«Nach zehn Jahren Erfolg lebt man in einer anderen Welt», sagt Daniel Borel. Der Logitech-Gründer fürchtet um sein unternehmerisches Erbe – und hat eine Kampagne lanciert Der PC-Pionier Daniel Borel sieht den Weltmarktführer bei Mäusen und Webcams in Schieflage. Wie ein fürsorglicher Vater will er helfen. Und die Logitech-Familie wundert sich.

Der PC-Pionier Daniel Borel sieht den Weltmarktführer bei Mäusen und Webcams in Schieflage. Wie ein fürsorglicher Vater will er helfen. Und die Logitech-Familie wundert sich.

(Foto: Ravi Palwe auf Unsplash)

Ein Kind bleibt immer ein Kind. Auch wenn das Kind 42 Jahre alt ist und der Vater 73 Jahre, es bleibt sein Kind. Deshalb hat Daniel Borel schlaflose Nächte. «Wenn die Kinder heiraten, dann akzeptiert man das und respektiert ihr neues Leben. Aber wenn etwas passiert, eine Scheidung oder eine Krankheit, dann leidet man mit und hofft, dass man helfen kann und nützlich ist», sagt er.

Borel will helfen und nützlich sein. Er spricht immer wieder mit seinem Kind, appelliert, will überzeugen. Dann kommt es, wie es so oft kommt zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, die längst auf eigenen Beinen stehen. Der Nachwuchs hört zu, und dann fällt der eine Satz, der schmerzt wie eine Ohrfeige: «Warum bist du so emotional?» Und der Vater fühlt sich, als habe er alle Worte in den Wind gesprochen.

Nach 18 Monaten sucht Borel die Öffentlichkeit

«Warum bist du so emotional?», das sagte Wendy Becker am Ende einer Videokonferenz zu Borel, nachdem dieser seine Unzufriedenheit über die Verhältnisse bei Logitech geäussert hatte. Logitech ist Borels Kind – und ausserdem der schweizerisch-amerikanische Weltmarktführer bei Computerzubehör wie Mäusen, Tastaturen, Gaming-Controllern und Webcams. Daniel Borel, geboren 1950 in Neuchâtel, hatte Logitech im Jahr 1981 mit zwei Partnern gegründet. Wendy Becker ist seit 2019 die Präsidentin des Verwaltungsrats. Sie ist die einzige Frau an der Spitze eines Schweizer Bluechip-Konzerns.

In der vergangenen Woche forderte Borel an der Logitech-Generalversammlung die Absetzung von Becker. Er warf der Firma ein Führungsvakuum vor. Danach wandte er sich an die Presse. Es sei nicht seine Art, solche Dinge in die Öffentlichkeit zu tragen, sagt Borel einige Tage später im Gespräch mit der NZZ. Der Gang an die Generalversammlung sei für ihn sehr hart gewesen. Doch 18 Monate lang habe er versucht, sich bei Logitech intern durchzusetzen, gehofft und öffentlich geschwiegen – «eine unnormal lange Zeitspanne».

Logitech kommentiert auf Anfrage, man begrüsse Borels Leidenschaft für das Unternehmen. Aber man teile seine Einschätzungen nicht.

Logitech ist nicht mehr Borels Unternehmen. Er war von 1988 bis 2007 Präsident des Verwaltungsrats, den er 2015 ganz verlassen hat, und ausserdem von 1992 bis 1998 der CEO. Heute trägt Borel noch den Ehrentitel eines emeritierten Vorsitzenden und hält 1,5 Prozent der Aktien. Er segelt gern und viel. Aber noch mehr Leidenschaft hegt er für sein altes Unternehmen. Das spürt auch sein Umfeld: In seiner Familie werde schon gar nicht mehr über Logitech geredet, sagt Borel. Seine Frau wolle es nicht.

