«Wir stehen vor einer technischen Rezession» Die Corona-Epidemie ist nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Schweizer Wirtschaft eine riesige Herausforderung. economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch zu den Auswirkungen auf die Konjunktur und mögliche Folgen für die Unternehmen.

Die Corona-Epidemie ist nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Schweizer Wirtschaft eine riesige Herausforderung. economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch zu den Auswirkungen auf die Konjunktur und mögliche Folgen für die Unternehmen.

 

Prof. Dr. Rudolf Minsch ist Stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung, Leiter
allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung / Chefökonom bei economiesuisse

Rudolf Minsch, noch im Januar haben sie für die Schweiz 1,2 Prozent Wachstum beim Bruttoinlandprodukt und eine Arbeitslosenquote von 2,5 Prozent prognostiziert. Heute präsentiert sich die Situation stark verändert. Wie sieht ihre Prognose jetzt aus?

Die wirtschaftliche Lage hat sich deutlich verschlechtert. Doch die Situation verändert sich laufend, so dass derzeit keine seriöse Prognose gemacht werden kann. Ich gehe derzeit davon aus, dass wir vor einer technischen Rezession stehen. Von einer solchen sprechen wir, wenn die Wirtschaftsleistung zwei Quartale hintereinander schrumpft. Mit anderen Worten werden das zweite und dritte Quartal wohl negative Wachstumsraten aufweisen. Ob es dann zu einem Jahresendspurt kommt, hängt entscheidend davon ab, ob die Corona-Epidemie bis dahin zu Ende gegangen ist. Insgesamt aber werden wir die Jahresprognose für 2020 deutlich nach unten korrigieren müssen.

Welche Branchen trifft es in der Schweiz am härtesten?

Zu den ersten stark betroffenen Branchen gehörte die Uhren- und Luxusgüterindustrie. Dann haben es die restlichen Exportbranchen zu spüren bekommen, weil die Nachfrage auf den internationalen Märkten rückläufig war und Lieferengpässe aufgetreten sind. Mittlerweile aber ist auch die Binnenwirtschaft stark betroffen. Allen voran natürlich der Tourismus. Hotels haben seit dem Ausbruch der Epidemie in Italien eine wahre Stornierungswelle erfahren müssen. Das Veranstaltungsverbot in der Schweiz trifft Eventveranstalter, Ton- oder Lichttechniker, Caterer usw. Auch die Swiss spürt einen massiven Nachfrageeinbruch.

Es gibt fast täglich Forderungen nach finanziellen Unterstützungsleistungen durch den Staat, was halten sie davon?

Eine direkte finanzielle Unterstützung von Unternehmen wäre sehr problematisch, da der Teufel im Detail liegt. Mitnahmeeffekte, Abgrenzungsschwierigkeiten und Ungleichbehandlungen können fast nicht ausgeschlossen werden. Zudem ist eine zielgerechte Unterstützung organisatorisch fast nicht zu stemmen. Jemand muss entscheiden, ob ein KMU einen Schaden hat und wie gross dieser ist. Man müsste also eine grosse Bürokratie aufbauen, welche die Zahlungen definiert. Dabei müsste man jeden Einzelfall prüfen. Als viel effizienter und zweckmässiger erachte ich das Instrument der Kurzarbeit, auf das nun auch der Bundesrat setzt. Dieses wirkt am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und schafft kaum falsche Anreize.

Für etliche KMU, beispielsweise im Event-Bereich, ist die Krise aber existenzbedrohend. Muss man das einfach hinnehmen?

Viele Unternehmen müssen derzeit herbe Verluste wegstecken. Einige sind aber gegen Epidemien versichert und können so den Schaden einigermassen klein halten. Andere wiederum können Kurzarbeit anmelden. Schliesslich erhalten viele Unternehmen bei der Absage eines Events trotzdem noch eine Entschädigung, weil dies so vertraglich fixiert worden ist oder sie verfügen über ein finanzielles Polster aus der Vergangenheit. Aber es ist schon so: Je länger die Epidemie dauert, desto grösser werden die Probleme für viele Unternehmen. Doch der Bund ist nicht in der Lage, hier zu unterstützen. Allenfalls können die Kantone eine Unterstützung bieten. Derzeit prüfen Genf, Basel-Stadt oder Zürich solche Massnahmen.

Der Unterbruch internationaler Lieferketten zeigt, wie abhängig unsere Wirtschaft mittlerweile vom Ausland ist. Bereits werden Rufe laut, die Schweiz müsse wieder autarker werden. Ist das die Zukunft?

Etliche Firmen werden nach überstandener Krise sicherlich prüfen, ob sie die Abhängigkeiten von einem einzelnen Hersteller oder einer bestimmten Region reduzieren können und sollen. Ähnlich wie man Daten dadurch schützt, dass man sie in zwei, drei voneinander entfernten Datenzentren speichert, kann es zweckmässig sein, verschiedene Lieferantenbeziehungen für dasselbe Produkt aufrecht zu erhalten. Doch eine Abschottung gegenüber dem Ausland kann keine Lösung darstellen. Nicht nur werden wir auch in Zukunft von Rohstoffen wie Metallen, Erdöl usw. abhängig sein. Der Schweizer Wohlstand ist nur deshalb so hoch, weil wir uns hier auf wertschöpfungsintensive Produkte und Dienstleistungen konzentrieren und arbeitsintensive Produkte oder Vorleistungen importieren. Nur Robinson Crusoe war auf seiner Insel autark. Aber gleichzeitig war er auch arm wie eine Kirchenmaus.

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