Künstliche Intelligenz ist mehr als bloss ein Hype: Viele Firmen wollen jetzt ihr Geschäftsmodell anpassen Was beschäftigt die Schweizer Wirtschaft, und wie beurteilen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ihre Wettbewerbsfähigkeit? Die «Neue Zürcher Zeitung» befragt dazu seit mehreren Jahren in Zusammenarbeit mit der Kalaidos-Fachhochschule Teilnehmer des Swiss Economic Forum und berechnet daraus das NZZ-KMU-Barometer.

Was beschäftigt die Schweizer Wirtschaft, und wie beurteilen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ihre Wettbewerbsfähigkeit? Die «Neue Zürcher Zeitung» befragt dazu seit mehreren Jahren in Zusammenarbeit mit der Kalaidos-Fachhochschule Teilnehmer des Swiss Economic Forum und berechnet daraus das NZZ-KMU-Barometer.

Insgesamt 326 Schweizer Wirtschaftsführer haben im März und April 2023 Fragen zu ihren Erfahrungen und ihren Erwartungen an die Geschäftsentwicklung ihrer Firmen beantwortet. Das Resultat der regelmässigen Erhebung erlaubt interessante Einblicke in die Stimmung in der Schweizer Wirtschaft, aber auch dazu, wie die Schweizer Wirtschaft auf Probleme in ihren Lieferketten reagiert hat und wie sehr das Aufkommen von künstlicher Intelligenz die KMU bereits bewegt.

Zunehmende Diskrepanz zwischen Stärken und Standort

Insgesamt zeigt das Barometer für 2023 eine erwartete leichte Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der KMU in der Schweiz an (vgl. Grafik). Gegenüber dem Vorjahr hat sich der Gesamtindex von –4,1 auf 0,7 erhöht; er dürfte allerdings noch nicht über demjenigen von 2021 liegen (dessen Wert wegen einer etwas geänderten Berechnung nicht direkt vergleichbar ist und deswegen in der Grafik nicht ausgewiesen wird). Theoretisch sind für das Barometer Werte zwischen –100 (100 Prozent der befragten Firmen erwarten in allen Punkten eine deutliche Verschlechterung) und +100 möglich (100-prozentige Verbesserung).

Der zuversichtliche Blick in die Zukunft ist auch 2023 fast ausschliesslich darauf zurückzuführen, dass die Firmen ihre eigenen Fähigkeiten positiv beurteilen und erwarten, ihre Stärken weiter ausbauen zu können. Verbesserungen sehen sie dabei im Bereich Nachhaltigkeit, bei den Marktchancen und durch Innovationen. Immer noch Schwierigkeiten, wenn auch viel geringere als im Vorjahr, prognostizieren die Wirtschaftsführer in Bezug auf das Geschäften mit dem Ausland.

Die Rahmenbedingungen und den Standort Schweiz beurteilen die KMU hingegen bemerkenswerterweise von Jahr zu Jahr pessimistischer. Drei Fünftel gehen von einer weiteren Zuspitzung des Fachkräftemangels aus. Über die Hälfte erwartet eine Verschlechterung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und fast ein Drittel eine der steuerlichen. Gut ein Drittel prognostiziert auch Nachteile aufgrund der Währungssituation.

Unter Einschluss der Befragten von grossen Unternehmen machen die Inflation und die steigenden Zinsen, die Versorgungssicherheit im Energiebereich und das unklare Verhältnis mit der EU der Schweizer Wirtschaft am stärksten zu schaffen. Angesichts der zunehmenden Diskrepanz zwischen der Einschätzung der eigenen Stärken und jener der Rahmenbedingungen ist zumindest zu befürchten, dass Firmen künftig weniger stark auf den Standort Schweiz setzen werden.

Gut ein Fünftel hat seine Lieferketten verändert

Die Zuverlässigkeit der internationalen Lieferketten war vor einem Jahr noch (vor der Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal) die grösste Sorge der KMU. Das hat sich radikal geändert: 2023 hält sich der Anteil derjenigen, die eine Verschlechterung erwarten, mit demjenigen, der von einer Verbesserung ausgeht, praktisch die Waage. Die Hälfte der Befragten erwarten keine Veränderungen mehr. Die Lieferkettenprobleme des vergangenen Jahres sehen die KMU im Rückblick auch als nur etwa halb so schlimm wie damals befürchtet.

Wahrscheinlich erklärt das auch, wieso offenbar nur eine Minderheit an ihren Lieferketten aktiv etwas geändert hat, obwohl knapp zwei Drittel aller Befragten (inklusive der Vertreter von Grossunternehmen) von Problemen in den vergangenen zwölf Monaten berichten. Immerhin 28 Prozent geben an, in den vergangenen 24 Monaten ihre Lieferketten mit Outsourcing in anderen Schwellenländern als bisher ergänzt zu haben. 21 Prozent berichten zudem, Lieferketten und Produktionsstätten von Schwellenländer in Industrieländer verlagert zu haben (Reshoring).

