Wirtschaftsvertreter wehren sich gegen die Regulierungswelle: «Wir führen einen Papierkrieg gegen den Klimawandel» Schweizer Firmen müssen ab nächstem Jahr ihre Klimarisiken offenlegen. Doch der grosse Regulierungsschub kommt erst noch. Treiber ist die EU. Bei Verstössen sollen Manager künftig persönlich haften.

Schweizer Firmen müssen ab nächstem Jahr ihre Klimarisiken offenlegen. Doch der grosse Regulierungsschub kommt erst noch. Treiber ist die EU. Bei Verstössen sollen Manager künftig persönlich haften.

Staats- und Regierungschefs der Welt nach ihrem Gruppenfoto während der UN-Klimakonferenz COP28 in der Expo City Dubai am 1. Dezember 2023. (Foto: COP28 / Neville Hopwood)

Der Sommer am Mittelmeer wird zum Glutofen, vor Miami heizt sich das Meer auf knapp 39 Grad auf, Stürme setzen halb Pakistan unter Wasser. 2023 war das heisseste Jahr der Geschichte. 1,4 Grad lag die Durchschnittstemperatur über dem vorindustriellen Zeitalter. Die Ziele des Pariser Klimaabkommens von 2015 sind nur noch Makulatur. Die Klimakonferenz COP 28 in Dubai dürfte daran kaum etwas ändern.

Die Wirtschaft ist da schon weiter. Verdrängen geht nicht mehr. Wie verändert der Klimawandel die Geschäftsgrundlage von Firmen? Wie kommen Konzerne wie Nestlé oder Lindt & Sprüngli noch zu ihren Rohstoffen? Sind die Zementöfen von Holcim noch konkurrenzfähig, wenn die CO2-Abgabe steigt?

Ab nächstem Jahr müssen Schweizer Firmen solche Fragen in ihren Nachhaltigkeitsberichten beantworten. Eine neue Verordnung verlangt, dass börsenkotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Rechenschaft ablegen, wie der Klimawandel ihr Unternehmen beeinflusst.

Doch auch die Wirtschaft ist noch weit davon entfernt, die Auflagen zu erfüllen. Die Beratungsfirma Enfinit und das Fintech Pelt8 haben 40 Unternehmen – darunter die Schwergewichte Nestlé, Novartis und Roche – unter die Lupe genommen. Resultat: In der Offenlegung zeigen sich grosse Lücken.

Firmen legen Klimarisiken erst rudimentär offen

Das Thema Nachhaltigkeit ist gemäss der Studie zwar bei zwei Dritteln der Firmen auf der obersten Führungsebene angekommen. Wenn es aber darum geht, die konkreten Folgen des Klimawandels abzuschätzen, hapert es. Vor allem kleine Unternehmen legen ihre Klimarisiken bislang nur rudimentär offen. Ein blinder Fleck sind für die meisten Firmen auch die Kosten, die der Umbau auf eine Netto-Null-Wirtschaft mit sich bringt.

«Unsere Analyse zeigt, dass nur eine Minderheit Informationen offenlegt, die zeigen, welche Implikationen Klimarisiken auf ihre Strategie haben», sagt Enfinit-Chefin und Studienautorin Quendresa Rugova. «Die Investoren wollen aber wissen, in welchem Ausmass Klimarisiken die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens beeinträchtigen können.» Hier bestehe Nachholbedarf.

Schweizer Sonderweg bei Klimaberichterstattung

Die Pflicht zur Klimaberichterstattung ist Teil des Gegenvorschlages zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI), der vor drei Jahren vom Volk angenommen wurde, aber am Ständemehr scheiterte. Zum Paket gehören auch Berichte zu Nachhaltigkeit, Kinderarbeit und heiklen Mineralien wie Gold und Zinn.

Bei Wirtschaftsvertretern hält sich die Begeisterung in Grenzen. Sie hatten im Abstimmungskampf um die KVI eine EU-kompatible Regulierung gefordert, mit der Kimaberichterstattung beschreitet die Schweiz aber einen Sonderweg.

«Ich sehe nicht ein, warum wir den Musterschüler spielen», sagt Peter Gehler, Verwaltungsratspräsident des Pharmaunternehmens Siegfried. Die Schweiz sei sonst schon teurer als der Rest Europas. Nun würden die Firmen zusätzlich belastet. «Die Umsetzung braucht Spezialisten und Berater, das sind finanziell relevante Aufwände», sagt Gehler.

