Dänemark stösst die Schweiz vom Thron des wettbewerbsstärksten Landes der Welt Im jährlich erscheinenden Ranking des International Institute for Management Development (IMD) über die wettbewerbsstärksten Länder der Welt schwingt erstmals Dänemark obenaus. Den Ausschlag gaben unternehmerische Agilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Im jährlich erscheinenden Ranking des International Institute for Management Development (IMD) über die wettbewerbsstärksten Länder der Welt schwingt erstmals Dänemark obenaus. Den Ausschlag gaben unternehmerische Agilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Eine leistungsfähige und international bestens vernetzte Wirtschaft, ein gut funktionierender Staat von überschaubarer Grösse und ein weisses Kreuz im roten Feld in der Landesflagge: Das waren die letzten zwei Jahre Kennzeichen des Siegers in der Schönheitskonkurrenz um das wettbewerbsstärkste Land der Welt. Geändert hat sich lediglich die Form der Flagge: Es ist 2022 nicht mehr wie noch im Vorjahr die quadratische helvetische, sondern neu die rechteckige dänische.

Seit 34 Jahren ermittelt das renommierte, in Lausanne und Singapur angesiedelte International Institute for Management Development (IMD) auf der Grundlage extensiver Datensätze und Umfragen, wem die Krone in Sachen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit gebührt. Weil man das Bruttoinlandprodukt als Gradmesser der Leistungsfähigkeit als zu pauschal und vereinfachend erachtet, kommen eine ganze Reihe von Kriterien in vier Bereichen zur Anwendung. Betrachtet werden Aspekte des makroökonomischen Umfelds, der Effizienz der staatlichen Institutionen, des Unternehmenssektors und der Qualität der Infrastruktur.

Kleinstaaten haben die Nase vorn

 

Als das digital fortschrittlichste Land der Welt habe Dänemark den «top spot» mit weitsichtigen Strategien, einem klaren Fokus auf gesellschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit, einem agilen Unternehmenssektor und dem Vorteil, ein europäisches Land zu sein, erreicht, heisst es in einer Medienmitteilung des World Competitiveness Center beim IMD. In den Subkategorien unternehmerische Effizienz, Produktivität und Managementqualität belegte das Land jeweils den Spitzenplatz.

Nun sind solche Rankings, so umfassend sie auch abgestützt sein mögen, immer mit einer gewissen Vorsicht zu geniessen. Gefühlt ist zum Beispiel der sechste Platz, den im Jahr 2021 das IMD für die Schweiz hinsichtlich der digitalen Wettbewerbsfähigkeit ermittelte, eher schmeichelhaft, wenn man etwa an die Kontroversen um Fax-Kommunikation während der Covid-Krise denkt. Laut Christos Cabolis, dem Chefökonomen beim World Competitiveness Center, ist der Umgang der untersuchten Staaten mit der Covid-Krise dabei durchaus ein Element der Bewertung hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit.

Interessanter als der nationale Blick auf abgetauschte Ränge oder die Frage, was die Schweiz «falsch» gemacht habe, dass sie nicht mehr ganz oben steht, ist jedoch ein anderer Aspekt, der sich aus der Liste der wettbewerbsfähigsten Länder der letzten drei Jahre herauslesen lässt: Es sind vor allem kleine Staaten, die hier in die Kränze kommen. Stabil in den Top Ten sind nur die USA, dafür belegen jeweils zentral- und nordeuropäische Staaten rund die Hälfte der Plätze, ergänzt von den asiatischen Wirtschaftsräumen Singapur, Hongkong und Taiwan.

Was Kleinräumigkeit einem Staat an politischem Gewicht vorenthält, kann ihm dafür in Form effizienter wirtschaftlicher Strukturen zugutekommen, dies lässt sich aus der Tabelle schliessen. Und bemerkenswert ist auch, dass die sechs europäischen Länder, die in der IMD-Statistik zur Wettbewerbsfähigkeit dieses Jahr ganz vorne mit dabei sind, auch in einem ganz anders gelagerten Ranking unter den zehn besten auftauchen: im World Happiness Report.

Diese unter dem Dach der Uno jährlich publizierte Kompilation zur Frage, in welchen Ländern die zufriedensten Menschen leben, hat es gegenüber der IMD-Erhebung zur Wettbewerbsfähigkeit naturgemäss noch etwas schwerer, das Thema wissenschaftlich exakt einzugrenzen. Doch auch der World Happiness Report suggeriert, dass Kleinstaaten, was Lebensqualität anbelangt, etwas für sich haben.

Dem Erfolgsgeheimnis auf der Spur

Was dahinter steckt, ist eine Frage, der in letzter Zeit auch Wissenschafter und Publizisten nachgegangen sind. Der in der Schweiz lebende Finanzmanager und Autor R. James Breiding zum Beispiel veröffentlichte 2019 ein Buch mit dem Titel «Too Small To Fail», in welchem er sich damit beschäftigte, was die nordeuropäischen Länder, die Schweiz oder auch Singapur und Taiwan anders – und implizit besser – als andere machen, wenn es um die Schaffung tragfähiger staatlicher und wirtschaftlicher Strukturen geht.

Und schon einige Jahre früher hatte sich eine Reihe von Ökonomen und Politologen aus Dänemark und der Schweiz zusammengetan, um zu ergründen, weshalb die beiden Länder trotz ihren recht unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen regelmässig sehr ähnliche Resultate hinsichtlich wirtschaftlichen Erfolgs, sozialen Zusammenhalts und Zufriedenheit in der Bevölkerung erzielen.

Die Studie «The Good Society» vergleicht Dänemark als einen seine Bürger hoch besteuernden und umfassend ausgebauten sowie zentral konzipierten Sozialstaat mit der Schweiz als politischem Gebilde, das nachgerade als Gegenentwurf gelten könnte: föderalistisch und basisdemokratisch organisiert, mehr auf individuelle Verantwortung denn die führende Hand des Staates bauend, dafür aber nach dem Konkordanzprinzip regiert und nicht auf der Basis von Kabinetten aus wechselnden politischen Lagern.

Beide Wege, bilanziert die Studie, hätten zu einer erfolgreichen Gesellschaft, zu Wohlstand und Zufriedenheit geführt – die Schweizer marginal vermögender, die Dänen marginal glücklicher. In beiden Ländern seien funktionierende Systeme zur Teilung und Kontrolle der politischen Macht und zur generell effizienten Allokation ökonomischer Ressourcen entwickelt worden. Und beide Länder hätten mit einer Kombination von Stabilität und Flexibilität ihre Wirtschaft erfolgreich an die sich wandelnden externen Umstände anzupassen vermocht.

Wer in dieser oder jener aktuellen Tabelle gerade wo sitzt auf den vorderen Rängen, scheint angesichts dieses Befunds eher unerheblich.

Rudolf Hermann, «Neue Zürcher Zeitung»

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