Der Corona-Höhenflug ist definitiv vorbei

Auf den ersten Blick wirkt Borels Leidenschaft, mit der er nun in die Öffentlichkeit gezogen ist, sonderbar. An der Generalversammlung wurde Wendy Becker mit 96 Prozent der Stimmen bestätigt. Borel kämpft allein. Ihn freue das Vertrauen der Aktionäre in das Unternehmen, sagt er. Aber sie wüssten nicht, was bei Logitech hinter dem Vorhang passiere.

Zugegeben: Logitech hat derzeit Gegenwind, den das Unternehmen nicht mehr gewohnt war. In der Corona-Krise war das Geschäft mit Computer-Peripheriegeräten geradezu explodiert. Heimarbeitsplätze mussten ausgerüstet werden, Firmen brauchten Hardware für Videokonferenzen. Kindern, die von Lockdowns vor die Bildschirme gezwungen wurden, wurden Gaming-Controller in die Hand gedrückt.

Auf den Boom folgte die Ernüchterung. Das hat Logitech auf dem falschen Fuss erwischt. Mit der Aufhebung der Lockdowns brach auch die Nachfrage nach Logitech-Produkten ein. Firmen und Konsumenten setzten neue Prioritäten. Wer noch keine neue Webcam hatte, zögerte nun mit dem Kauf.

Die Margen schmolzen dahin, im Januar kam die letzte von mehreren Gewinnwarnungen. Im Geschäftsjahr per Ende März fiel der Umsatz zum Vorjahr um 17 Prozent auf 4,5 Milliarden Dollar. Die Aktien verloren an Wert. Logitech hatte den Nimbus des Überfliegers verloren.

Hat Logitech die Talsohle erreicht?

Mitte Juni trat dann überraschend der langjährige und vielgelobte CEO Bracken Darrell zurück. Dem Vernehmen nach wollte der Amerikaner seiner Absetzung durch den Verwaltungsrat zuvorkommen. Dass er so spät ging, ist einer der grossen Kritikpunkte von Borel.

Bevor die Pandemie alles dominierte, war der Aufstieg von Logitech auch Darrell zuzuschreiben. Er war 2013 zum Unternehmen gestossen und gilt als herausragender Motivator und Verkäufer, der sich stark auf seine positive Energie und Ausstrahlung verlassen kann. Der Erfolg spiegelte sich in den Aktien des Unternehmens, die sich seit 2016 stetig verteuerten. Während der Pandemie schoss der Kurs in die Höhe und erreichte im Frühjahr 2021 zeitweise über 120 Franken.

Wie gewonnen, so zerronnen? Nein, denn gemessen am Umsatz ist Logitech immer noch rund die Hälfte grösser als vor der Pandemie und mehr als doppelt so gross wie vor zehn Jahren. Auch ist das Unternehmen besser als von vielen Beobachtern erwartet ins neue Geschäftsjahr ab April gestartet und konnte die Finanzziele anheben. Diese sind zwar zurückhaltend formuliert, doch die Chancen, dass das für Logitech so wichtige Weihnachtsgeschäft solid ausfällt, sind damit umso grösser. Auch der Aktienkurs hat sich gefangen.

Borel fordert Bescheidenheit und Führung

 

Selbst Borel sagt, Logitech sei nicht «per se ein Fall für eine Restrukturierung». Für ihn steht Grundsätzliches auf dem Spiel. 42 Jahre hat Logitech bis heute überlebt, länger als sehr viele andere Hersteller von Computerhardware. Die Firma mit Sitz in Lausanne und zweitem Hauptquartier in Kalifornien hat sich immer wieder angepasst und über die Computermaus, das erste Produkt, hinaus weiterentwickelt.

Doch jetzt sehe Borel bei der Logitech-Verwaltungsratschefin keine Bescheidenheit, die es für Innovationen brauche. Bescheiden, aber ambitioniert müsse man sein. Er warnt vor Arroganz, wie sie zum Niedergang von Nokia geführt habe, dem einst dominierenden Handy-Hersteller, der die Wende zu den Smartphones verpasste und einging.

