SEF 2022: «Am Anfang spielte ich nach den Regeln der anderen, später habe ich sie geändert» Simona Scarpaleggia ist die Gewinnerin des diesjährigen Ehrenpreises für Frauen der Wirtschaft anlässlich des Swiss Economic Forum. Als CEO von Ikea Schweiz hat sie sich mit kreativer Frauenförderung einen Namen gemacht. Heute führt die 60-Jährige ihre Mission bei einem Beratungsunternehmen für Gleichstellung weiter.

Simona Scarpaleggia ist die Gewinnerin des diesjährigen Ehrenpreises für Frauen der Wirtschaft anlässlich des Swiss Economic Forum. Als CEO von Ikea Schweiz hat sie sich mit kreativer Frauenförderung einen Namen gemacht. Heute führt die 60-Jährige ihre Mission bei einem Beratungsunternehmen für Gleichstellung weiter.

 

Simona Scarpaleggia, Gewinnerin des Ehrenpreises im Rahmen der SEF Women Award 2022. (Bild: PD)

Zu ihrem Lebensthema kam Simona Scarpaleggia bereits zu Beginn ihres Berufslebens. Bei ihrer ersten Stelle als Leiterin Gewerkschaftsbeziehungen beim Mailänder Mischkonzern Montedison war die Italienerin in einer Männerumgebung gelandet und oft die einzige Frau im Raum. Wichtige Meetings wurden oft erst auf oder nach 18 Uhr angesetzt. «Wenn man nicht teilnahm, war man niemand», erinnert sich Scarpaleggia. Auffällig war für sie sofort, dass die beruflichen Fähigkeiten von Frauen weniger geschätzt wurden. Frauen hätten nie als «high potential» gegolten, höchstens als guter Performer. Scarpaleggia arbeitete, nahm wahr und reflektierte.

«Zu Beginn hatte ich keine grosse Wahl», sagt sie heute. In den ersten fünf Jahren habe sie nach den Regeln der anderen gespielt. «Doch als ich selbst Verantwortung übernahm, habe ich die Regeln geändert.» Und das mit grossem Erfolg. Für ihr Engagement hat Simona Scarpaleggia den diesjährigen Ehrenpreis für Frauen am Swiss Economic Forum erhalten.

Eine komplette Umkehr im Mindset

Die Gelegenheit, die Pfosten auf dem Spielfeld zu verschieben, kam zunächst beim Konsumgüterkonzern Sara Lee und dann bei Ikea. Scarpaleggia liess sie nicht ungenutzt verstreichen. Im Jahr 2000 war sie als Personalmanagerin bei Ikea Italien eingestiegen, durchlief verschiedene Funktionen und Positionen und wurde 2010 Geschäftsführerin von Ikea Schweiz. Lohngleichheit und ein 50-Prozent-Anteil von Frauen auch im Management zählen zu ihren wichtigsten Errungenschaften.

Ab 2012 führte die CEO 80- und teilweise auch 60-Prozent-Pensen für Führungskräfte ein. «Das war eine Revolution.» Zuvor sei die allgemeine Wahrnehmung gewesen, dass Teilzeitkräfte nicht wirklich engagiert seien. «Mit der Einführung von Management in Teilzeit haben wir die Wahrnehmung geändert. Es gab eine komplette Umkehr im Mindset.»

Scarpaleggia erinnert sich an eine schwangere Mitarbeiterin, die meinte, ihre Stelle kündigen zu müssen. Als Chefin machte sie der Mitarbeiterin klar, dass sie auch als Mutter bei Ikea geschätzt werde und eine Perspektive habe. Bei der zweiten Schwangerschaft stellte die Mitarbeiterin ihre berufliche Zukunft nicht mehr infrage; stattdessen wurde sie nach ihrer Rückkehr befördert. «Sie ist wirklich sehr gut, es wäre schade gewesen, sie zu verlieren», fügt Scarpaleggia an.

Erinnerungen wie diese zählt Scarpaleggia zu ihren persönlichen Highlights. Man spürt, dass es ihr umso mehr gefällt, «Gutes zu tun für die Leute und das Unternehmen», wenn nicht das eine auf Kosten des anderen geht, sondern sich beides gegenseitig beflügelt.

Die Haltung, überkommene Sichtweisen zu hinterfragen und die Ambitionen der Mütter nicht abzuschreiben, ist bei ihr immer wieder zu spüren. Scarpaleggia ist es deshalb ein Anliegen, auch die Kandidaten oder Kandidatinnen für Teilzeitstellen nach ihren Karrierewünschen zu fragen und nicht einfach selbstredend davon auszugehen, dass diese passé sind.

Das Angebot zum Teilzeit-Management nahmen bei Ikea übrigens nicht nur Frauen an, sondern auch überraschend viele Männer. Häufig sei der Grund gewesen, so die ehemalige Ikea-Chefin, dass dies ihren Partnerinnen erlaubt habe, mehr Zeit in die eigene Karriere zu stecken.

