«Eine Firmengründung ist wie eine emotionale Berg- und Talfahrt» Vor rund einem Jahr hat Stéphanie Borge die Boulangerie «Juliette – pain d’amour» in Zürich eröffnet. Zusammen mit ihren beiden Geschäftspartnern wagte sie mit gleich zwei Filialen den Sprung in die Selbständigkeit. Erfolgreich, denn in Erlenbach gibt es inzwischen eine dritte Bäckerei.

Vor rund einem Jahr hat Stéphanie Borge die Boulangerie «Juliette – pain d’amour» in Zürich eröffnet. Zusammen mit ihren beiden Geschäftspartnern wagte sie mit gleich zwei Filialen den Sprung in die Selbständigkeit. Erfolgreich, denn in Erlenbach gibt es inzwischen eine dritte Bäckerei.

Stéphanie Borge vermisste das traditionelle Baguette und die Pâtisserie aus Frankreich in Zürich. (Thomas Moser / Artworth)

Frau Borge, nach einer Karriere in der Tourismus-, der Möbel- und der Automobilbranche haben Sie vor einem Jahr eine Bäckerei in Zürich eröffnet. Wie kam es dazu?

Als Französin habe ich in Zürich das traditionelle Baguette und die Pâtisserie aus Frankreich sehr vermisst. Ich habe nie verstanden, warum es in dieser internationalen Stadt keine französische Bäckerei gibt. In Sydney, Tokio, Los Angeles, überall gibt es französische Bäckereien, nur in Zürich nicht. Immerhin leben mehrere Tausend Französinnen und Franzosen in Zürich. Meine Familie hat mich dabei unterstützt, die Idee einer echten französischen Boulangerie zu realisieren.

Sie haben die Firma zusammen mit zwei Partnern gegründet. Warum nicht allein?

Eine Firmengründung ist komplex. Es ist fast unmöglich, ein so grosses Projekt allein zu stemmen, wenn man es gut machen möchte. Da gibt es so viele Aspekte, die man berücksichtigen muss. Deshalb habe ich die Firma zusammen mit meinen Kollegen Nicolao Colombo und Rolf Lüthi gegründet. Die beiden sind, wie ich, grosse Fans der französischen Backtradition. Wir haben zu dritt den Businessplan erarbeitet, gerechnet, analysiert und viel Zeit in die Vorbereitung gesteckt. Mit ihnen habe ich zwei Menschen an meiner Seite, auf die ich mich verlassen kann. Und, ganz wesentlich, so ist das finanzielle Risiko auf drei Personen verteilt.

Sie und ihre beiden Partner kannten sich schon vorher?

Ja, mit Nicolao Colombo habe ich vorher fünf Jahre bei BMW im Marketing-Team gearbeitet. Rolf Lüthi kannte ich privat. Jeder von uns hat seine eigene Rolle im Unternehmen, und wir ergänzen uns perfekt mit unseren Fähigkeiten und unserer Erfahrung. Ich kümmere mich um die Finanzen und das Personal, Nicolao Colombo ist als Marketing- und Gastrospezialist für die Kommunikation verantwortlich und Rolf Lüthi berät uns aus Sicht des Deutschschweizers. Denn manchmal habe ich zu sehr die französische Brille auf. Ausserdem verbindet uns die Liebe zum Handwerk, wir finden es bedauerlich, dass Handwerksbetriebe aus dem Stadtzentrum verschwinden und industriell gefertigten Produkten weichen müssen.

Was braucht es, um sich selbständig zu machen?

Eine gute Idee haben, an sie glauben, Mut haben und sich seiner Stärken bewusst sein. Das ist essenziell. Dann muss man jedes Detail immer wieder genau prüfen und alles sehr präzise vorbereiten. Zwischen der ersten Idee und der Eröffnung lagen zwei Jahre. Wir haben uns wöchentlich getroffen und die Planung so vorangetrieben, bis wir auch wirklich alle Themen besprochen und alle Analysen durchgeführt hatten. Wir haben versucht, für alle Fragen operative Lösungen zu finden, wie etwa für die Produktion, die Importkosten für das Mehl, welches Personal gebraucht wird, der Umbau der Räumlichkeiten, die Baugesuche bei der Stadt usw. Bis wir verlässliche Zahlen hatten, haben wir den Businessplan sicher 20-mal umgeschrieben. Ausserdem muss man immer wieder andere für das eigene Projekt überzeugen, die Finanzierung sicherstellen und mental stark bleiben, ohne dabei die Freude an der Arbeit zu verlieren. Eine Firmengründung ist wie eine emotionale Berg- und Talfahrt. Es gibt Tage, an denen alles rundläuft und andere, wo es nur drunter und drüber geht und man eine Krise hat. Gerade dann sind gute Partner wichtig, die einen auffangen und motivieren, weiterzumachen.

