Abfall klimaneutral entsorgen: Ist das überhaupt möglich? Schweizer Abfallverwerter wollen künftig nicht nur Müll, sondern auch das CO2 entsorgen, das bei der Verbrennung entsteht. Doch Transport und Speicherung des Klimagases sind eine enorme Herausforderung.

Schweizer Abfallverwerter wollen künftig nicht nur Müll, sondern auch das CO2 entsorgen, das bei der Verbrennung entsteht. Doch Transport und Speicherung des Klimagases sind eine enorme Herausforderung.

Das CO2, das Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen ausstossen, soll künftig im Ausland gespeichert werden. (Foto: Goran Basic / NZZ)

Abfall klimaneutral zu entsorgen, das geht eigentlich nicht – dazu müssten die Verbrennungsanlagen abgeschaltet werden. Das wiederum würde bedeuten, dass der Siedlungsabfall wieder auf Deponien entsorgt werden müsste. Deponien jedoch produzieren riesige Mengen an Methan – ein Gas, das noch schädlicher für das Klima ist als CO2.

Was also tun, um trotzdem klimaverträglich zu werden? Robin Quartier, Geschäftsführer des Verbands der Betreiber der Schweizer Abfallverwertungsanlagen, sagt: «Wir brauchen eine Technologie, die es ermöglicht, CO2 aus dem Kreislauf zu ziehen – in der Abfallentsorgung, aber auch in anderen Industrien, in denen eine Dekarbonisierung fast nicht möglich ist.»

Dieser Ansicht ist auch die Internationale Energieagentur (IEA): Sie betont in einem Bericht, dass es unmöglich sein wird, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen ohne den Einsatz von Technologien, die CO2 aus Abgasen abscheiden. «Carbon Capture and Storage» (CCS) heisst das Zauberwort. Die Idee dahinter: Lässt sich die Entstehung von CO2 nicht vermeiden, soll es stattdessen den Abgasen entzogen und unterirdisch gespeichert werden.

Mit insgesamt 7 Millionen Tonnen Emissionen pro Jahr, die sich nicht eliminieren lassen, rechnet der Bund in der Schweiz für das Jahr 2050, mehrheitlich aus der Zementindustrie, der Abfallverbrennung und der Landwirtschaft. Will die Schweiz trotzdem das Netto-Null-Ziel erreichen, müssen diese verbleibenden Emissionen andernorts ausgeglichen werden.

Pionieranlage in Zürich

Wie das gehen könnte, wollen in der Schweiz als Erste die Abfallverwerter unter Beweis stellen. Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) etwa will die 22 000 Tonnen CO2, die bei der Verbrennung des Klärschlamms anfallen, künftig nicht mehr einfach in die Luft ablassen. Rund 90 Prozent der Emissionen sollen stattdessen mit einer entsprechenden Anlage abgeschieden und verflüssigt werden. Ein Potenzial von weiteren 9000 Tonnen weist die auf demselben Areal befindliche Biogas-Aufbereitungs-Anlage auf. Da der Klärschlamm Teil des natürlichen Kohlestoffkreislaufes ist, gilt das bei seiner Verbrennung verursachte CO2 als klimaneutral. Wird dieses abgeschieden und langfristig gespeichert, kann die Menge in der Treibhausgasbilanz sogar als negative Emission gutgeschrieben werden.

«Wir wollen diese neue Technologie erst einmal am Markt testen – um sie dann in ein paar Jahren in viel grösserem Umfang in der Abfallverbrennung einzusetzen», sagt René Estermann, Umweltschutzdirektor der Stadt Zürich. Er rechnet damit, dass die vergleichsweise kleine Menge an CO2 in der Schweiz eine Abnahme findet – etwa indem es in Recycling-Beton gespeichert wird, wie ihn die Berner Firma Neustark herstellt.

Werden indes grössere Mengen abgeschieden, wird das Klimagas im Ausland gespeichert werden müssen. Und das ist ein diffiziles Vorhaben. «Solange nicht feststeht, wer unser CO2 abnimmt – und zu welchem Preis es transportiert und gelagert wird –, können wir nicht in grosse Abscheideanlagen investieren», sagt der Abfallverwerter Robin Quartier. Man stehe jedoch in engem Kontakt mit ausländischen Anbietern von CO2-Lagerstätten und Logistikunternehmen.