Eines der grössten Themen bei den Lieferketten ist China. Allerdings pflegt nur eine Minderheit der befragten Firmen in der Schweiz direkte Geschäftsbeziehungen mit dem Reich der Mitte. Bei den grossen Unternehmen sind es 40 Prozent, bei den KMU gar nur ein Viertel, in der Industrie aber immerhin fast zwei Drittel. Von den befragten 63 Firmen, die in China produzieren, tun dies 46 Prozent für den chinesischen Markt, 21 Prozent beliefern von dort (auch) andere asiatische Länder, und 56 Prozent produzieren in China für andere Kontinente. Sie dürften sich derzeit besonders Gedanken machen.

So gaben denn auch dreimal so viele in China tätige Firmen an, für sie werde das Reich der Mitte als Produktionsstandort weniger wichtig, als solche, die eine zunehmende Bedeutung sehen. Etwas anders sieht das Bild für die Rolle als Absatzmarkt aus: 23 Prozent sehen da eine wachsende und nur 17 Prozent eine abnehmende Bedeutung Chinas (der Rest erwartet jeweils keine Änderung oder hat keine Meinung dazu).

Künstliche Intelligenz ist mehr als bloss ein Hype

Neu sehen die Schweizer Wirtschaftsführer 2023 künstliche Intelligenz (KI) als grösste Chance für ihre technischen Entwicklungen und die Anpassung von Geschäftsmodellen, noch vor der Automatisierung und der durch die Digitalisierung ermöglichten individuelleren Kundenansprache und Nutzung von digitalen Plattformen. Die Industrie setzt allerdings noch etwas stärker auf Automatisierung als auf KI, wobei gerade hier die Grenzen fliessend sein dürften.

Während drei Viertel der Wirtschaftsführer erwarten, dass sich in ihrer Branche durch den Einsatz von KI grosse Chancen ergeben werden, sind interessanterweise ebenso viele auch der Meinung, die Gefahren und Risiken der KI würden unterschätzt. Ebenfalls beachtliche 60 Prozent gehen davon aus, dass KI sie in den nächsten fünf Jahren zwingen wird, ihr Geschäftsmodell anzupassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Das Thema ist also nicht mehr bloss ein Hype, sondern beschäftigt die Führungsetagen konkret. 45 Prozent der Befragten geben an, dass sie ihre Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen (F&E) wegen des Aufkommens von KI verstärken und verändern; satte 56 Prozent wollen in den nächsten 24 Monaten generell die eigene F&E intensivieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gut die Hälfte plant dabei, vermehrt in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen zu forschen und zu entwickeln, wobei sich dies bei mittelgrossen Unternehmen besonders ausgeprägt zeigt.

Vermutlich sind die ausgeprägte F&E-Tätigkeit und die Innovationsfähigkeit der Schweizer Firmen zentrale Faktoren hinter dem starken Glauben an ihre eigenen Stärken, der im diesjährigen KMU-Barometer wieder eindrücklich aufscheint. Umso wichtiger ist es für den Wirtschaftsstandort Schweiz, als Forschungsplatz attraktiv zu bleiben.

Dafür spielen der noch verhältnismässig liberale Arbeitsmarkt, die Personenfreizügigkeit und die (derzeit infrage gestellte) Forschungszusammenarbeit mit der EU eine zentrale Rolle, aber auch die generelle internationale Offenheit der Schweiz.

Auch wenn es der Schweiz mit ihren KMU als Rückgrat und der aussergewöhnlich hohen Dichte an international tätigen Firmen noch bemerkenswert gut geht – die kritische Einschätzung der Rahmenbedingungen, die im diesjährigen KMU-Barometer prononciert aufscheint, sollte der Politik zu denken geben. Der gegenwärtige Erfolg erleichtert dem Land vieles, ist aber noch kein Garant, dass dies immer so bleibt.

Peter A. Fischer, «Neue Zürcher Zeitung»

25 Jahre SEF

Das Swiss Economic Forum (SEF) ist die führende Wirtschaftskonferenz der Schweiz und feiert am 8. und 9. Juni 2023 das 25-jährige Jubiläum. Seit einem Vierteljahrhundert treffen sich jedes Jahr über 1000 Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien in Interlaken zum aktiven Meinungsaustausch und branchenübergreifenden Dialog. Unter dem Motto «Make it happen.» widmet sich die Jubiläumsausgabe des SEF den «Hidden Champions» der Schweizer Wirtschaft. Die Schweizer KMUs sind ein wichtiger Motor der Schweizer Wirtschaft und stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Das SEF bietet eine Plattform, um über diese Themen zu sprechen, Ideen auszutauschen und Lösungen zu finden.

Der vollständige Ergebnisbericht kann hier heruntergeladen werden
NZZ KMU Barometer 2023 PDF

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