Das klingt herausfordernd.

Der Weg in die Selbstständigkeit ist mit Hürden verbunden. Ich habe die Komplexität und Langwierigkeit des Prozesses unterschätzt. Es gibt Spielregeln, insbesondere die der Stadt, an die man sich halten muss. Ich war überrascht, wie wenig unternehmerfreundlich die Ämter sind und wie lange es jeweils gedauert hat, bis wir Rückmeldungen von ihnen erhalten haben. Dann muss auch eine solide Finanzierung gewährleistet sein. Meine beiden Partner und ich haben die Hälfte der Finanzierung gebracht. Für die andere Hälfte mussten wir Investoren und Banken überzeugen.

Wie sind Sie bei der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten vorgegangen?

Die Tür zu den Banken öffnet sich vor allem über die berufliche Erfahrung und das bestehende Netzwerk. Beides schafft Vertrauen. Eine Bank hatte uns bereits zugesagt, da kam der Ukrainekrieg und die Bank machte einen Rückzieher. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon die Maschinen bestellt, die Mietverträge waren unterschrieben. Ich musste andere Finanzierungsmöglichkeiten suchen und bin auf vier Genossenschaften gestossen, die für neue Projekte bürgen. Eine dieser Genossenschaften, die SAFFA in Basel, unterstützt Projekte, die von Frauen lanciert werden. Ich konnte sie mit unserem Projekt überzeugen, und wir haben eine Bürgschaft erhalten, mit der dann die Bankfinanzierung gesichert war.

Die Bäckerei «Juliette – pain d’amour» in Erlenbach (ZH). (Bild: Thomas Moser / Artworth)

Wie erklären Sie sich Ihren beruflichen Erfolg?

Mein beruflicher Hintergrund in Management und Marketing war sehr hilfreich. Denn es geht nicht nur darum, etwas gut zu machen, sondern es auch gut zu vermarkten. Es reicht nicht, dass man das beste Baguette der Stadt verkauft, wenn keiner es weiss. Dafür muss man alle Kommunikationstools nutzen. Ich hatte von Anfang an eine Website in drei Sprachen, einen Onlineshop und eine Social-Media-Präsenz. Und natürlich ist die Qualität zentral. Für uns ist das Baguette ein Kulturgut, das wir noch perfektionieren wollen. Wir wollen das beste Pâtisserie- und Brotangebot der Stadt haben. Wenn Qualität und Kundenservice mit Markenpräsenz und einem guten Marketing kombiniert werden, dann kann man erfolgreich sein.

Sie haben nicht nur eine Bäckerei eröffnet, sondern gleich zwei. Weshalb?

Es war für uns in Zürich nicht möglich, zentral eine Lokalität zu finden, die gross genug ist, um die Bäckerei- und Pâtisserie-Produktion unter einem Dach zu vereinen. Am Bleicherweg in Zürich befindet sich unsere Boulan­gerie mit einem Café und am Vulkanplatz in Altstetten unser Pâtisserie-Atelier. Im letzten Herbst konnten wir übrigens expandieren und eine dritte Filiale in Erlenbach eröffnen. An allen drei Standorten können Kundinnen und Kunden unsere Brot- und Pâtisserie-Produkte kaufen.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie?

Inzwischen beschäftigen wir 18 Mitarbeiter und viele Studenten, die am Wochenende arbeiten. Unsere Boulangers und Pâtissiers kommen aus Frankreich. Es ist uns wichtig, dass sie alle ihre Ideen in die Produktion einbringen und mitgestalten können. Mit diesem Ansatz hatten wir bisher nie Schwierig­keiten, gutes Personal zu finden.

Würden Sie den Schritt wieder wagen, eine Firma zu gründen?

Meine Motivation war, mich weiterzuentwickeln und weiter zu lernen. Auch wenn es manchmal hart war, ich glaube, es gibt keine bessere Schule als die Selbständigkeit. Ich würde es immer wieder so machen.

Interview: Brigitte Selden

Zur Person

Stéphanie Borge hat in Paris Wirtschaft, Management und Marketing studiert und in verschiedenen Führungspositionen für international renommierte Unternehmen gearbeitet. Unter anderem war sie Vizedirektorin bei der französische Tourismuszentrale Atout France in New York und Zürich sowie Director Brand Management bei dem Automobilunternehmen BMW Group Switzerland. 2023 hat Stéphanie Borge die Bäckerei «Juliette – pain d’amour» am Bleicherweg in Zürich, am Vulkanplatz in Altstetten und in Erlenbach eröffnet.

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