SEF 2022: «Fehler macht man täglich», so Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz Seine steile politische Karriere nahm Ende 2021 ein abruptes Ende. Rückblickend will der erst 35-Jährige nichts bereuen. Der ehemalige Aussenminister glaubt auch nicht, dass man Russland anders hätte behandeln sollen. Aber hinterfragt habe er sich täglich.

Seine steile politische Karriere nahm Ende 2021 ein abruptes Ende. Rückblickend will der erst 35-Jährige nichts bereuen. Der ehemalige Aussenminister glaubt auch nicht, dass man Russland anders hätte behandeln sollen. Aber hinterfragt habe er sich täglich.

 

Er sei das gar nicht mehr gewohnt, stöhnt der politische Jungstar Sebastian Kurz kokettierend, als ihn am SEF in Interlaken eine Moderatorin und ein Moderator gemeinsam in die Mangel nehmen. (Bild: PD)

Mit 24 Jahren wurde er Staatssekretär, mit 27 Aussenminister, mit 31 österreichischer Bundeskanzler – und erst 35-jährig trat er Ende vergangenen Jahres wegen Korruptionsvorwürfen zurück. Erst kürzlich verkündete er, mit der Politik abgeschlossen zu haben und eine Karriere in der Wirtschaft anzustreben. In den etwas mehr als zehn Jahren seiner politischen Tätigkeit ist Sebastian Kurz weit über Österreich hinaus als mitunter polarisierende Ausnahmeerscheinung aufgefallen. Zum Abschluss des Swiss Economic Forums (SEF) in Interlaken gab er Einblick in sein politisches Denken und stellte sich auch persönlichen Fragen.

Von Putin überrascht – aber gegen eine Eskalation

Wie schon zu Beginn des SEF dominierte damit auch am Schluss die Frage nach dem richtigen Umgang mit Russland. Seine Erfahrung sei, dass wenn etwas schlecht laufe, nachher häufig alle klüger seien, sagte dazu der österreichische Ex-Kanzler. Kurz hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin mehrmals und den russischen Aussenminister Sergei Lawrow regelmässig getroffen.

Niemand habe vorausgesagt, dass Russland die Ukraine überfallen und bis nach Kiew vordringen wolle, sagt Kurz in Interlaken. Er selber habe das bis zuletzt für unmöglich gehalten, da er Putin als sehr rational eingeschätzt habe und das strategische Interesse Russlands an einer solchen Invasion nicht gesehen habe. Er könne es sich bis heute auch nicht erklären.

Kurz erinnert sich, dass Putin und Lawrow regelmässig über das Vordringen der Nato geklagt und behauptet hätten, sie fühlten sich dadurch bedroht. Doch er habe darauf jeweils geantwortet, dass die Nato erstens ja bloss ein Verteidigungsbündnis sei und er zweitens der Ansicht sei, dass jedes Land selber wählen können müsse, mit wem es welche Bündnisse eingehe.

Hätte man nach 2014 gegenüber Russland weniger konziliant sein müssen und damit den heutigen Konflikt verhindern können? Kurz, der sich generell als ein Vertreter des Dialogs mit allen Seiten zu erkennen gibt und auch den Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko als seinen Freund bezeichnet, bezweifelt dies. Für den österreichischen Ex-Kanzler steht nun die Frage im Vordergrund, wie man aus dem gegenwärtigen Krieg in der Ukraine und seinem Leid wieder herauskommt.

Kurz hält Putin auch heute nicht für irrational. Aber er scheint ihm zuzutrauen, einen dritten Weltkrieg mitsamt atomarem Konflikt loszutreten, sollte er zu sehr in die Ecke gedrängt werden. Am SEF gab Kurz deshalb seiner Hoffnung Ausdruck, dass in den Istanbuler Gesprächen Fortschritte erzielt werden, die eine weitere Eskalation verhindern. Allerdings hält auch er eine baldige formelle Übereinkunft zwischen Kiew und Moskau mitsamt territorialen Zugeständnissen für wenig wahrscheinlich. Er rechnet eher mit einem Wechsel zu einem lange anhaltenden, mehr oder weniger eingefrorenen Konflikt.

Kurz, der damit dem Lager derjenigen europäischen (Ex-)Politiker zuzuordnen ist, die einen schnellen Frieden dem Versuch vorziehen würden, Russland mit Härte und militärischer Unterstützung zurückzudrängen, warnte in Interlaken auch vor einer Zweiteilung der Welt. Er sei ein grosser Freund der Globalisierung und des Miteinanders, erklärte er. Man müsse auch beachten, dass viele Staaten ausserhalb der transatlantischen Achse den Krieg in der Ukraine als ein europäisches Problem sähen, in das sie sich nicht einmischen wollten.

Keine Gründe für ein Abrücken von der Neutralität

Österreich und der Schweiz empfiehlt Kurz «als Privatmann», bei ihrer Neutralität zu bleiben. Es brauche Länder, die sich als Ort für Dialog und Gespräche anbieten könnten und Brückenbauer seien, gibt er sich überzeugt. Die völkerrechtliche Definition der militärischen Neutralität biete genügend Raum, um politisch klar Stellung zu beziehen, Sanktionen mitzutragen und Kooperationen einzugehen.

Auch wenn Kurz betont, seine politische Karriere abgeschlossen zu haben und sich über ein neues Leben in der Privatwirtschaft zu freuen, lässt er keinen Zweifel daran, dass er ein politisch denkender Mensch mit geopolitischen Interessen bleibt. Damit erklärt er auch, dass er als Berater unter anderem des libertären amerikanischen Tech-Investors Peter Thiel weiter Politiker im Nahen Osten und in aller Welt trifft.

Zu den Korruptionsvorwürfen gegen ihn sagt Kurz, er sei von seiner Unschuld absolut überzeugt. Es habe aber in seiner ganzen Karriere immer viele Leute gegeben, die ihn loswerden wollten und deshalb heftige Vorwürfe gegen ihn erhoben hätten. Das sei nichts Neues. Sein politisches Engagement sei schön gewesen, aber nicht immer lustig.

Kurz scheint nichts zu bereuen und will jedenfalls nichts formulieren, was er im Nachhinein als Fehler ansieht. Gleichzeitig sagte er in Interlaken aber: «Fehler macht man täglich. Sonst kann man gar keine Entscheidungen treffen und wäre wohl am falschen Platz.» Aber hinterfragt habe er sich stets.

Seine Zeit als Kanzler sei immer spannend gewesen. Er sei ein begeisterungsfähiger Mensch, der sich gerne in Teams voll einsetze. Sonst werde ihm rasch langweilig. Nun darf man gespannt sein, wie er als Berater in der Wirtschaft für Spannung sorgen will. Näheres dazu wollte er sich auch in Interlaken noch nicht entlocken lassen.

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