NZZ-KMU-Barometer: Schweizer Firmen klagen über den Fachkräftemangel, doch das grösste Problem sehen sie an einem anderen Ort Die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen ist überzeugt, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit im laufenden Jahr werden verbessern können. Ältere und Frauen finden bei ihnen offene Türen. Dennoch sind die Firmen auf die Personenfreizügigkeit angewiesen.

Die Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen ist überzeugt, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit im laufenden Jahr werden verbessern können. Ältere und Frauen finden bei ihnen offene Türen. Dennoch sind die Firmen auf die Personenfreizügigkeit angewiesen.

(Illustration: Simon Tanner / NZZ)

Sie sind das Rückgrat des Schweizer Wohlstands: In der Schweiz haben 99 von 100 Firmen weniger als 250 Mitarbeiter, sind also KMU. Wie es diesen geht, wie sie die Wirtschaftslage einschätzen und wo sie der Schuh drückt, steht selten im Zentrum der öffentlichen Debatte. Die «Neue Zürcher Zeitung» hat deshalb zusammen mit der Kalaidos-Fachhochschule bereits zum vierten Mal das NZZ-KMU-Barometer erstellt. Befragt wurden dafür 303 Teilnehmer des Swiss Economic Forum (SEF), das diesen Donnerstag und Freitag wieder von NZZ Connect in Interlaken durchgeführt wird.

Im Wettbewerb gestählt

Das NZZ-KMU-Barometer unterscheidet vier Gruppen von Kriterien, welche je Werte zwischen –100 (alle Firmen erwarten in allen Kriterien eine deutliche Verschlechterung) und +100 (alle Firmen gehen in allem von einer deutlichen Verbesserung aus) annehmen können. Der Index der eigenen Stärken ist 2024 gegenüber dem Vorjahr etwas weniger optimistisch ausgefallen und bewegt sich wieder auf dem Niveau von 2022. Gleichzeitig werden aber beim Wirtschaften mit dem Ausland und bei den lokalen Rahmenbedingungen weniger starke Verschlechterungen erwartet, was dieses Jahr zu einem knapp positiven Gesamtindex von 1,6 führt.

Was die eigenen Fähigkeiten und Stärken angeht, zeigen sich die schweizerischen KMU über die Jahre hinweg in bemerkenswert guter Verfassung. 59 Prozent erwarten für 2024, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter stärken können. 43 Prozent gehen davon aus, dass sich damit auch ihre eigene wirtschaftliche Situation verbessern wird. Nur 9 Prozent befürchten einen Rückgang ihrer Wettbewerbsfähigkeit und 12 Prozent eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation.

Allerdings waren die Führungskräfte der KMU vor einem Jahr noch optimistischer. Damals hatten 67 Prozent eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und 47 Prozent eine Stärkung ihrer eigenen Situation prognostiziert. Diese Euphorie nach der Pandemie erwies sich als überzogen. Rückblickend berichten noch 42 Prozent der KMU, dass sich ihre eigene wirtschaftliche Situation 2023 verbessert hat. Auch das ist immer noch ein beeindruckender Wert.

Das Aufkommen von künstlicher Intelligenz ist für die Firmen ein Topthema. 70 (im Vorjahr 60) Prozent sind der Meinung, dass sie in den nächsten fünf Jahren deswegen ihr Geschäftsmodell anpassen müssen. 59 (45) Prozent wollen ihre Forschungsanstrengungen verstärken.

Verantwortlich für die insgesamt gedämpften Aussichten der KMU für 2024 sind Verschlechterungen bei der Währungssituation, dem steuerlichen Umfeld, der Schweizer Standortattraktivität, der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal und den gesetzlichen Regulierungen.

Die Gesetzesflut bereitet den KMU in der Schweiz seit drei Jahren immer grössere Sorgen. 2024 sind die Regulierungen zum Kriterium geworden, bei dem die grössten Verschlechterungen erwartet werden – noch vor der Verfügbarkeit von Personal. Dies deckt sich mit einer neuen Umfrage von Economiesuisse, bei der ein Zehntel der Firmen angaben, die Überregulierung schmälere ihre Wachstumsmöglichkeiten.