Heute ist die ehemalige Ikea-Schweiz-Chefin davon überzeugt, dass sich Teilzeit (mit einem 80- oder 60-Prozent-Pensum) auf jeder Führungsstufe einrichten lässt. «Ich denke es, weil ich es weiss», so die Überzeugungstäterin.

Ärger über verschwendetes Potenzial

Scarpaleggia verknüpft ihre Mission für die Frauen gern mit wirtschaftlicher Logik. Für sie steht fest, dass ein ökonomischer Wert darin liegt, Frauen weder wissentlich noch unbewusst zu benachteiligen. Es sei ein Verlust für Organisationen, auf qualifizierte Frauen zu verzichten. Und es sei ein Verlust für die Gesellschaft, betont sie mit Nachdruck, da Investitionen in Bildung und Ausbildung verlorengingen.

Die Managerin ärgert sich darüber, dass es in der Schweiz viele sehr qualifizierte Frauen gebe, die in Minipensen von 20 oder 30 Prozent arbeiteten. Schliesslich hätten auch die Steuerzahler die Ausbildung mitfinanziert. Auch aus diesem Grund sei ungenutztes Potenzial von Frauen eine Verschwendung.

Die Schuld dafür ortet Scarpaleggia aber nicht bei faulen Frauen. Sie fordert stattdessen im Einklang mit einem leicht linken Mainstream günstigere und umfassende Möglichkeiten der Kinderbetreuung, ferner Mittagsbetreuung in den Schulen und ein Steuersystem ohne negative Anreize für Doppelverdiener. «Arbeiten zu gehen, sollte nicht so kompliziert sein.»

Ihre Mission für eine inklusive Arbeitswelt mit gleichgestellten Geschlechtern setzt Scarpaleggia heute als Verwaltungsrätin des Beratungsunternehmens Edge fort, zu dem sie 2020 nach einem kurzen Intermezzo bei der globalen Organisation von Ikea stiess.

Edge zertifiziert Unternehmen im Hinblick auf die Umsetzung von Geschlechtergleichheit und eine generell inklusive Ausrichtung. Gemessen werden verschiedene Komponenten für die Gleichstellung der Geschlechter. Dazu zählen die Repräsentation, also der Anteil Frauen oder Männer in einem Unternehmen bzw. auf den unterschiedlichen Hierarchiestufen, die Lohngleichheit und Massnahmen zur Inklusion.

Insgesamt, so Scarpaleggia, gäben die Komponenten ein rundes Bild, und man sehe, wo ein Unternehmen stehe. Dabei geht es ihr aber nicht nur um das Zertifikat als Status quo, sondern um die Ambition von Unternehmen, tatsächlich Gleichstellung zu erreichen. Das Ganze sei ein Prozess, und das dahinterstehende Verhalten werde im Laufe des Prozesses zur Norm, so die Verwaltungsrätin von Edge. Dazu zählen beispielsweise Richtlinien, die eine ausgewogene Auswahl an Kandidaten für die Einstellung und die Beförderung vorsehen. Dass am Ende jede zweite Stelle an eine Frau vergeben wird, gehört hingegen nicht dazu.

Der Istzustand sei die Basis, auf der sich das Unternehmen Ziele setzen und Fortschritte messen könne. Gegen den Vorwurf, mit dieser Agenda zu «woke» zu sein, wehrt sich Scarpaleggia vehement. «Ich unterstreiche, dass diese Massnahmen keine Alternative zum Geschäftserfolg sind, im Gegenteil.» Und: «Ich bin überzeugt, dass Diversität ein echter Hebel für das Geschäft ist.» Ein Grund dafür sei, dass Unternehmen aus einem grösseren Pool rekrutierten; andernfalls übersehe man zwangsläufig viele Talente.

Talente von fünf Generationen verbinden

Als wichtige Führungsaufgabe in den kommenden Jahren sieht Scarpaleggia das Generationen-Management. Erstmals arbeiten fünf klar unterschiedliche Generationen in den Unternehmen: die Veteranen, die Babyboomer sowie die Generationen X, Y und Z.

Scarpaleggia sieht viel Potenzial darin, die jeweilige Lebensphase der Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Viele junge Menschen seien sehr flexibel und bereit, viel zu investieren. Mitarbeitende in der Familienphase hätten dagegen mehr Erfahrung, seien aber zeitlich weniger flexibel. Wieder flexibler werde es dann bei den «empty nesters», deren Kinder bereits ausgeflogen seien. Jede Generation bringe unterschiedliche Qualitäten ein, meint Scarpaleggia. Diese auf eine gute Weise zu verbinden, zahle sich für ein Unternehmen aus.

Jungen Leuten empfiehlt sie, nicht irgendwo zu bleiben, wenn die Umgebung nicht stimme. «Dann muss man sich etwas anderes suchen.» Rückblickend auf ihre eigene Situation stellt die dreifache Mutter inzwischen erwachsener Kinder fest, dass es für sie am Anfang ihrer Karriere in einer anderen Umgebung einfacher gewesen wäre. «Aber ich kämpfte für die Möglichkeiten», sagt sie, die ganz offensichtlich nicht einfach hinnimmt, was sie vorfindet.

Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»

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