Ab Oktober gilt es mit dem EU-Klimazoll ernst – viele Firmen sind schlecht vorbereitet Die von der EU beschlossene CO2-Importsteuer lässt sich in der Theorie plausibel begründen. Die Umsetzung in der Praxis kann aber Handelskonflikte und hohen administrativen Aufwand bringen.

Die von der EU beschlossene CO2-Importsteuer lässt sich in der Theorie plausibel begründen. Die Umsetzung in der Praxis kann aber Handelskonflikte und hohen administrativen Aufwand bringen.

Der EU-Klimazoll soll Produktionsverlagerungen energieintensiver Branchen wie der Zementindustrie vorbeugen. (Foto: Chuttersnap auf Unsplash)

Das Klimaproblem ist global. Als wesentliche Quelle gilt der Ausstoss von Treibhausgasen, namentlich CO2. Die optimale Antwort im Theoriebuch ist eine globale Lenkungsabgabe auf den Ausstoss solcher Treibhausgase in Höhe der von den Gasen verursachten Klimakosten – oder ein globaler Handel mit Zertifikaten für den Ausstoss von Treibhausgasen.

Doch die theoretisch naheliegende Antwort war bisher nicht mehrheitsfähig; die Meinungen und auch der Wohlstand der einzelnen Länder gehen zum Teil weit auseinander. Zudem gehen auch die Schätzungen über die gesellschaftlichen Kosten der CO2-Emissionen stark auseinander; die Bandbreite reicht von weit unter 100 Franken pro Tonne bis zu über 1000 Franken. Anstelle globaler Lösungen gibt es daher eine Vielzahl unterschiedlicher regionaler und nationaler Antworten via Lenkungsabgaben und/oder durch Handelssysteme für Emissionszertifikate.

Ins Auge sticht das EU-Handelssystem. Dieses deckt rund 40 Prozent des Gesamtausstosses von Treibhausgasen in der EU ab. Die Preise bewegten sich dieses Jahr zwischen 80 und 100 Euro pro Tonne CO2. Importeure sollen künftig den gleichen Preis bezahlen. Das hat die EU beschlossen. Das Instrument dazu heisst Klimazoll, Steuer auf CO2-Importen oder Grenzausgleichsmechanismus. Zahlt ein Produzent in der EU 100 Euro pro Tonne CO2-Ausstoss und ein Konkurrent aus einem Drittstaat zahlt in seinem Land viel weniger oder gar nichts für seinen Ausstoss, wird das Konkurrenzprodukt beim Import in die EU mit der Differenz belastet.

Mittel gegen Verlagerungen

Das Instrument ist aus administrativen Gründen vorderhand beschränkt auf besonders energieintensive Produkte: Zement, Eisen/Stahl, Aluminium, Dünger, Wasserstoff, Elektrizität. Hinzu kommen gewisse nachgelagerte Produkte namentlich im Chemiesektor. Bewährt sich das System, dürfte es Erweiterungen geben.

Dieser EU-Klimazoll soll Wettbewerbsverzerrungen aufgrund Unterschieden in der Abgabenbelastung lindern und damit auch die Abwanderung von energieintensiven Sektoren in Drittstaaten verhindern; solche Verlagerungen würden dem Weltklima nichts bringen, aber dem europäischen Produktionsstandort schaden.

EU-Importe aus der Schweiz unterstehen nicht dem Klimazoll, da das Schweizer Handelssystem für Emissionszertifikate mit jenem der EU verknüpft ist; somit gibt es keinen Anlass für eine Ausgleichssteuer. In der Schweiz fordern Parlamentarier ebenfalls einen Klimazoll, doch der Bundesrat hat sich diesen Juni in einem Bericht dagegen ausgesprochen. Laut Bundesrat brächte das Instrument für die Schweiz nur einen kleinen Nutzen, erhebliche Vollzugskosten und handelsrechtlichen Ärger.

Die Forschungsliteratur fand bisher gemäss dem Schweizer Bericht keine klaren Hinweise auf Produktionsverlagerungen wegen Differenzen in den CO2-Preisen. Ein Forschungsüberblick des wissenschaftlichen Diensts des EU-Parlaments hat diesen Juni festgestellt, dass ein Klimazoll Produktionsverlagerungen zum Teil verhindern könne, aber die Auswirkungen auf den globalen Ausstoss von Treibhausgasen bescheiden seien.