Estermann plant in Kürze eine Reise nach Skandinavien; er will dort sondieren, wo das Zürcher CO2 dereinst langfristig gelagert werden könnte. Weit fortgeschritten ist etwa das norwegische Speichervorhaben Northern Lights, an dem die Energieunternehmen Equinor, Shell und Total beteiligt sind. Bereits 2025 sollen dort für europäische CO2-Emittenten riesige Speicherkapazitäten unter dem Meeresboden zur Verfügung gestellt werden. Auch andere Länder wie die Niederlande, Dänemark, Grossbritannien, Island und Italien planen, in den kommenden Jahren in grossem Stil in die CO2-Speicherung einzusteigen.

Doch es ist ungewiss, ob die Schweiz von dieser Entwicklung profitieren kann: «Länder, die Speicherkapazitäten auf ihrem Territorium erschliessen, reservieren diese Kapazitäten für ihre eigene Industrie», sagt Quartier. An Schweizer CO2 sei kaum jemand interessiert, zumal es über weite Strecken transportiert werden müsse, mit einer logistischen Infrastruktur, die noch nicht einmal zur Verfügung stehe. «Das macht die Suche nach einem geeigneten Speicherort zu einer Herausforderung.»

Auf die CCS-Technologie setzen indes auch Abfallverwerter aus anderen Regionen der Schweiz. So plant etwa die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Linth im Kanton Glarus, bis 2030 eine Abscheideanlage für mindestens 100 000 Tonnen CO2 pro Jahr in Betrieb zu nehmen. Die Betreiber haben in einer Studie bereits aufgezeigt, dass eine Auswaschung von CO2 aus der Abluft in dieser Grössenordnung machbar ist. Insgesamt betragen die Emissionen der KVA rund 2 Millionen Tonnen, was etwa 5 Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Schweiz entspricht.

Wird die Abscheidungsanlage realisiert, erfüllt die Entsorgungsbranche das Kernziel einer Vereinbarung, die sie im vergangenen Jahr mit der damaligen Bundesrätin Simonetta Sommaruga abgeschlossen hat. Gemäss dem Fahrplan muss die Finanzierung bis 2025 geklärt sein. Bis 2035 soll dann die Abscheidungskapazität auf jährlich 400 000 Tonnen gesteigert werden. Zudem soll parallel dazu eine Infrastruktur aufgebaut werden, damit das abgeschiedene CO2 abtransportiert und für immer gespeichert werden kann.

Schweiz für Speicherstätten wohl ungeeignet

Dass eine solche Speicherstätte auch in der Schweiz geschaffen werden könnte, ist derweil ferne Zukunftsmusik. Das Bundesamt für Energie (BfE) schätzt, dass ein solcher geologischer Speicher frühestens in 15 bis 20 Jahren betriebsbereit sein wird. Beim Bund ist dazu ein nationales Programm zur Erkundung des Untergrunds in Arbeit. Erste Arbeiten dazu haben bereits begonnen: So wird in einem nicht mehr benötigten Bohrloch der Nagra geprüft, ob darin ein Test zur Injektion von CO2 möglich wäre.

Cyrill Brunner vom Institut für Atmosphären und Klimawissenschaften an der ETH Zürich dämpft indessen allzu hohe Erwartungen. «Auch wenn es erste Abschätzungen gibt, wissen wir noch zu wenig darüber, ob die Geologie in der Schweiz für eine Speicherung geeignet ist.» Vermutlich müsse CO2 auch in Zukunft in grösserem Umfang transportiert und im Ausland gelagert werden. Brunner hat zusammen mit dem Verband Swisscleantech einen Bericht verfasst, der darlegt, was es braucht, um das Thema CO2-Entfernung in der Schweiz voranzubringen.

In den kommenden Jahren wird das verflüssigte Treibhausgas noch ausschliesslich per Bahn und Schiff an den Lagerstandort befördert werden. Gemäss dem Bund wird es aber kaum möglich sein, pro Jahr mehr als eine Million Tonnen CO2 auf Schiene und Strasse zu transportieren. «Es müssen deshalb – europäisch koordiniert – Pipelines von der Quelle bis zur Lagerstelle gebaut werden», sagt der Wissenschafter. So sind in Deutschland derzeit erste Netze geplant. Laut Brunner ist es entscheidend, dass die Vorhaben früh international koordiniert werden. Der Bund führe bereits entsprechende Gespräche.

David Vonplon, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: