Der Thermomix für Könner: Ein programmierbarer Topf aus der Schweiz will das Kochen vereinfachen Das Zürcher Startup Wired Cooking hat einen App-gesteuerten Kochtopf entwickelt, der die Temperatur exakt kontrolliert. Das soll nicht nur beim Kochen helfen. Es lassen sich auch Gerichte zubereiten, an denen sich Hobbyköche bisher die Zähne ausbissen.

Das Zürcher Startup Wired Cooking hat einen App-gesteuerten Kochtopf entwickelt, der die Temperatur exakt kontrolliert. Das soll nicht nur beim Kochen helfen. Es lassen sich auch Gerichte zubereiten, an denen sich Hobbyköche bisher die Zähne ausbissen.

Die genaue Temperatur mit dem Handy programmieren und fertig ist die Sauce hollandaise: der Topf des Zürcher Startups Wired Cooking. (pd)
Die genaue Temperatur mit dem Handy programmieren und fertig ist die Sauce hollandaise: der Topf des Zürcher Startups Wired Cooking. (pd)

Spitzenköche werden heute gefeiert wie Pop-Stars, Küchengeräte sind längst nicht mehr bloss Werkzeuge, sondern haben sich zu Statussymbolen entwickelt. Als der Kochautomat-Hersteller Thermomix kürzlich sein neustes Modell enthüllte, geschah das an einer aufwendigen «Reveal Party», an der die Gäste kreischten, ihre Handys zückten und filmten.

Wenn das Schweizer Startup Wired Cooking seine Erfindung präsentiert, geht es bodenständiger zu. Der Co-Gründer Jochen Ganz und der Journalist stehen in den Socken neben dem Kochherd im Haus von Ganz. Dieser erklärt sein Produkt, indem er dem Besucher kurzerhand ein Dreigangmenu kocht.

Der Wired Cooker – zu Deutsch etwa «verdrahtetes Kochgerät» – ist ein doppelwandiger, elektrischer Topf. Eingebaut sind drei Sensoren, welche die Temperatur genau messen. Diese wird über ein Strom- und Datenkabel geregelt, das wiederum mit einer kleinen Box versehen ist.

Die Box kommuniziert via Bluetooth mit dem Smartphone. In der zugehörigen App stellt man die Temperatur und die Kochphasen ein oder lädt vorbereitete Rezepte hinunter. Nach dem Kochen wird der Topf ausgesteckt und kann in die Abwaschmaschine gestellt werden.

Aufs Grad genau

Während herkömmliche Herdplatten nur grobe Leistungsstufen kennen, lässt sich der smarte Kochtopf aufs Grad steuern. Genau 85 Grad für eine Sauce hollandaise? Der Nutzer stellt die Temperatur ein, der Topf hält sie konstant.

Jochen Ganz demonstriert es anhand eines simplen Gerichts: gedünstete Rüebli. Die geschälten Stücke lässt er mit etwas Salz und Butter in den Topf purzeln. Auf seinem Handy wählt er das Rezept. Temperatur: 130 Grad. Kochdauer: 30 Minuten.

Das Resultat: eine Beilage mit feinen Röstaromen – praktisch ohne Risiko des Anbrennens. Die vergleichsweise hohe Temperatur sorgt für eine leichte Karamellisierung, doch weil der Topf nicht überhitzt, bleiben Butter und Gemüse unversehrt. Der Wired Cooker kommt deshalb auch ohne Antihaftbeschichtung aus, was die Pfanne hitzebeständiger und langlebiger macht.

Der intelligente Kochtopf des Zürcher Startups soll aber nicht nur das Kochen vereinfachen. Sondern Gerichte auf den heimischen Tisch bringen, die als Domäne der Spitzengastronomie gelten. Etwa das Onsen-Ei mit seinem cremigen Eigelb, eine japanische Spezialität, die traditionell stundenlang in heissen Quellen gegart wird. Jochen Ganz hat es bereits vorbereitet. Eine Stunde bei genau 64 Grad im Wasserbad, so lautet das Rezept.

Oder das Sous-vide-Garen, bei dem Fisch oder Fleisch im Vakuumbeutel ins Wasserbad gelegt und bei niedriger, konstanter Temperatur gegart wird: Es gilt als technisch anspruchsvoll, Hobbyköche müssen dafür ihre Küche technisch aufrüsten. Der intelligente Kochtopf ermöglicht laut Ganz ein identisches Ergebnis – nur viel einfacher.