Zum Effekt des EU-Handelssystems für Emissionszertifikate auf Standortentscheide liegen noch keine langfristig belastbaren Aussagen vor. Denn bisher gab es erhebliche Gratiszuteilungen von Emissionszertifikaten, und die besonders energieintensiven und handelsexponierten Akteure erhielten 100 Prozent ihrer Zertifikate kostenlos – zwecks Verhinderung der Abwanderung solcher Aktivitäten ins Ausland.

Klimapolitisch erscheint es allerdings skurril, wenn ausgerechnet die energieintensiven Sektoren ihre Emissionszertifikate nicht bezahlen müssen. Die Einführung des Klimazolls erlaubt der EU das Zurückfahren dieser Gratiszuteilungen. Beides passiert stufenweise und im Gleichschritt – ab Anfang 2026 bis 2034.

Obwohl der Klimazoll erst ab 2026 zu beissen beginnt, wird es für betroffene Unternehmen schon ab Anfang des nächsten Monats ernst. Dann beginnt bereits die Übergangsphase mit Erfassungs- und Meldepflichten für betroffene Firmen bezüglich ausgestossener Treibhausgase bei der Herstellung importierter Produkte. Zu erfassen sind nebst den direkten Emissionen auch indirekte Emissionen aus der Herstellung des für die betroffenen Produkte verwendeten Stroms. Im August hat die EU-Kommission Regeln über diese Pflichten publiziert. Die Verordnung der EU-Kommission dazu umfasst mit Anhängen gut 100 Seiten. Der Leitfaden für Importeure und jener für Produzenten aus Drittländern sind zusammen über 360 Seiten dick.

Schlecht vorbereitet

Die EU-Kommission kam in ihrer Regulierungsfolgeabschätzung auf überschaubare Umsetzungskosten, doch in der Wirtschaft sieht man dies zum Teil anders. Der Geschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie in Deutschland sprach jüngst auf Linkedin von einem «bürokratischen Wahnsinn». Eine Erhebung im Auftrag der Beratungsfirma Deloitte diesen Sommer bei rund 500 potenziell betroffenen Importeuren in Deutschland lässt mutmassen, dass manche Betroffene Überraschungen erleben werden. 60 Prozent der Befragten kannten das Konzept des EU-Klimazolls noch nicht, und von denen, die es kannten, bereitete sich nur knapp die Hälfte auf die bald kommenden Meldepflichten vor.

Von jenen, die das Konzept kannten, rechneten fast 60 Prozent mit negativen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens. Nur rund 18 Prozent erwarteten positive Wirkungen. Dies illustriert, weshalb die Haltungen in der Wirtschaft zum Klimazoll zum Teil auseinandergehen. Das gilt auch für die Schweiz, wo etwa die energieintensive Zementindustrie zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition einen helvetischen Klimazoll will, während die Maschinenindustrie einen solchen Zoll wegen Befürchtungen über höhere Beschaffungskosten ablehnt.

In der EU haben sich grosse Wirtschaftsverbände und auch der europäische Dachverband BusinessEurope nicht grundsätzlich gegen einen Klimazoll gewehrt. Die genannten Hauptanliegen der Unternehmen betrafen nebst der Minimierung des administrativen Aufwands vor allem ein möglichst langes Fortbestehen der Gratiszuteilungen für Emissionszertifikate sowie das Vermeiden eines internationalen Handelskonflikts.

Durch WTO-Regeln gedeckt?

Diverse Drittstaaten wie etwa China, Indien, die Türkei und Südafrika haben der EU Protektionismus unter dem Deckmantel der Klimapolitik vorgeworfen. Laut der EU-Kommission ist der beschlossene Klimazoll konform mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Im Prinzip kann ein Klimazoll zulässig sein, wenn er Importprodukte nicht gegenüber gleichen Produkten aus dem Binnenmarkt diskriminiert und gleiche Importgüter aus unterschiedlichen Ländern nicht untereinander diskriminiert.

Ein Knackpunkt liegt in der Definition von «gleichen» Produkten. Ob zwei Produkte mit gleichem Verwendungszweck, aber unterschiedlicher CO2-Intensität in der Herstellung im WTO-Sinn als «gleich» oder «ungleich» zu betrachten sind, ist laut Fachleuten nicht restlos klar. Unabhängig davon wäre der EU-Klimazoll gemäss mehreren Analysen vermutlich durch die Ausnahmeklausel in den WTO-Regeln für den Schutz von Umwelt und Gesundheit abgedeckt. Trotzdem wird die ausländische Kritik am eigenständigen Vorgehen der EU kaum rasch verschwinden.

Hansueli Schöchli, Brüssel, «Neue Zürcher Zeitung»

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