikunternehmen Urimat Schweiz durchgeführt mit Mitgliedern des Verwaltungsrats sowie der Geschäftsleitung aus der Schweiz und Deutschland. Im Zentrum stand die Schaffung einer gemeinsamen Vision, wie Achim Schröter, der CEO von Urimat, ausführt.

Die Firma hat ihren Hauptsitz in Hombrechtikon und besitzt eine Tochtergesellschaft in Deutschland. Die beiden Einheiten hätten sich in den zurückliegenden Jahren auseinanderdividiert, sagt der Geschäftsführer. «Deshalb wollten wir sie wieder näher zusammenführen und die Zusammenarbeit optimieren.» Der Anlass war somit eine Art Team-Building-Event mit konkreter Aufgabenstellung.

Reine Zeit- und Geldverschwendung?

Doch braucht es neben Eselreiten, Waldbaden oder Über-heisse-Kohle-Laufen nun tatsächlich auch einen Lego-Team-Event? Zumindest für Lego dürfte es sich hierbei um ein lukratives Geschäft handeln: Für ein «pädagogisch hochwertiges Set» von Lego Serious Play bezahlt man schnell einmal 800 Franken.

Und beinahe jede Person kann sich zum Lego-Serious-Play-Facilitator ausbilden lassen, auch ohne eine entsprechende pädagogische oder psychologische Ausbildung. Ein- bis viertägige Kurse reichen hierfür in der Regel aus. Entsprechend variiert auch die Qualität der Kurse. Deshalb rät Gabor Anfängern davon ab, sich ohne weitere Ausbildungen als Leiter von Lego-Serious-Play-Workshops an heikle Themen heranzuwagen.

Es gibt auch grundlegende Kritik, die solchen Team-Building-Events entgegenschlägt. Es sind dabei nicht nur Ereignisse wie jenes bei der Goldbach Group, die Skepsis schüren: Mitte Juni mussten nach einem Teamanlass des Werbevermarkters 13 Personen hospitalisiert werden, weil sie sich bei einem Feuerlauf Verbrennungen zugezogen hatten. Der Kollaborationsforscher und Buchautor Carlos Valdes-Dapena gelangt zu dem Schluss, dass die meisten Team-Building-Aktivitäten der Firmen Zeit- und Geldverschwendung seien.

Während seiner 17-jährigen Tätigkeit beim Konsumgüterhersteller Mars und seiner langjährigen Forschungsarbeit ist er der Frage nachgegangen, welche Faktoren den Schlüssel für eine effektive Zusammenarbeit bilden. Valdes-Dapena fasst seine Ergebnisse in einem Beitrag für das Managementmagazin «Harvard Business Review» folgendermassen zusammen: Zwar würden Aktivitäten wie Bowlingabende und der Besuch eines Kletterparks dazu beitragen, den Gruppenzusammenhalt zu stärken. Die Wirkung sei allerdings sehr kurzfristig, und die Bindung halte dem Druck des leistungsorientierten Tagesgeschäfts nicht stand.

Ursache dafür ist, dass Aufgaben und Verantwortlichkeiten jedes Einzelnen in den meisten Unternehmen klar zugeordnet sind: Individuelle Leistungen werden von Vorgesetzten und Bewertungssystemen belohnt. Kollaboration ist hingegen oftmals ein vages Ziel, für das es keine konkreten Regeln gibt. Sie verwässert die Verantwortlichkeiten und bietet kaum Belohnungen.

Auf die Motivation des Einzelnen kommt es an

Valdes-Dapena rät, sich innerhalb eines Unternehmens oder einer Gruppe zunächst einmal darüber klarzuwerden, welche konkreten Aufgaben eine Zusammenarbeit erfordern. Danach sollten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Liste derjenigen Verhaltensweisen erstellen, die sie erwarten, damit sie die gemeinsamen Verpflichtungen erfüllen können. Rechenschaft und Verantwortung für die gemeinsame Zielerreichung sollten klar geregelt werden.

