Der Mythos vom Erfinder in der Garage lebt: Ein Schweizer Startup krempelt die Pilotenausbildung um Simulatoren für Flugtraining sind teuer. Der Tüftler Fabi Riesen nutzt die virtuelle Realität, um es realitätsnäher zu gestalten – zu einem Bruchteil der Kosten. Nun erhält das Dübendorfer Startup für seine Expansion Millionen aus dem Silicon Valley.

Simulatoren für Flugtraining sind teuer. Der Tüftler Fabi Riesen nutzt die virtuelle Realität, um es realitätsnäher zu gestalten – zu einem Bruchteil der Kosten. Nun erhält das Dübendorfer Startup für seine Expansion Millionen aus dem Silicon Valley.

 

Virtual Reality ist mehr als eine Spielerei: Montage von VR-Flugsimulatoren am Firmensitz von Loft Dynamics in Dübendorf. Bild: PD

Den Traum vom «Tiger»-Piloten bei der Schweizer Luftwaffe konnte sich Brillenträger Fabi Riesen nicht erfüllen. Aber 1998 erwarb er immerhin das Brevet für ein Privatflugzeug. Der Elektroingenieur war zugleich fasziniert von den Virtual-Reality-Brillen, die vor etwa einem Jahrzehnt auf den Markt kamen. Es müsste doch möglich sein, diese Technologie für die Ausbildung von Pilotinnen und Piloten zu nutzen, sagte er sich.

In der Freizeit tüftelte er und baute sich einen ersten VR-Flugsimulator in einer Ecke des Wohnzimmers zusammen. Um das Plazet der Familie zu erhalten, durften seine Kinder Versuchskaninchen spielen. Die ersten richtigen Prototypen entstanden dann aber an der Hochschule für Technik Rapperswil. In Rahmen des Projekts konnten Studierende Bachelor- oder Masterarbeiten schreiben. So lernte Riesen potenzielle Mitarbeitende kennen – die man zuweilen per Whatsapp definitiv eingestellt habe, erzählt er.

Flugunfälle lassen sich vermeiden

«Der grosse Vorteil der VR-Brille ist, dass man Cockpit und Rundumsicht realistisch nachbilden kann», schwärmt Riesen. Herkömmliche Simulatoren bestehen dagegen aus einem Original-Cockpit. Sie sind denn auch sehr teuer und ziemliche Ungetüme. Die Rettungsflugwacht Rega investiert gerade 15 Millionen Franken in einen neuen Simulator für verschiedene Helikopter-Typen in Opfikon. Sie argumentiert, dass der Pilot durch eine Nachbildung des Cockpits vollständig in die Simulation eintauchen könne. Zudem könnten sämtliche Szenarien im Cockpit, wie ein Brandfall, durchgespielt werden.

Fabi Riesen, Chef von Loft Dynamics (vormals: VRM Switzerland). Bild: PD

Die Produkte von Loft Dynamics, wie das Startup von Riesen neu heisst, kosten einen Bruchteil herkömmlicher Simulatoren und brauchen viel weniger Platz. Dabei trägt eine Pilotin eine VR-Brille und sitzt in einem Gestell. Dort sind Pedale sowie für die Haptik ein stilisiertes Instrumentendeck angebracht.

«In Europa gibt es im Schnitt jede Woche einen Helikopter-Unfall. Davon passiert rund jeder dritte während eines Trainingsfluges», erklärt der 49-jährige Unternehmer. Würde man stärker auf VR-Lösungen beim Pilotentraining setzen, könnte man solche Unfälle vermeiden. So lassen sich auch gefährliche Flugmanöver üben, ohne dass man Risiken eingehen muss. Air Zermatt hat einen VR-Simulator in seinem Hangar untergebracht. Laut der Firma lässt sich dadurch jeder zweite Trainingsflug einsparen, man sieht den Simulator als vollwertigen Ersatz für die bisher handelsüblichen und kostspieligeren Geräte.

Fast wie bei der versteckten Kamera

Ein entscheidender Moment in der Entwicklung des Startups war ein Telefonanruf, bei dem Riesen zunächst dachte, es handle sich um einen Jux. Am anderen Ende der Leitung meldete sich die Flugsicherheitsbehörde der EU. Ihr sei ein Youtube-Video der Firma aufgefallen; man wolle sich das genauer ansehen.

Tatsächlich kam eine Delegation nach Dübendorf, und im April 2021 wurde von der Behörde erstmals ein VR-Simulator als Trainingsgerät anerkannt. Sie sprach von einem Meilenstein: Diese Entwicklung werde eine breitere Palette an kosteneffizienten Trainingsgeräten als Ergänzung zu herkömmlichen Simulatoren ermöglichen.

Riesen ist jedoch überzeugt, dass es sich bei seinen Geräten nicht nur um eine Ergänzung handelt, sondern dass diese die herkömmlichen Simulatoren mit der Zeit sogar ersetzen. Bisher hat sich die Firma auf Simulatoren für Helikopter spezialisiert, darunter der meistverkaufte von Airbus, der in der Branche als «Ecureuil» (Eichhörnchen, A125) bekannt ist.

Man will nun rasch expandieren und das Personal von 35 Personen bis Ende 2023 verdoppeln. Damit könne man mehrere Typen gleichzeitig entwickeln und auch in den USA auf erste Zulassungen hinarbeiten. Dabei will das Unternehmen die Palette auch auf Flugtaxis, Business-Jets und schliesslich Passagierflugzeuge erweitern. 2018 hatte man eine Journalistin vom Schweizer Fernsehen via VR-Training innert zwei Wochen so weit gebracht, dass sie in einer Cessna eine Runde um den Flugplatz drehen konnte.

Riesen hatte zwar Angebote, seine Firma an Helikopter-Hersteller zu verkaufen, doch der Ingenieur will, dass möglichst viele Piloten seine VR-Trainingsgeräte nutzen können. Die Firma hat soeben für die Expansion von drei Investmentgesellschaften aus dem Silicon Valley 20 Millionen Dollar erhalten, die auch in eine amerikanische Niederlassung gesteckt werden. Das Startup ist aber nicht wie so viele andere ein Verlustloch, sondern schreibt bereits schwarze Zahlen. Wenn man in diesen Zeiten Geld verbrenne, bekomme man kaum eine Finanzierung, sagt Riesen.

Die Corona-Pandemie hat sein Team zusammengeschweisst, arbeitete man doch lange Nächte zusammen – es gab ja sonst wenig Zerstreuung. Vom Tüftler in den eigenen vier Wänden ist Riesen nun zum Vollblutunternehmer mutiert und scheint es gerade sehr zu geniessen.

Christoph Eisenring, «Neue Zürcher Zeitung»

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