Wahrnehmungsdifferenzen bei Europa und der Zuwanderung

Die Ergebnisse des NZZ-KMU-Barometers sollten die Politik besser nicht gleichgültig lassen. Nicht nur die zunehmenden Sorgen über das regulatorische Umfeld und die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal sprechen nämlich dafür, dass die befragten Firmen den Standort Schweiz wesentlich weniger positiv sehen als ihre eigene Zukunft. Neu zählen dieses Jahr 46 Prozent das unklare Verhältnis zur EU zu ihren drei grössten geopolitischen und makroökonomischen Sorgen; gut ein Zehntel mehr als noch 2023.

Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Firmen haben Arbeitskräfte aus der EU angestellt, davon drei Viertel für hochqualifizierte Tätigkeiten. 48 Prozent geben als Grund an, dass sie ganz spezifische Qualifikationen gesucht haben, die sie in der Schweiz nicht finden.

Über die Hälfte der Firmen (57 Prozent) bezeichnen die Personenfreizügigkeit mit der EU als für sie zentral. Und nicht weniger als 58 Prozent halten die hohe Zuwanderung in der Schweiz für unproblematisch. Verfolgt man die politische Diskussion um das Verhältnis zur EU und zu den laufenden bilateralen Verhandlungen, so zeigt sich hier eine bemerkenswerte Wahrnehmungsdifferenz. Wenn den Unternehmen die Personenfreizügigkeit so wichtig ist, täten sie wohl gut daran, dies besser zu erklären und mehr dafür zu werben.

Offene Türen für Ältere und Frauen in Führungspositionen

Dazu könnte beispielsweise der demonstrierte Wille gehören, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszunutzen. Im öffentlichen Diskurs ist jedenfalls immer wieder von den Mühen der über 50-Jährigen die Rede, eine neue Stelle zu finden. Und die Gewerkschaften werden nicht müde zu behaupten, eine Erhöhung des Referenz-Rentenalters sei unmöglich, da die Arbeitgeber die Alten sowieso nicht mehr haben wollten.

Doch in der diesjährigen Befragung zum NZZ-KMU-Barometer 2024 zeigen sich die Firmenvertreter bemerkenswert offen gegenüber älteren Arbeitnehmenden. Gut drei Viertel aller Firmen sagen, sie hätten in den vergangenen drei Jahren über 50-Jährige angestellt. Unter den KMU sind dies 71 Prozent, bei den grossen Unternehmen gar 90 Prozent. Nicht weniger als 85 Prozent der befragten Führungskräfte beteuern, Personen über 50 hätten in ihrer Firma Chancen auf eine Neuanstellung (8 Prozent stellen dies in Abrede). 80 Prozent erklären, sie seien bereit, Personen auch nach Erreichen des Pensionsalters weiterzubeschäftigen.

Inwieweit das aus der Sicht der Führungskräfte Wünschbare zu allzu rosigen Antworten führt, ist schwer zu sagen. Statistisch gesehen ist die Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen in der Schweiz tatsächlich etwas tiefer als bei den 25- bis 49-Jährigen. Allerdings dauert die Stellensuche bei den Älteren im Durchschnitt länger.

Besser als oft dargestellt scheint die Situation in den Schweizer Firmen auch für Frauen zu sein, die an Führungspositionen interessiert sind. Gut die Hälfte der Firmen geben an, in den vergangenen drei Jahren Frauen in der Geschäftsleitung angestellt zu haben. Und nicht weniger als drei Viertel haben offenbar Frauen in anderen hohen Führungspositionen angestellt. «Tue Gutes und sprich darüber» könnte da im gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Umfeld und angesichts der kontroversen Zuwanderungsdebatte keine schlechte Richtschnur sein.

Peter A. Fischer, Chefökonom der «Neuen Zürcher Zeitung»

SEF 2024 in Interlaken

Am 6. und 7. Juni 2024 findet das Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken statt. Die Schweizer Wirtschaftskonferenz wird dieses Jahr zum 26. Mal durchgeführt, und zwar unter dem Motto «When the Going Gets Tough». Es werden rund 1300 Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik erwartet, die sich zum aktiven, konstruktiven Meinungsaustausch und branchenübergreifenden Dialog treffen – mit einem Ziel: die Schweiz gemeinsam in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

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