ETH-Ingenieure erfinden Kochtopf

Die beiden Gründer sind ETH-Ingenieure. Jochen Ganz baut nach seiner Doktorarbeit zunächst eine Beratungsfirma auf und wird für einige Jahre Technikchef (CTO) bei der Industriegruppe Metall Zug. Irgendwann merkt er: Grossunternehmen sind nicht seine Welt. Er geht, übernimmt eine insolvente Schreinerei, digitalisiert sie und stellt sie neu auf. Heute führt er sie als aktiver Mehrheitsaktionär unter dem Namen Quadra Ligna – mit einem Industrieroboter, acht Mitarbeitenden und einem klaren Fokus: die Renovation historischer Fenster.

Die Idee zum smarten Kochtopf entsteht beiläufig, in Gesprächen mit Bekannten und Profiköchen. Ein erstes Muster ist rasch gebaut, die Resonanz positiv. Doch dann folgt eine zähe, drei Jahre dauernde Phase der Industrialisierung. Die ersten Prototypen funktionieren nicht wie berechnet. Also zerlegt sie Ganz mit dem Winkelschleifer, um den Fehler zu finden.

Zweieinhalb Jahre auf dem Markt

Besonders die Suche nach einem Hersteller für den Chromstahltopf erweist sich als schwierig: Alle bekannten Pfannenhersteller in Europa winken ab. Erst über persönliche Kontakte in China wird Ganz fündig. Zwei Freunde betreiben in Shenzhen eine Ingenieurfirma. Sie vermitteln nicht nur einen Hersteller, sondern überwachen bis heute die Produktion und sichern die Qualität.

Inzwischen ist der Wired Cooker seit zweieinhalb Jahren in der Schweiz auf dem Markt, seit kurzem gibt es ihn auch in Deutschland und Österreich. Die Verkaufszahlen sind solide, doch die Markteinführung bleibt eine Herausforderung.

Der Wired Cooker will das Kochen vereinfachen, aber nicht automatisieren. (PD)
Der Wired Cooker will das Kochen vereinfachen, aber nicht automatisieren. (PD)

Das liegt nicht zuletzt am Produkt selbst: Ein Kochtopf, der fast aussieht wie ein ganz normaler Topf, aber über eine App gesteuert wird. Der so viele unterschiedliche Dinge kann, dass man rasch den Überblick zu verlieren droht. Gezielte Werbung ist schwierig: Die einen kaufen ihn, um Schokolade zu schmelzen. Die anderen, um damit den Wachs für ihr Waxing-Gerät zu verflüssigen. Die einen nutzen ihn als hochpräzise Fritteuse, die anderen als Reiskocher.

Immerhin: Wer den Topf einmal nutzt, gibt ihn offenbar kaum mehr her. Nach dem Kauf kann man ihn drei Monate lang testen und bei Nichtgefallen zurückgeben. «Doch das macht niemand», sagt Jochen Ganz.

«Keine Bevormundung»

Der Wired Cooker richtet sich nicht an Menschen, die das Kochen delegieren möchten. «Keine Bevormundung», heisst es in der Eigenwerbung – ein Seitenhieb auf Geräte wie den Thermomix. Diese führen Schritt für Schritt durch das Rezept und automatisieren den Kochprozess weitgehend. So halten sie ihre Besitzer möglichst vom Geschehen fern, damit diese das Resultat nicht durch unnötige Interventionen vermasseln.

Die App des Wired Cooker dagegen urteilt nicht darüber, wie dunkel die Zwiebeln genau sein sollen oder ob der Fisch noch etwas Salz braucht. Das macht Jochen Ganz selbst, während er dem Besucher erläutert, wie hartnäckig sich Irrtümer über das Kochen halten. Nachdem er die Zwiebeln gedünstet hat, gart er den Risotto innert 15 Minuten bei genau 101 Grad fertig. Dabei rührt er den Reis nicht ein einziges Mal um. Auch die Bouillon gibt er nicht portionenweise zu, sondern am Anfang auf einen Schlag.

Für viele ambitionierte Köche ist das ein ähnlich grosses Sakrileg, wie in Italien nach dem Abendessen Cappuccino zu trinken. Cremig und bissfest wird Ganz’ Risotto trotzdem.

Glücklicherweise interessieren sich laut Ganz mehr und mehr Menschen dafür, was wirklich hinter dem Kochen steckt und wie man mit wissenschaftlichem Verständnis bessere Resultate erzielt. An der ETH Zürich zieht die Veranstaltungsreihe «Cook the Science» regelmässig ein grosses Publikum an. Dort erklären Professoren und Spitzenköche gemeinsam, was beim Schlagen von Rahm, beim Kneten von Teig oder beim Garen von Fleisch physikalisch geschieht und warum es bei der Temperatur auf jedes Grad ankommt. Genau wie beim Wired Cooker.

Jürg Meier, «Neue Zürcher Zeitung»

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