Wie weiblich sind die Führungsetagen von Schweizer Unternehmen? Es kommt darauf an, wie man zählt Schweizer Firmen seien auf dem besten Weg, die Zielwerte zur Parität zu erreichen, verkündete der Führungskräfte-Vermittler Guido Schilling noch im Frühjahr. Ein weiterer Report kommt jetzt zu einem anderen Ergebnis.

Schweizer Firmen seien auf dem besten Weg, die Zielwerte zur Parität zu erreichen, verkündete der Führungskräfte-Vermittler Guido Schilling noch im Frühjahr. Ein weiterer Report kommt jetzt zu einem anderen Ergebnis.

Seit 2020 müssen grosse börsenkotierte Unternehmen im Verwaltungsrat einen Frauenanteil von 30 Prozent haben. Bild: Werner Heiber auf Pixabay

Parität als «Generationenprojekt» – so äusserte sich im März Guido Schilling, als er seinen jährlichen Schillingreport zur Diversität auf Schweizer Führungsetagen vorstellte. Dabei zeigte sich der Führungskräfte-Vermittler optimistisch: Die Schweiz befinde sich in der «Bewusstseinsphase», bis zum Jahr 2035 werde man in den Geschäftsleitungen einen Frauenanteil von 45 Prozent erreichen – und damit fast vollständige Parität.

Ganz andere Töne schlägt jetzt, ein halbes Jahr später, der «Diversity Report Schweiz» des Beratungsunternehmens GetDiversity an. Es bewege sich zu wenig und das wenige zu langsam, schreibt die Herausgeberin Sandra-Stella Triebl im Communiqué zum Bericht. Die Themen Geschlechterdurchmischung und Inklusionskultur seien in den Führungsetagen während der Corona-Jahre in den Hintergrund getreten.

Die Berichte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen

Tatsächlich kommt der Diversity-Report, der mit Daten der Wirtschaftsplattform Moneyhouse arbeitet, in seiner Erhebung zu anderen Ergebnissen als Schilling. Das liegt vor allem an der Zahl der untersuchten Unternehmen: Schilling, der für seine Erhebung die Geschäftsleitungen der hundert grössten Schweizer Unternehmen untersucht, kommt etwa bei den Verwaltungsräten auf eine Frauenquote von 26 Prozent. Der Diversity-Report betrachtet hingegen alle 231 an Schweizer Börsen kotierten Firmen – und kommt dabei zu der Erkenntnis, dass 19 Prozent der Mitglieder in Verwaltungsräten weiblich sind. Bei den Geschäftsleitungen zeigt sich ein ähnliches Bild: Wo Schilling auf 17 Prozent kommt, spricht GetDiversity von 11 Prozent.

Diese neuen Zahlen werfen ein deutlich schlechteres Licht auf das Vorankommen der Schweizer Unternehmen bei der Parität. 2020 führte der Gesetzgeber hierzulande eine Art «Frauenquote light» ein: Grosse börsenkotierte Unternehmen müssen im Verwaltungsrat einen Frauenanteil von 30 Prozent, in der Geschäftsleitung einen von 20 Prozent aufweisen. Sollten sie diese Richtwerte nicht bis 2025 (im Verwaltungsrat) bzw. bis 2030 (in der GL) erreichen, müssen sie im Vergütungsbericht die Gründe dafür angeben und Massnahmen zur Verbesserung darlegen.

Für welche Unternehmen gelten die Richtwerte?

Tatsächlich untersucht keiner der beiden Reporte genau nur diejenigen Firmen, die von der neuen Regelung betroffen sind. Für diese gelten nämlich komplexe Vorgaben. In den Anwendungsbereich der Bestimmung fallen Unternehmen, die in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zwei der folgenden Schwellenwerte überschreiten: eine Bilanzsumme von 20 Millionen Franken, einen Umsatzerlös von 40 Millionen Franken und 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.

Während der Schillingreport die 100 grössten börsenkotierten Firmen untersucht, betrachtet der Diversity-Report alle an Schweizer Börsen kotierten Unternehmen. In der politischen Debatte zur Aktienrechtsreform war jeweils von geschätzt 200 bis 250 Firmen die Rede, die von der Regelung betroffen sein dürften.

98 Prozent der CEO sind Männer

Der Diversity-Report kommt nicht nur insgesamt auf tiefere Werte, sondern zeigt auch einige schwarze Schafe auf: So hatten 81 börsenkotierte Firmen (35 Prozent) zum Stichtag 31. März 2022 keine einzige Frau im Verwaltungsrat. Gerade einmal 11 von 231 Präsidien werden von einer Frau besetzt, das sind 5 Prozent aller Vorsitze.

Auch die Top-Positionen im Management sind fest in Männerhand: Die CEO der börsenkotierten Unternehmen waren 2022 zu 98 Prozent Männer – im Vergleich zum Vorjahr ist das nur ein Prozentpunkt mehr. Insgesamt 133 der 231 untersuchten Firmen werden laut dem Report operativ von reinen Männerteams geführt. 60 dieser Firmen haben auch einen rein männlichen Verwaltungsrat – das entspricht 26 Prozent der börsenkotierten Unternehmen.

Aber auch positive Beispiele werden genannt. So haben sechs Firmen in ihrem Verwaltungsrat die Parität erreicht oder sie sogar überschritten: CI Com, GAM, Cicor Technologies, V-Zug, Valiant und Perfect Holding. 59 Firmen oder 26 Prozent der Unternehmen halten bereits den Geschlechterrichtwert von 20 Prozent für Geschäftsleitungen ein, der in neun Jahren verpflichtend wird.

Ältere Firmen liegen beim Frauenanteil vorne

In einem weiteren Schritt wertet der Diversity-Report alle 8026 Schweizer Aktiengesellschaften mit mehr als 50 Mitarbeitern aus. Hier zeigen sich weitere interessante Einblicke in die Firmen, in denen Frauen Führungspositionen innehaben.

So weisen etwa Unternehmen, die über hundert Jahre alt sind, überraschenderweise den höchsten Frauenanteil im Verwaltungsrat auf. Auch ganz junge Firmen sind vorne dabei. Firmen, die zwischen 10 und 50 Jahre alt sind, haben hingegen einen weniger durchmischten Verwaltungsrat. Zudem sind Unternehmen mit unter 100 und solche mit über 1000 Mitarbeitern tendenziell am meisten durchmischt.

Ebenfalls überraschend ist die Gruppe der Kantone, in denen die meisten Frauen in Verwaltungsräten sitzen: Ganz vorne liegt Appenzell Innerrhoden mit 24 Prozent, es folgen Obwalden (20 Prozent) und Luzern (18 Prozent). Zürich liegt mit rund 15 Prozent bereits im hinteren Bereich.

Die Aussagekraft von solchen Statistiken ist allerdings begrenzt, da gerade in kleineren Kantonen einzelne Firmen mit hohem Frauenanteil mehr Einfluss auf die Statistik haben. Auch dürfte das Alter an sich beziehungsweise die Grösse des Unternehmens wenig Einfluss auf die Durchmischung haben – entscheidender sind Faktoren wie Branche und Unternehmenskultur sowie die Einstellung des Managements. Die «Bewusstseinsphase» ist eben nicht überall gleich ausgeprägt.

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