Borel hat keinen konkreten Vorschlag für das operative Geschäft, er fordert keine konkreten Strategieänderungen. Stattdessen will er eine neue, zupackende Führung des Unternehmens. Bracken Darrell hätte schon vor 18 Monaten abgelöst werden sollen, so Borel. Er sei nicht der richtige Chef gewesen, um zu erkennen, dass der Pandemie-Boom ein Ausreisser war, keine neue Normalität. Und auch nicht der richtige Chef, um mit den nötigen Einschnitten zu reagieren.

Logitech hatte reagiert – auch unter Darrell

Hier kommt die Verwaltungsratspräsidentin ins Spiel. Wendy Becker habe es nicht geschafft, Darrell zu kontrollieren, zu intervenieren und einen CEO zu suchen, der Logitech auf die Korrektur nach der Pandemie vorbereite. Darum müsse auch sie gehen, nachdem hoffentlich bald ein neuer Chef gefunden sei, fordert Borel.

Logitech lässt hierzu mitteilen, die Suche nach einem neuen CEO komme gut voran. Der Verwaltungsrat sei mit einigen hochkarätigen Kandidaten in Kontakt. Auch war die Firma zu Darrells Zeiten nicht untätig: Die Zahl der Mitarbeiter sank von März 2022 bis März 2023 um rund 10 Prozent, nämlich von 8200 auf 7400. Die operativen Kosten wurden im Gleichschritt mit dem sinkenden Umsatz reduziert.

Doch der Mitbegründer sieht die Gefahr, dass sich Logitech auf den Lorbeeren ausruht: «Man kann nicht einfach immer sagen, dass hybrides Arbeiten die Zukunft sein werde, und dann erwarten, dass einen das rettet.» Er selbst habe sich in seiner aktiven Zeit nie ausruhen wollen. «Erfolg ist nie endgültig. Man muss kämpfen. Wenn ich morgens aufwachte, habe ich gehofft, dass ich noch im Geschäft bin.» Die Branche sei brutal.

Wie gefährlich ist Erfolg?

Als Bracken Darrell 2013 die Rolle als CEO übernahm, war Logitech in schlechtem Zustand. Das Unternehmen hatte unter anderem das Aufkommen des iPhones und iPads verschlafen. Das Management war schwach. Der Amerikaner schaffte die Wende, legte einen Schwerpunkt auf Design und erkannte auch den Gaming-Trend. Als die NZZ im Januar 2023 mit ihm sprach, blickte er gewohnt optimistisch in eine anhaltende Zukunft bei Logitech. «Nach zehn Jahren Erfolg lebt man in einer anderen Welt», kritisiert Borel. Das sei gefährlich.

Zweifellos: Darrells Abgang und seine Nachfolge hätten vom Verwaltungsrat besser gestaltet werden können. Interimistisch führt der Verwaltungsrat Guy Gecht das Unternehmen. Darrell hat schnell einen neuen Job gefunden. Der 60-Jährige ist nun Chef der VF Corporation, ein Bekleidungsunternehmen, zu dem unter anderem die Outdoor-Marken Timberland und The North Face gehören. Interviews gibt Darrell derzeit nicht.

Derweil wünscht sich Borel, einmal persönlich vor dem ganzen Verwaltungsrat sprechen zu dürfen – nicht nur mit Wendy Becker. «Ich bin nicht frustriert. Ich bin traurig», sagt der 73-Jährige. Wie der Vater, der bei seinem Kind kein Gehör findet. Der es stolpern sieht und fürchtet, es könnte fallen. Und der ihm helfen will, die Geister seiner eigenen Vergangenheit zu vertreiben. «Ich hatte immer Angst, dass ich wie eines dieser Skelette im Schrank ende», sagt Borel mit Blick auf die vielen Computerfirmen, die es in den vergangenen vierzig Jahren nicht geschafft haben und nun die Annalen des Silicon Valley zieren.

Benjamin Triebe & Eflamm Mordrelle, «Neue Zürcher Zeitung»

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