Die enorme Inflation verhagelt den Menschen die Konsumlaune und reisst die deutsche Wirtschaft in eine Rezession Hohe Preise für Energie und Lebensmittel, Diskussionen über die teure Wärmewende und geopolitische Unsicherheiten. Den Menschen und Unternehmen ist die kurzzeitige Partylaune nach der Corona-Pandemie vergangen. Wird wenigstens das zweite Halbjahr besser?

Hohe Preise für Energie und Lebensmittel, Diskussionen über die teure Wärmewende und geopolitische Unsicherheiten. Den Menschen und Unternehmen ist die kurzzeitige Partylaune nach der Corona-Pandemie vergangen. Wird wenigstens das zweite Halbjahr besser?

 

Verschnupfte Konsumenten: Die hohen Preise bei Lebensmitteln, Energie und anderen Gütern drücken auf die Kauflust vieler Deutscher. Bild: unsplash

Es knirscht gewaltig im Gebälk der deutschen Wirtschaft. Das liegt derzeit vor allem daran, dass die enorme Inflation den Menschen die Konsumlaune verdirbt. Wer in zahlreichen wichtigen Lebensbereichen mit immer höheren Preisen konfrontiert ist, der wird vorsichtiger und hält das Geld zusammen. Zudem kämpfen auch Unternehmen mit den hohen Preisen, vor allem für die Energie. Diese Entwicklung spiegelt sich immer stärker im Bruttoinlandprodukt (BIP), denn die deutsche Wirtschaft ist nun doch in eine Rezession gerutscht. Auch für den Rest des Jahres besteht wenig Hoffnung auf einen Umschwung.

Erst die hohe Inflation, dann die Zinswende

Im ersten Quartal ist die Wirtschaftsleistung laut dem Statistischen Bundesamt um 0,3 Prozent zurückgegangen gegenüber dem Vorquartal, in dem sie bereits um 0,5 Prozent geschrumpft war. Damit ist die Winterrezession perfekt. Von einer Rezession spricht man häufig dann, wenn das BIP in zwei oder mehr Quartalen hintereinander gesunken ist. Ende April waren die Statistiker in einer Schnellschätzung noch von einer «schwarzen Null» im ersten Quartal für das Wachstum ausgegangen. Dieses Szenario hat sich nun verflüchtigt.

Unter der Last der immensen Inflation sei der deutsche Konsument in die Knie gegangen und habe die gesamte Volkswirtschaft mit sich gerissen, sagte Andreas Scheuerle, Ökonom bei der Deka-Bank. Wie viele seiner Kollegen erwartet er keine signifikante Wende zum Besseren. Zwar würden die inflationären Belastungen langsam abklingen, dafür würden jedoch jene der restriktiven Geldpolitik wachsen. «Das Gift der Inflation wird mit dem Gegengift hoher Zinsen bekämpft.»

Auch der Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer blickt pessimistisch auf den Rest des Jahres. Für das zweite Halbjahr erwartet er einen erneuten Rückgang des BIP. Dann würden die Auswirkungen der globalen Zinswende zunehmend spürbar. In der Euro-Zone und Deutschland war die Inflation im vergangenen Jahr auf die höchsten Werte seit Jahrzehnten gestiegen, woraufhin die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen in kurzer Zeit sehr stark angehoben hat. Dieser Prozess, der noch nicht zu Ende ist, dient dem Kampf gegen die Inflation durch eine Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit.

Wachstum in anderen grossen EU-Ländern

Laut dem Statistischen Bundesamt sind die privaten Konsumausgaben zwischen Januar und März aufgrund der starken Preissteigerungen um 1,2 Prozent zurückgegangen. Das dürfte auch mit sinkenden Reallöhnen zu tun haben. In Deutschland sanken die Löhne nach Abzug der Inflation bereits in den vergangenen Jahren. Dieser Trend hat gemäss den Statistikern trotz Bruttolohnsteigerungen über 6,9 Prozent im ersten Quartal angehalten, denn die Teuerung lag bei satten 7,3 Prozent.