Regulierungswelle aus Brüssel

Was Wirtschaftsvertreter besonders stört: Die Klimaberichterstattung dürfte bereits in wenigen Jahren überholt sein. Denn die Regulierungswelle türmt sich erst richtig auf. Tempomacher ist die EU. Sie hat letztes Jahr eine neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verabschiedet, eine weitere zu Sorgfaltspflichten steht kurz vor dem Abschluss.

Sie sind viel umfassender, detaillierter und weitreichender als die Schweizer Regulierung. Die Firmen müssen etwa beschreiben, welche negativen Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte ihre Geschäftstätigkeit hat, was sie dagegen tun und wie sie das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen. Die Berichte müssen extern geprüft werden, bei Verstössen werden die Verantwortlichen öffentlich genannt und gebüsst.

Dagegen ist die heutige Schweizer Berichterstattung nur Stückwerk. Der Bundesrat will bis nächsten Sommer eine Vorlage ausarbeiten, um die Schweizer Regulierung EU-kompatibel zu machen. Bereits beschlossen ist, dass künftig wie in der EU schon Firmen mit 250 Mitarbeitern betroffen sind.

Noch viel einschneidender sind die Sorgfaltspflichten, die die EU vorsieht. Sie beschränken sie nicht auf einzelne Aspekte wie Kinderarbeit und Konfliktmineralien, sondern erstrecken sich auf sämtliche Menschenrechts- und Umweltaspekte.

Manager und Verwaltungsräte haften persönlich

So müssen die Firmen Beschwerdeverfahren einrichten, damit NGO und betroffene Personen Verstösse melden können. Über die Einhaltung wacht eine unabhängige nationale Aufsichtsbehörde, die Inspektionen durchführen und Sanktionen aussprechen kann. Manager und Verwaltungsrat haften persönlich.

Wie die Schweiz auf die Verschärfung der Sorgfaltspflichten in der EU reagieren wird, ist noch völlig offen. Grosse Firmen mit Töchtern in der EU d¨ürften keine andere Wahl haben, als die dortige Regelung zu übernehmen. Auch kleine Firmen müssen die Vorgaben umsetzen, wenn sie weiter in die EU liefern wollen. Im Unterschied zu EU-Firmen, die bei der Umsetzung mit staatlicher Unterstützung rechnen können, müssen sie die Kosten wohl aber alleine schultern.

In der Wirtschaft geht die Angst vor einem teuren Regulierungsmonster um. «Immer neue Auflagen erzeugen Zusatzkosten, welche die Unternehmen nicht an die Kunden weitergeben können und die ihre dünnen Margen weiter schmälern», kritisiert Ivo Zimmermann, Sprecher des Industrieverbandes Swissmem. Wer die Vorgaben nicht erfülle, riskiere den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und Sanktionierungen durch Kunden.

Wirtschaftsvertreter kritisieren Mehraufwand

Alexander Keberle, Bereichsleiter Umwelt beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, stellt sich nicht grundsätzlich gegen die Offenlegung. Transparenz sei zentral, um die Wirtschaft auf den Pfad der nachhaltigen Entwicklung zu bringen, sagt er. «Nur so kann der Markt seine Aufgabe erfüllen.»

Er stellt aber die Frage, ob der Aufwand verhältnismässig sei. «Wenn am Ende die CO2-Bilanz jeder Schraube eine eigene Dokumentation braucht, lähmen wir unsere Unternehmen und frustrieren die Arbeitnehmenden.» Zudem fehlten die Mittel anderswo, sagt Keberle: «Statt Zeit und Geld in Fortschritte und Innovation zu investieren, führen wir immer mehr einen Papierkrieg gegen den Klimawandel.»

Die KVI-Promotoren wittern hingegen Morgenluft. Sie arbeiten bereits an einer neuen Initiative, um den Druck auf den Bundesrat zu erhöhen, das EU-Regime auch bei den Sorgfaltspflichten zu übernehmen, wie die Tamedia-Zeitungen diese Woche berichteten. «Noch mehr Hochglanzbroschüren sorgen leider nicht dafür, dass Konzerne die Menschenrechte wirklich einhalten und die Umwelt nicht zerstören», sagt Alt-Mitte-Nationalrat und Mitinitiant Dominique de Buman. Deshalb brauche es Haftungsbestimmungen und Sanktionsmöglichkeiten. «Eine unabhängige Aufsicht und die Möglichkeit auf Schadenersatz würden hier einen entscheidenden Unterschied machen», sagt de Buman.

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