Teil der Erkenntnisse des Kooperationsforschers ist, dass Angestellte dann zur Zusammenarbeit bewegt werden, wenn sie selbst herausfinden können, wie sich dadurch das Gruppenergebnis verbessern lässt. Teamarbeit erfordert seiner Ansicht nach nicht nur Vertrauen, sondern auch die klare Konzentration auf die Motivation des Einzelnen. Basierend auf seinen Erkenntnissen hat Valdes-Dapena 2018 seine eigene Beratungsfirma gegründet.

Für den Lego-Serious-Play-Moderator Gabor gibt es einen weiteren Grund, weshalb die Teamarbeit oftmals harzt. Eines der grössten Konfliktpotenziale sind seiner Ansicht nach versteckte Erwartungshaltungen. Diese sollten innerhalb der Gruppe explizit geäussert werden.

Als Beispiel nennt er die Präsenzzeit. Wenn die implizite Erwartung vorherrsche, dass bis gegen 17 Uhr 30 gearbeitet werden sollte, ein Mitglied das Büro aber regelmässig deutlich früher verlasse, könne das innerhalb der Gruppe zu Unstimmigkeiten führen. «Frust und schnippische Bemerkungen sind dann oftmals die Folge, dabei wäre es relativ einfach, im Team eine allgemeingültige Präsenzzeit festzulegen», erklärt Gabor.

Die richtige Teamzusammensetzung dank Lego

Methoden wie Lego Serious Play können dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen. Das Gespräch fokussiere sich hierbei auf Modelle und verschiedene Männchen und nicht auf Einzelpersonen oder «Schuldige», sagt Livio Diem, Ingenieur im Bereich Forschung und Entwicklung bei Dormakaba.

Das Unternehmen, das auf Zugangs- und Sicherheitslösungen spezialisiert ist, hat einen Lego-Serious-Play-Workshop durchgeführt, um Teammitglieder für eine geplante neue Geschäftseinheit zu selektionieren. Ziel war es, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gestützt auf ihre Fähigkeiten und Funktionen auf die neue Gruppenstruktur aufzuteilen.

Abteilungsleiter hatten im Vorfeld verschiedene Vorschläge entworfen, die aber bei den Betroffenen auf Widerstand gestossen waren. Einer Gruppe involvierter Angestellter kam nun im Rahmen des Workshops die Aufgabe zu, mithilfe von Lego-Männchen die verschiedenen Gruppenkonstellationen zu analysieren und nach der optimalen Lösung zu suchen.

Ihr Spielraum sei zwar durch die Vorgaben der Vorgesetzten eingeschränkt gewesen, erklärt Diem. Positiv sei aber der Umstand, dass die Abteilungsleiter beim Workshop sich für einmal herausgehalten hätten. Dass die direkt betroffenen Mitarbeiter miteinander interagiert und sich mit möglichen Konstellationen auseinandergesetzt hätten, habe massgeblich zur Akzeptanz der ausgearbeiteten Lösung beigetragen. «Wir haben alle Alternativen durchgespielt und Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lösungsvarianten erörtert», fügt Diem an. Der vom Team präsentierte Plan sei einem zuvor ausgearbeiteten Vorschlag eines Abteilungsleiters sehr nahe gekommen.

Zurück in die Kindheit

Auch Schröter, der CEO von Urimat, beurteilt das Ergebnis des Workshops positiv. Obschon sich das Schweizer und das deutsche Team kulturell stark voneinander unterschieden, habe man sich mit Blick auf die gemeinsame Vision auf zentrale Punkte einigen können – die Zusammenführung des Marketings, mehr Produktinnovation und das Bekenntnis zu einer Expansionsstrategie. Schliesslich habe man die Schwerpunkte zu Papier gebracht und den Mitarbeitern gegenüber kommuniziert. Jetzt befinde sich das Unternehmen in der Umsetzungsphase.

Mit Lego und der Visualisierung könne man viel mehr ausdrücken als in einer «reinen» Diskussion, sagt Schröter. Die Teilnehmer eines solchen Workshops müssten erklären können, was ihre Modelle darstellten und was sie sich dabei gedacht hätten. Man fühle sich auch freier, seine eigene Vision auszudrücken, führt der CEO aus: «Jeder kennt Lego von seiner Kindheit her, die Hemmschwelle ist gering.»

Nicole Rütti, «Neue Zürcher Zeitung»

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