Lohnt sich das China-Geschäft noch? Die Stimmung unter Schweizer Firmen ist so schlecht wie nie Ständige Lockdowns, geopolitische Spannungen, Wirtschaftskrise: Zahlreiche Unternehmen aus der Schweiz überdenken ihr Engagement im Reich der Mitte.

Ständige Lockdowns, geopolitische Spannungen, Wirtschaftskrise: Zahlreiche Unternehmen aus der Schweiz überdenken ihr Engagement im Reich der Mitte.

 

Der zweimonatige Lockdown in Schanghai hat bei vielen Unternehmen Spuren hinterlassen. Bild: unsplash

Seit sechzehn Jahren erheben die Interessenvertretungen der schweizerischen Unternehmen in China Daten zum Vertrauen der Firmen in den chinesischen Markt sowie zu den Investitionsplanungen. Doch so ernüchternd wie bei der jüngsten, im Juni durchgeführten Umfrage fielen die Ergebnisse noch nie aus.

So erwarten 22 Prozent der befragten Firmen für das laufende Jahr deutlich niedrigere Umsätze im China-Geschäft als im Jahr zuvor. Bei der vorangegangenen, Anfang Jahr durchgeführten Umfrage waren es nur 2 Prozent gewesen. Im Gegenzug rechnen nur noch 38 Prozent der Unternehmen für das Jahr 2022 mit steigenden oder deutlich steigenden Umsätzen. Anfang Jahr hatte der entsprechende Anteil noch bei 71 Prozent gelegen.

«Die diesjährige Umfrage ist beispiellos, seit wir 2006 mit solchen Studien begonnen haben», sagt Nicolas Musy, Delegierter des Verwaltungsrats der Swiss Centers Group, einer Plattform, die Schweizer Unternehmen beim Markteinstieg in Asien unterstützt. Die vorangegangene Erhebung Anfang des Jahres habe das bis anhin höchste Geschäftsvertrauen verzeichnet. «Mitte des Jahres zeigte die Folgeumfrage einen dramatischen Einbruch der Zuversicht auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen», so Musy. Die am Freitag vorgestellte Umfrage wurde unter anderem von der Swiss Centers Group, der Hochschule St. Gallen und der Swisscham China erstellt.

Zero Covid verdirbt das Geschäft

Hauptursache für das rapide geschwundene Vertrauen der Schweizer Firmen in den einstigen Zukunftsmarkt ist die Zero-Covid-Politik des Staats- und Parteichefs Xi Jinping. Die wiederkehrenden Lockdowns mit Unterbrechungen von Lieferketten und Massentests machen immer mehr Firmen das Leben schwer. Eine Zäsur war ohne Zweifel der zwei Monate währende Lockdown in Schanghai im April und Mai. Dazu kommen geopolitische Spannungen und die Konjunkturschwäche in China. Die Immobilienkrise verdirbt beispielsweise dem Aufzugshersteller Schindler das Geschäft. Insgesamt rund tausend Unternehmen aus der Schweiz sind in China aktiv.

Fast 80 Prozent der befragten Firmen erwarten negative Auswirkungen auf ihr Geschäft durch die auch bei chinesischen Experten umstrittene Zero-Covid-Strategie. Erstmals erwägt ausserdem ein substanzieller Anteil der Firmen, die China-Aktivitäten zu reduzieren. 15 Prozent der befragten Unternehmen planen, ihre Investitionen zurückzufahren oder ihr China-Geschäft komplett zu schliessen.

Das Vertrauen in den Erfolg des China-Geschäfts befindet sich mit 5,9 auf einer Skala von 1 bis 10 ebenfalls auf einem historischen Tiefststand. Bei der vorangegangenen Erhebung Anfang Jahr lag das Vertrauen noch bei 7,4.

Auch Firmen anderer Länder sind pessimistisch

Die pessimistischen Erwartungen der schweizerischen Firmen zum China-Geschäft decken sich mit den Ergebnissen jüngster Umfragen der deutschen Auslandhandelskammer, der Amerikanischen Handelskammer sowie der Europäischen Handelskammer in China. Es ist in erster Linie die Zero-Covid-Politik, die dazu führt, dass immer mehr Firmen ihr Engagement im Reich der Mitte auf den Prüfstand stellen. Erst gerade entlassen die Behörden die 21 Millionen Einwohner der zentralchinesischen Stadt Chengdu aus einem mehrere Wochen dauernden Lockdown.

Experten sind sich darin einig, dass der wirtschaftliche Schaden der Zero-Covid-Politik inzwischen den Nutzen bei weitem übertrifft. Allein die Covid-Tests unter der Bevölkerung Schanghais sollen während des zweimonatigen Lockdowns gemäss Schätzungen pro Tag umgerechnet 40 Millionen Dollar verschlungen haben. Der wirtschaftliche Schaden für die Stadt soll bei umgerechnet 46 Milliarden Dollar pro Monat gelegen haben.

Vor allem wegen der Covid-Politik rechnen Analytiker für das laufende Jahr nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von weniger als 3 Prozent. Die einstige Lokomotive der Weltwirtschaft droht zum kranken Mann der Welt zu werden, und Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht. Mit einer allenfalls vorsichtigen Lockerung der Zero-Covid-Politik ist frühestens Mitte kommenden Jahres zu rechnen.

Matthias Kamp, «Neue Zürcher Zeitung»

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