Die nachlassende Konsumlust zeigte sich vor allem bei Nahrungsmitteln und Getränken, Bekleidung und Schuhen sowie bei Autos und Einrichtungsgegenständen. Die Einzelhandelsumsätze waren jüngst so stark gesunken wie seit langem nicht mehr. Negativ wirkten sich auch die Reduktion der Förderung von Elektrofahrzeugen und der Wegfall von Kaufprämien für Plug-in-Hybride zum Jahresbeginn aus. Zudem ist der staatliche Konsum ebenfalls um knapp 5 Prozent gesunken, beispielsweise durch die Schliessung der Corona-Testzentren.

 

Neben der hohen Inflation und der Zinswende dürften auch andere Faktoren den Deutschen aufs Gemüt drücken. Die voraussichtlich hohen Kosten der Energie- und Wärmewende, der ungewisse Fortgang des Ukraine-Krieges und die zunehmenden Spannungen mit China gehen an den Menschen nicht spurlos vorüber. Das Tief bei der Konsumentenstimmung ist jedoch immerhin schon durchschritten. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) verzeichnete es im Herbst und misst seitdem eine deutliche Aufhellung, wenngleich der entsprechende Index immer noch auf einem sehr tiefen Niveau notiert.

Die deutsche Wirtschaft entwickelt sich derzeit schlechter als jene von anderen grossen Ländern in Europa sowie der EU insgesamt. So kletterte das BIP in Italien und Spanien um 0,5 Prozent, in Frankreich um 0,2 Prozent und in der EU ebenfalls um 0,2 Prozent. Auch die Vereinigten Staaten hatten im ersten Quartal ein leichtes Wachstum von 0,3 Prozent verzeichnet. Das Land ist als Exportnation besonders abhängig vom internationalen Handel, von funktionierenden Lieferketten und geopolitischen Entwicklungen.

Es gibt aber auch positive Signale in Deutschland. So legten die Bauinvestitionen wegen der guten Witterung im ersten Quartal deutlich zu. Das Gleiche galt für Investitionen in Ausrüstungen wie Maschinen, Geräte und Fahrzeuge sowie mit Abstrichen für den Aussenhandel. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen, denn die Aussichten bleiben trübe. Das gilt besonders für die Unternehmen.

Signifikante Wirtschaftserholung erst 2024

Die konjunkturellen Frühindikatoren zeigen inzwischen nämlich einheitlich nach unten. Am Mittwoch war zum Beispiel der Geschäftsklimaindex des Ifo-Instituts erstmals seit sechs Monaten wieder gefallen. Vor allem im verarbeitenden Gewerbe hat sich das Geschäftsklima merklich verschlechtert. Doch auch die Subindizes für den Handel und das Bauhauptgewerbe sanken. Lediglich der Dienstleistungssektor notierte nahezu unverändert.

In eine ähnliche Richtung deuten die deutschen Einkaufsmanagerindizes. Der Teilindex für die Dienstleistungen steht zwar immer noch bei stattlichen 57,8 Punkten und hält den Gesamtindex dadurch deutlich über der Marke von 50 Zählern. Werte über 50 deuten auf ein Wachstum der Wirtschaft, Werte darunter auf eine Schrumpfung. Der Teilindex für das verarbeitende Gewerbe bricht jedoch seit Monaten geradezu ein und hat jüngst mit knapp 43 Punkten das vierttiefste Niveau der vergangenen 15 Jahre erreicht.

Im zweiten Quartal könnte es nun zwar eine leichte Erholung der Konjunktur geben, für das Gesamtjahr bleiben Ökonomen wie erwähnt jedoch pessimistisch. Der Ifo-Chef Clemens Fuest rechnet für das laufende Jahr mit kaum mehr als einer Stagnation. Eine durchgreifende Erholung der Wirtschaft könne dann hoffentlich im Jahr 2024 folgen. Aus konjunktureller Warte dürfte 2023 jedoch ein verlorenes Jahr werden.

Michael Rasch, Frankfurt, «Neue Zürcher Zeitung»

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